Wolfgang Ullrich

Feindbild werden


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sich in ihnen, ja entstehen mit ihnen Feindbilder. Rauchs Anbräuner ist ein solches Feindbild – und damit ein Bild, das Dynamiken in Gang setzen kann, die schlimmstenfalls nicht mehr kontrollierbar sind.

      Damit aber ist auch klar, worin die Aufgabe und die Herausforderung dieses Buchs besteht. Es geht darum, die eine Eigenschaft von Bildern gegen die andere auszuspielen – und es zu nutzen, zumindest darauf zu vertrauen, dass selbst ein Bild, das als Feindbild wirken soll und dem eine Schmähfunktion auferlegt wurde, einen Raum eröffnet, in dem man sich frei bewegen kann. Dabei müsste es gelingen, von der Aktionsform in die Möglichkeitsform zurückzuspringen und verschiedene Standpunkte und die ihnen korrespondierenden Erfahrungen auszuloten. Gerade weil ich meinerseits so parteiisch bin wie Rauch und sein Bild, habe ich aber auch ein besonders starkes Interesse daran, es entgegen der mit ihm verbundenen Intention zu behandeln: Weil ich zum Feindbild geworden bin, will ich es nicht bleiben.

      Letztlich habe ich mich also doch dazu entschlossen, dieses Buch zu schreiben. Allerdings will ich damit nicht nur meine westdeutsche Perspektive in den aktuellen Ost-West-Konflikt einbringen. Vielmehr soll dieser Konflikt vor dem Hintergrund von Debatten erörtert werden, die im Bereich der bildenden Kunst stattfinden. Dass dort etwa viel über Freiheitsrechte und verschiedene Konzepte von Autonomie diskutiert wird, erlaubt ein besseres Verständnis einiger Leitmotive, die abgesehen von diesem Konflikt auch andere politische Auseinandersetzungen prägen. So wurde ich etwa davon überrascht, in welchem Ausmaß im Frühjahr und Sommer 2020 bei Protesten gegen die staatlichen Corona-Maßnahmen die Sozialfiguren des Denunzianten und des Dissidenten wiederkehrten, die schon im Streit um Rauchs Gemälde sowie in Debatten über den Topos einer DDR 2.0 eine wichtige Rolle spielen. Doch auch wenn beispielsweise darüber diskutiert wird, ob Kunst eher der Identitätsstiftung dienen oder aber vermeintliche Gewissheiten ins Wanken bringen soll, werden jeweils Ansprüche und Erwartungen sichtbar, die ganz ähnlich in anderen Bereichen auftauchen und von weitreichender gesellschaftspolitischer Bedeutung sind. Deshalb sollte man Milieu- und Mentalitätsunterschiede oder Ost-West-Differenzen überall dort ernst nehmen, wo man auf sie trifft.

       1 Die Rechtsverschiebung der Idee autonomer Kunst

      Am Morgen des 24. Juni 2019 erhielt ich eine Mail aus der Redaktion der ZEIT – mit der Bitte um ein Telefonat möglichst noch am selben Vormittag, denn: »Es drängt ein wenig«. Ich hatte keine Ahnung, worum es gehen könnte. Am Telefon erfuhr ich dann, dass ein Artikel von mir, den die Zeitung einen Monat zuvor gedruckt hatte, nicht ohne Folgen geblieben war: Neo Rauch hatte darauf mit einer ungewöhnlichen Form von Leserbrief geantwortet, nämlich mit einem eigens gemalten Bild. Man beschrieb es mir als eine Art Karikatur, die einen Mann zeige, der mit seinen Exkrementen male. Dieser Mann sei offenbar ich. So sei die von ihm mit einem Hitlerkopf und einem Hitlergruß beschmierte Leinwand mit den Initialen »W.« und »U.« signiert. Innerhalb der Redaktion sei umstritten, ob man Rauchs Bild veröffentlichen solle, daher wolle man auch meine Meinung hören.

