nicht erinnern, das erwähnte Lokal später verlassen zu haben, Miß Blooming?«
»Als ich heute morgen die braunen Flecken an meinem Kleid fand, fiel mir ein, daß irgendwann im Laufe des Abends ein Colaglas umkippte«, fuhr Linda fort. »Was danach geschah, weiß ich nicht mehr. Meine Erinnerung setzt erst an dem Punkt wieder ein, als ich in Myladys Haus zu mir kam.«
»Ihre außerordentlich zweckdienlichen Hinweise dürften zweifellos dazu beitragen, Myladys Ermittlungen entscheidend zu beschleunigen, Miß Blooming«, versicherte der Butler und bedankte sich höflich und gemessen.
»Ich drücke Ihnen und Mylady die Daumen, daß Sie die ekligen Kerle möglichst schnell hinter Schloß und Riegel bekommen«, versprach Linda Blooming, ehe das Gespräch endete.
Parker blieb gleich am Telefon stehen und wählte die Nummer, unter der Horace Pickett zu erreichen war.
Der ehrenwerte Mister Pickett, wie Parker ihn meist nannte, war ein hoch aufgeschossener Mann von etwa sechzig Jahren. Obwohl seine äußere Erscheinung auf einen pensionierten Offizier schließen ließ, hatte Pickett jahrelang seinen Lebensunterhalt als Taschendieb verdient. Da er seine flinken Finger grundsätzlich nur nach prall gefüllten Brieftaschen ausgestreckt hatte, konnte er seinen ehemaligen Beruf mit einem gewissen Recht als »Eigentumsumverteiler« angeben.
Seit der Butler ihm in einer unverschuldeten Notlage das Leben gerettet hatte, respektierte Pickett aber die Gesetze und ernährte sich auf redliche Weise. Er rechnete es sich zur Ehre an, gelegentlich für Parker und Mylady tätig werden zu dürfen. Und seine intimen Kenntnisse der Londoner Unterwelt hatten sich schon oft als außerordentlich hilfreich erwiesen.
»Ich werde mir die Arbeit mit ein paar zuverlässigen Freunden teilen, damit es schneller geht«, schlug Pickett vor, als Parker ihm die zwölf Anschriften übermittelt hatte. »Reicht es, wenn ich Ihnen in zwei Stunden Bericht erstatte, Mister Parker?«
»Ein Angebot, das man nur als erfreulich bezeichnen kann und muß, Mister Pickett«, entgegnete der Butler. »Bis zum genannten Zeitpunkt dürfte Mylady ihre Meditation abgeschlossen haben und die nächsten Ermittlungsschritte in Angriff nehmen.«
*
»Dieser Streß!« klagte Agatha Simpson, als die Haustürglocke ging. Hastig schob sich die ältere Dame noch ein Stück von der herrlich duftenden Sachertorte in den Mund. »Kaum will man zwischen all den Pflichten mal ein Häppchen zu sich nehmen, klingelt schon wieder das Telefon.«
»Verzeihung, Mylady«, korrigierte Parker und schenkte seiner Herrin goldschimmernden Darjeeling nach. »Falls man sich nicht gründlich täuscht, dürfte das Läuten von der Tür ausgehen.«
»Noch schlimmer«, kritisierte die Detektivin. »Hoffentlich ist es nicht Mister McWarden.« Vorsorglich ließ sie sich ein neues Tortenstück vorlegen, ehe sie ihren Butler in Richtung Haustür entließ.«
Myladys Befürchtung erwies sich als grundlos. Es war nicht Chief-Superintendent McWarden, der leitende Yard-Beamte, der sich bei Parker schon manch wertvollen Tip geholt hatte.
»Hallo, Parker«, grüßte Anwalt Mike Rander lässig, als der Butler die Tür öffnete. Myladys Gesellschafterin, die attraktive Kathy Porter, war auch mitgekommen. Die junge Dame mit den mandelförmig geschnittenen Augen und dem Kastanienschimmer im dunklen Haar hatte sich bei Rander eingehakt.
»Hoffentlich stören wir nicht, Mister Parker?« erkundigte sie sich.
»Keineswegs und mitnichten, Miß Porter«, gab der Butler mit einer höflichen Verbeugung zurück. »Mylady dürfte hocherfreut sein, Sie als Gäste am Teetisch begrüßen zu dürfen.«
Parker und Rander kannten sich noch aus der Zeit, als beide einige Jahre in den Staaten gelebt hatten. Damals hatten sie gemeinsam manch kniffligen Fall gelöst. Als Parker dann an die Themse zurückkehrte und in Lady Simpsons Dienste trat, folgte auch Rander bald und eröffnete an der nahegelegenen Curzon Street eine Kanzlei.
