Sache so, wie es meinem Wesen und meiner Begabung entsprach. Allmählich wurde auch aus mir ein Erfolg, und ich glaube, er stieg mit den Jahren; wenn ich auch nie Slings Popularität erreichte. Denn er unterstützte sein literarisches Werk durch persönliche Verbindungen, während ich aus der Isolierung nie völlig herauskam. In mancher Beziehung machte ich dieselben Erfahrungen wie er. Auch bei mir wuchs die Hochachtung vor dem deutschen Strafrichter, je länger ich ihn beobachtete. Umso größer freilich war dann die Enttäuschung, als er vor den Machthabern des Dritten Reiches überall völlig versagte. Auch ich empfand nach einer gewissen Zeit: jetzt ist es genug, ich sollte mich auf ein neues Gebiet werfen. Denn literarisch gesprochen waren schließlich alle Möglichkeiten ausgeschöpft. Man sollte nicht glauben, daß etwa Totschläge aus Eifersucht einförmig werden können. Aber sie spielen sich ab wie über den selben Leisten geschlagen. Alle möglichen Fälle waren wiederholt und immer noch einmal vorgekommen, aus dem ganzen Strafgesetzbuch hatte ich schließlich nur zwei Verbrechen nicht erlebt: Verursachung einer Überschwemmung und Sodomie. Das erste stand einmal zur Verhandlung an, aber es wurde nichts daraus. Das zweite kam nie in Sicht. Einen Ersatz für meine Gerichts-Inquits zu finden, wäre auch für mich nicht leicht gewesen; aber auch mir wurde die Entscheidung abgenommen.
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Wenn ich gefragt würde, was ich über diese Art von Journalistik denke und ob ich sie wieder aufnehmen möchte, so ist die Antwort nicht ganz einfach. Die Regel, daß Gerichte öffentlich verhandeln, in allen Kulturstaaten anerkannt, bedeutet keine bloße Formalität. Ihr Sinn ist vielmehr, daß die Richter in ihrer schicksalsvollen Tätigkeit kontrolliert werden sollen. Aber das Publikum, das in beschränkter Zahl zugelassen wird und sich auf ein paar Bänken im Hintergrunde drängt, von denen aus es meist nicht deutlich sehen noch verstehen kann, hat garkeine kontrollierende Macht. Sollte es sich einfallen lassen, Zustimmung oder Widerspruch zu äußern, so droht der Vorsitzende mit Räumung, die er ohne Weiteres durchführen kann. Sogar darf er Störenfriede kurzer Hand vor die Schranken rufen und bestrafen. Eine wirksame Öffentlichkeit stellt nur die Presse dar, und eine wirksame Kontrolle kann nur von ihr ausgehen.
Wenn es jemals wichtig war, die deutschen Gerichte unter Kontrolle zu nehmen, so ist es heute der Fall, nämlich um nachzuprüfen, wie sie jetzt, nach dem Dritten Reich, arbeiten und ob sie zum Recht zurückgefunden haben. Aber jene unbeschränkte Kritik, die wir uns damals herausnehmen durften, weckt doch starke Bedenken. Es gehört nämlich nicht viel dazu, ein Urteil abfällig zu kritisieren. Der Journalist, der das tut, verfügt zunächst einmal nicht über den vollen Umfang der erreichbaren Information, selbst wenn er der Verhandlung von Anfang bis zu Ende beigewohnt hat und selbst wenn ihm kein Wort entgangen sein sollte. Denn ihm steht nicht das Recht des Fragens zu, das er hätte ausüben dürfen, wenn er selbst ein Mitglied der Urteilskammer gewesen wäre. Ferner aber: es ist kinderleicht, als Außenstehender ohne richterliche Verantwortung milder zu sein als das Gericht, oder auch strenger. Wer weiß, wie der Spruch dieses selben Menschen ausgefallen wäre, wenn er mit von ihm abgehangen hätte, in seiner Eigenschaft als Richter unter seiner Berufspflicht oder als Geschworener oder Schöffe unter seinem Eid; ein Spruch, den er vor seinem Gewissen verantworten müßte. Kritik ist gewiß im Ganzen heilsam, nicht, weil Richter das Recht zu beugen pflegen, sondern weil das, was sie für göttliches Recht halten, abhängt von ihren sozialen Vorurteilen und ihren polischen Anschauungen. Daß ihre Welt nicht die ganze Welt bedeutet, und daß ihre Zeit nicht ewig dauert, das sollte ihnen immer wieder ins Bewußtsein gerufen werden. Aber um dieses Amt auszuüben, dazu gehört ein überlegener, unvoreingenommener und höchst gewissenhafter Mensch. Ich glaube, daß Sling mit seiner wohlwollenden Überwachung im Wesentlichen Gutes gestiftet hat, und ich darf vielleicht dasselbe für mich in Anspruch nehmen. Indessen daß ungeprüft jeder, den irgendeine Redaktion auf die Gerichte schickt, ohne Beschränkung kritisieren darf, sogar noch bevor ein Urteil gefällt worden ist – in angelsächsischen Ländern völlig undenkbar –, das heißt denn doch wohl, den Grundsatz übertreiben. Öffentlichkeit der Gerichte ist heilsam und notwendig, aber Schutz der Richter darf darunter nicht leiden.
