in Sozialen Medien zu beschreiben. Sie verglich die Kommunikationskultur der im angelsächsischen Sprachraum als »legacy media« bezeichneten Öffentlichkeitsakteure mit dem Auftreten eines Anzugträgers, der am Strand entlang spaziert und die Menschen auf ihren Badetüchern und Liegen anzusprechen versucht. Dies wird nie als wirklich glaubwürdig und authentisch im Strand-Umfeld erscheinen. Im Umfeld der öffentlichen Kommunikationskultur der Unternehmen gilt dieses Auftreten jedoch als seriös. Aus diesem Widerspruch speisen sich zahlreiche Konflikte zwischen den Teilnehmenden und den Beobachtenden des digitalen Swimming-Pools.
Dieses Buch will zeigen, dass es sich lohnen kann, ins Wasser zu springen – oder sich zumindest leichtere Sommerkleidung überzuziehen. Denn Meme sind meinem Grundverständnis nach eher fröhliche, offene und menschenfreundliche Kommunikationsmechanismen. Es macht (meistens) Spaß, sich mit ihnen zu befassen. Ich werde im Folgenden versuchen, sie so unpädagogisch zu erklären, dass das Dilemma zwischen Schwimmen und Beobachten sich in einer Haltung auflöst, die ich durchaus selbstkritisch als »mitschwimmende Beobachtung« bezeichnen kann. So vermeide ich hoffentlich die Falle derjenigen, die Witze erklären wollen – und damit nicht selten zerstören.6
Advice Animals
Ein Bild in der Mitte, eine Textzeile oben drüber, eine unten drunter. Viele Menschen denken genau an dieses Muster, wenn die Rede auf Internet-Meme kommt. Diese sogenannten Image Macros lassen sich unter dem Schlagwort »Advice Animals« als eine der frühesten Formen von Internet-Memes beschreiben. Ihren Namen verdanken sie den Tiermotiven, die anfangs in der Mitte platziert wurden. In den in Versalien gesetzten Zeilen ober- und unterhalb von Advice-Dog, Business-Cat (# 1) oder Anti-Joke-Chicken (# 2) wurden Ratschläge oder vermeintliche Weisheiten verbreitet.
# 1 Image-Macros, auch »Advice Animals« genannt, hier die »Business Cat«
Mit der Zeit veränderten sich die Bildmotive in der Mitte, das Muster blieb aber noch gleich. Heute hat sich das Modell der Text-Bild-Varianten erweitert. Motive wie »Drake Hotline Bling«, das den Rapper Drake in orangefarbener Jacke erst in ablehnender, dann in zustimmender Geste zeigt (# 3), »Batman Slapping Robin« (eine Comic-Szene, bei der Batman seinem Assistenten Robin genau in dem Moment eine Ohrfeige gibt, in dem dieser etwas sagen will) oder »Distracted Boyfriend« (ein Stockfoto-Motiv, das einen Mann zeigt, der mit einer Frau spazieren geht, sich dabei aber nach einer anderen Frau umdreht) haben ihre Textzeilen (Caption) an anderer Stelle, basieren aber auf dem gleichen Humor wie die Ursprungsmeme. Ein schönes Beispiel für die Weiternutzung dieser Idee bildet das Fußballmagazin Wumms auf seinen Social-Media-Kanälen. Wumms nutzt hier die Idee der »Advice Animals«, um Nachrichten aus Fußball und anderen Sportarten zu kommentieren, indem die durch die Memes gelernten Rollenmuster (Gewinner, Verlierer etc.) auf aktuelle Sportergebnisse übertragen werden.
# 2 »Anti-Joke-Chicken«, für dieses Buch bearbeitet
# 3 Ablehnung und Zustimmung in allen Situationen: »Drake Hotline Bling«
In der Meme-Datenbank »Know Your Meme«, die es sich zur Aufgabe gemacht hat, Internet-Witze möglichst schnell und detailliert zu dokumentieren, kann man ein »Periodensystem der Advice Animals« einsehen.7 In ihrer Grundhaltung sind diese Image Macros eng mit den Reaction-GIFs verwandt (siehe Seite 62): Sie beziehen eine in einem Bild oder Film gezeigte Begebenheit auf eine soziale Interaktion oder eine persönliche Eigenheit, die durch solche Memes ironisch dargestellt werden sollen. In beiden Fällen werden kurze Sequenzen oder Szenen aus anderen Kontexten (Filmen, TV-Material etc.) verwendet und in einem neuen Kontext genutzt. Durch diesen Kopier-Kontextbruch entstehen neue Bedeutungsebenen, die (wie wir im Verlauf sehen werden) den Zauber von Internet-Memen ausmachen.