Parker hatte den blendend aussehenden Anwalt im Haus seiner Herrin eingeführt. Seitdem bestand Randers Haupttätigkeit darin, das unermeßliche Vermögen der sparsamen Witwe zu verwalten. Im Hause Simpson war er auch zum erstenmal der hübschen Kathy begegnet.
Lady Agatha hatte es sich in den Kopf gesetzt, die Freundschaft der »Kinder«, wie sie sie nannte, vor dem Traualtar zu besiegeln. Mike Rander und Kathy Porter schienen es damit aber nicht so eilig zu haben.
»Das ist ausnahmsweise mal eine angenehme Überraschung«, freute sich die ältere Dame, als sie die Besucher durch die weitläufige Wohnhalle hereinkommen sah. »Leider habe ich nicht mit Gästen gerechnet.« Inzwischen war das letzte Stück Kuchen auf ihrem Teller gelandet.«
»Vielen Dank, Mylady«, lächelte der Anwalt. »Wir wollten uns nur erkundigen, wie es Ihnen geht.«
»Glänzend, mein lieber Junge«, gab die Detektivin kauend zurück. »Wenn nur der ständige Streß nicht wäre! Aber das ist eben der Preis des Ruhms.«
»Das klingt ja so, als ob Sie sich schon wieder in einen brisanten Fall gestürzt hätten, Mylady«, vermutete Kathy Porter und nahm neben der Hausherrin Platz.
»Wenn es nur ein einziger Fall wäre, Kindchen«, entgegnete Agatha Simpson großspurig. »Darüber würde ich kein Wort verlieren.«
»Also eine Serie von Verbrechen?« wollte Rander wissen und rückte neugierig seinen Stuhl näher.
»Momentan löse ich mehrere Fälle gleichzeitig«, gab die resolute Dame mit stolzgeschwellter Brust bekannt.
»Lassen Sie mich raten, Mylady«, bat Kathy Porter. »Sind es Banküberfälle?«
»Nein, Kindchen.«
»Straßenraub?«
»Nein.«
»Drogenschmuggel?«
»Auch das nicht.«
»Vielleicht Entführungen?« tippte der Anwalt.
»Ich sehe schon, Kinder, ihr kommt nicht drauf«, brach Mylady das Ratespiel ab. »Es handelt sich um einen grausamen Lustmörder, dem schon zwölf junge Mädchen zum Opfer gefallen sind.«
»Ein Lustmörder?« fragten Kathy Porter und Mike Rander wie aus einem Mund.
»Das dreizehnte Opfer habe ich ihm buchstäblich in letzter Minute aus den Klauen gerissen«, berichtete Lady Simpson. Sie schien die entsetzten Blicke ihrer Besucher eindeutig zu genießen.
»Mister Parker wird Sie über die Einzelheiten informieren«, fuhr die Hausherrin fort. »Bei dieser Gelegenheit kann ich gleich feststellen, ob auch alles richtig verstanden wurde.«
Der Butler informierte die Gäste über die vereitelte Entführung der knapp siebzehnjährigen Linda Blooming und über den Besuch bei LONDON-NEWS-Reporter Barry Winter.
Kathy Porters und Mike Randers aufmerksamen Ohren entging nicht, daß der Butler es unauffällig vermied, sich zu der Lustmord-These zu äußern.
»Um die Mittagszeit teilte Miß Blooming dann telefonisch mit, sie habe sich gestern abend in einer Diskothek mit dem Namen ›Flashlight‹ aufgehalten«, beendete Parker seinen Bericht. »Bedauerlicherweise kann die junge Dame sich aber nicht erinnern, wie sie von dort in den Kofferraum des Rover gelangte.«
»Vielleicht sollten wir uns den Schuppen mal ansehen«, schlug Rander vor.
»Unsinn, mein Junge«, fuhr Mylady dazwischen. »Ein Besuch in der Diskothek wäre reine Zeitverschwendung. Der Mörder wird sein Opfer doch nicht.in einem Tanzlokal überwältigen. Vermutlich hat er das Mädchen angefallen, als es sich auf dem Heimweg befand.«
In diesem Moment schrillte das Telefon. Parker begab sich gemessenen Schrittes in die Diele.
»Von den zwölf Familien haben wir auf Anhieb immerhin zehn erreicht, Mister Parker«, meldete der ehemalige Eigentumsumverteiler. »Dabei stellte sich heraus, daß die meisten Eltern nur ungenau oder gar nicht wußten, wohin ihre Töchter wollten, als sie zum letztenmal das