Denn obwohl in einer Verhandlung manches sich abspielt wie auf der Bühne, so ist doch das Gericht kein Theater. Und grade darin liegt die Hauptgefahr der unbeschränkten Kritik: sie kann den Richter dazu verleiten, für die Presse zu spielen. Es gibt Richter, denen es völlig gleichgültig ist, was die Zeitungen sagen. Aber es fehlt auch nicht an solchen, die erstens in der Zeitung überhaupt erwähnt und zweitens gelobt sein wollen; namentlich wenn sie sich eine günstige Wirkung auf ihre Karriere versprechen davon, daß sie mit einem gewissen Strom der öffentlichen Meinung übereinstimmen oder übereinzustimmen scheinen. Ich war schließlich im Moabiter Kriminalgericht bekannt, und man wußte im Großen und Ganzen, wie ich über Dinge und Menschen dachte. Nicht ganz selten habe ich bemerkt, wie der Verhandlungsleiter, wenn ich den Saal betrat, seinen Ton gegenüber dem Angeklagten änderte.
Aber es bleibt für den Journalisten im Gerichtssaal noch eine andere Aufgabe, die ich für außerordentlich wichtig halte und von deren geschickter und verständnisvoller Lösung ich eine höchst segensreiche Wirkung erwarte; nicht auf das Gericht, aber auf die Leser. Der Bürger im Allgemeinen ist überzeugt, er sei unbestraft, weil er nie gegen die Gesetze verstoßen habe; und er habe nie gegen sie verstoßen, weil er ein anständiger Mensch sei. Er teilt infolgedessen seine Mitbürger in zwei Klassen: die Guten, die man daran erkennt, daß sie unbestraft sind; und die Bösen, das sind die Vorbestraften, mit denen man nichts zu tun haben darf. Ihm muß klar gemacht werden, daß er vielleicht nur deswegen nie gegen die Gesetze verstoßen hat, weil er nie in Versuchung geführt worden ist; und man muß ihm einen Begriff geben von der Schwierigkeit und Härte des Lebens, das diejenigen zu führen gezwungen sind, denen es nicht so gut geht wie ihm, besonders das Proletariat oder auch die untere Beamtenschaft, die eine Familie zu ernähren und Kinder aufzuziehen haben mit einem monatlichen Einkommen von 150 oder 120 Mark (nach Maßstäben vor dem Dritten Reich). Man muß diesen Bürger auch darüber aufklären, daß die Strafe nicht damit abgetan ist, daß der Verurteilte auf eine gewisse Zeit eingesperrt wird; daß vielmehr das Martyrium erst anfängt, wenn er wieder ins Leben tritt und die Gesellschaft in Feindseligkeit und Mißtrauen verschlossen findet. Der ahnungslose Hochmut der Unbescholtenen drängt den Menschen, der einmal gestrauchelt ist, erbarmungslos ins Verbrechen zurück. Vor dem Dritten Reich bemühten sich in Deutschland warmherzige Menschen, hier helfend einzugreifen, indem sie Aufklärung zu verbreiten suchten und dem Strafentlassenen materiell und moralisch beistanden. Unter den Nazis, mehr unter ihrer Dummheit als unter ihrer Rohheit, sind alle diese Anfänge wahrscheinlich zerstört worden. Doch braucht nicht Deutschland allein solche öffentliche Schulung, auch anderswo weiß der Bürger zu wenig von den Zusammenhängen zwischen Not und Verbrechen. Die Gerichtsberichterstattung nach der soziologischen Seite hin zu erweitern, bleibt also eine dringende und lohnende Aufgabe. Aber auch hierfür müßten die Schreiber mit Sorgfalt ausgewählt werden. Denn es darf auch wieder nicht auf eine zu große Nachsicht oder gar auf eine Verherrlichung des Rechtsbrechers hinauslaufen, auf eine neue Art von Räuberromantik.
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Es konnte nicht fehlen, daß, während ich das Kriminalgericht in seinem Tagewerke mit meiner Feder begleitete, die Zeitgeschichte sich widerspiegelte. Da war die große Arbeitslosigkeit, für ungezählte Tausende die Jugendzeit ohne Hoffnung und Freude. Da war der schwelende Bürgerkrieg zwischen den Angehörigen dieser Jugend, von denen die einen in den Radikalismus von rechts, die anderen in den Radikalismus von links gerieten, niemand wußte zu sagen, nach welchem Gesetz der Auswahl. Da waren die Prominenten der Nazis, zynisch und selbstgewiß auf den nahen Tag wartend, der sie an die Macht bringen würde. Nicht wenige von ihnen habe ich in Moabit auftreten sehen. Hitler selbst erschien einmal als Angeklagter, in einem belanglosen Prozeß wegen eines Pressevergehens, einmal als Zeuge für eine Gruppe halbwüchsiger Anhänger, die einen Überfall auf eine Gruppe der Gegenseite verübt hatten. Dabei fanden die Anwälte Gelegenheit, dem nichtsahnenden und hilflosen Gericht auf der Nase herumzutanzen, zur höhnischen Freude der Parteigenossen im Zuschauerraum. Goebbels wurde vernommen, von Anhängern bei der Ankunft und bei der Abfahrt mit Jubel gefeiert, durfte reden, was ihm beliebte, während niemand ihn zu zwingen wagte, auf die Fragen zu antworten, die ihm vorgelegt wurden. Gregor Strasser mußte sich verteidigen, auch wegen Pressevergehens, und außer daß er sich nicht zu schade war, die jüdischen Anwälte der Gegenseite mit billigen antisemitischen