2 | Die Ohrwürmer des Internet
Weil es eben auch um diese Freude gehen soll, die Meme vermitteln, erlaube ich mir, hier nicht chronologisch und auch nicht streng wissenschaftlich zu beginnen. Wer sich für Meme interessiert, wird schon einmal gehört haben, dass der Biologe Richard Dawkins 1976 den Begriff »Mem« vorschlug, aus dem sich die Memetik entwickelte.8 Dieser Zusammenhang mit einer wissenschaftlichen Debatte lässt sich in Limor Shifmans Buch Meme – Kunst, Kultur und Politik im digitalen Zeitalter nachlesen,9 ich setze im Folgenden bei ihrem Fazit an: »Während große Teile der akademischen Welt über ihn im Streit liegen, wurde der Memebegriff von Internetnutzern begeistert aufgegriffen.«10
Diese Begeisterung speist sich aus einem Zauber, den man vielleicht am besten mit einem Vergleich einfangen kann: Meme sind die Ohrwürmer des Internet. Sie sind die optische Entsprechung einer Melodie, die nachhaltig im Kopf bleibt. Ohrwürmer und Internet-Meme haben mindestens vier grundlegende Gemeinsamkeiten:
Erstens genießen Meme wie Ohrwürmer häufig große Popularität – und dies, ohne dass der jeweils offizielle Titel unbedingt bekannt ist. Bei einem Ohrwurm ist es manchmal nur eine Melodie-Sequenz, eine Songzeile und nicht einmal der Refrain des Songs, und bei Memen sind es manchmal nur Teile des Referenzsystems, die bekannt sind.
Das Wiedererkennen führt aber zweitens bei Memen wie bei Ohrwürmern zu einem Moment der Erkenntnis, der wörtlich zu nehmen ist. Den Originaltitel einer Melodie zu erfahren, die im Kopf klebt, ist genau wie das Auflösen einer vorher unbekannten Referenz eines Internet-Memes ein Erkenntnismoment, der Zugehörigkeit stiften kann. Ich würde sogar so weit gehen zu sagen: Wer ein Meme oder einen Ohrwurm (wieder-)erkennt, fühlt sich verstanden und heimisch. In der biblischen Schöpfungsgeschichte wird das Erkennen (»Und Adam erkannte sein Weib Eva, und sie ward schwanger und gebar den Kain«) als schöpferischer Akt beschrieben. Semantisch liegt dies daran, dass die Wörter »erkennen« und »miteinander schlafen« im Hebräischen den gleichen Wortstamm haben, aber voneinander unterschieden werden. Es ist deshalb vielleicht etwas zu weit gegriffen, deutet aber an, welche Bedeutung im tatsächlichen Erkennen zum Beispiel eines Witzes liegen kann. Daher gibt es auch Menschen, die zur Beschreibung von Internet-Memen nicht auf Ohrwürmer, sondern auf die Ostfriesenwitze aus den achtziger und neunziger Jahren zurückgreifen, die damals äußerst populär waren und ohne zentrale Verbreitungsstelle in der Bevölkerung weitererzählt und adaptiert wurden. Im Rückblick wurde zwar dem Komiker Otto Waalkes diese Rolle als Zentralorgan zugeschrieben, weil er Ostfriesenwitze öffentlichkeitswirksam in TV-Sendungen und Kinofilmen aufgriff und weiter populär machte. Aber ohne die bereits laufende memetische Verbreitung des Typus »Ostfriesenwitze« wäre ihm dies sicher nicht gelungen. Vergleichbar sind Witz-Wellen zu nennen, im Zuge derer die Blondinen-, Manta- oder Polen-Witze jeweils für einen gewissen Zeitraum und in gewissen Zielgruppen populär werden. Auch Trinkspiele, besondere Begrüßungsrituale oder Insiderwitze wie das laute »Schulz«-Ausrufen, wenn jemand rülpst, basieren auf dem gleichen Prinzip: Sie sind nicht im Sinne eines Regelwerks aufgeschrieben und werden nicht (wie in der vordigitalen Zeit Musik) zentral verbreitet, erfreuen sich in bestimmten Kreisen dennoch einer gewissen Beliebtheit.
Meme und Ohrwürmer versetzen die Nutzer*innen drittens in einen Zustand der Aktivität, der sich beispielsweise in einer Adaption durch Nachsingen oder Nachmachen ausdrücken kann. Das schließt übrigens Abwandlungen durchaus mit ein. Bei Ohrwürmern kann man das in den Büchern von Axel Hacke nachlesen, der missverstandene Liedtexte gesammelt hat. Diese »Verhör-Bücher« beantworten Fragen wie »Warum hat Herbert Grönemeyer ›Fruchtzwerge‹ im Bauch?« (statt der Flugzeuge aus dem Song).11 (# 4)