      In dem Artikel in der ZEIT hatte ich für einige Teile der Kunstwelt eine politische Rechtsverschiebung diagnostiziert und das unter anderem mit Zitaten aus Interviews mit Neo Rauch belegt.1 Diese Verschiebung ist für mich jedoch mit einer anderen Entwicklung verbunden, auf die ich in dem Text zuerst einging. So wird die seit dem späten 18. Jahrhundert und während der gesamten Moderne wichtige Idee autonomer Kunst seit einigen Jahren von etlichen Vertretern der Kunstwelt, vor allem von linken Intellektuellen und einer jüngeren Kuratorengeneration, kritisch gesehen. War man lange überzeugt, dass eine Kunst, die ohne Rücksichtnahmen auf ästhetische, moralische oder soziale Konventionen und allein nach eigenen, sich selbst auferlegten Prinzipien – autonom – entsteht, aufklärender und emanzipatorischer sein kann als eine Kunst, die sich den jeweiligen gesellschaftlichen Maßstäben anpasst, und bestand man daher auf einem speziellen Freiheitsprivileg für sie, so fragt man heute, ob dies nicht gerade zu Werken führen kann, die ziemlich unsensibel gegenüber der sozialen Wirklichkeit sind. Verfestigt autonome Kunst vielleicht sogar – so die Befürchtung – bestehende Formen von Unrecht und Diskriminierung, zumal meist nur eine kleine Elite in den Genuss eines solchen Freiheitsprivilegs kommt?

      Diese Frage wurde in den letzten Jahren in etlichen Debatten verhandelt. In ihnen ging es etwa um die Darstellung von Schwarzen durch weiße Künstler, die maßgebliche Diskriminierungserfahrungen nicht gemacht haben, aber auch um Sexismus oder um gesellschaftlich geächtete Formen von Sexualität wie Pädophilie. Sollte es wirklich unter ein Freiheitsprivileg fallen, so etwas darzustellen? Hieße das nicht, Unrecht und Leid zu dulden, solange es im Namen der Kunst geschieht? Und sollte man sich auf einen zeitlosen Standpunkt zurückziehen können, von dem aus alles als Sujet der Kunst berechtigt erscheint, egal ob es heute akzeptiert wird oder nicht? Immerhin wäre es dann doch vielleicht möglich, so ließe sich dafür argumentieren, Zugang zur Erfahrungswelt von Pädophilen zu bekommen und sie, ihre Weltsicht, vielleicht sogar ihr Leiden an der eigenen Sexualität besser zu verstehen. Und kann man wirklich ausschließen, dass es in einer fernen Zukunft einmal eine Gesellschaft gibt, die anders zu Pädophilie steht als die heutige? Doch aus solchen Gründen für eine unbedingte Freiheit der Kunst zu plädieren, lehnen mittlerweile selbst viele Angehörige des Kunstbetriebs ab. Sie wollen der Kunst keine privilegierte Stellung mehr zubilligen und glauben nicht mehr an die lange gepredigten kunstreligiösen Formeln, wonach Künstler Zugang zu sonst verschlossenen Wahrheiten haben oder als Avantgarde einer besseren Welt fungieren können.

      Manchmal kommt es daher sogar zur Forderung, bestimmte Werke nicht mehr öffentlich zu zeigen. Beispielsweise wurde 2017 vom New Yorker Metropolitan Museum of Art die Abhängung des 1938 entstandenen Gemäldes Träumende Thérèse des deutsch-polnisch-französischen Malers Balthus verlangt, da es ein junges Mädchen, das dem Maler Modell gesessen hatte, in einer sexuell anzüglichen Pose zeige.2 Gerade im Zuge der gleichzeitigen #MeToo-Debatte erschien es manchen nicht länger erträglich, dass »unter dem Deckmantel der Kunstfreiheit« sexuelle Ausbeutung betrieben und legitimiert werde. So formulierte es die Kunstwissenschaftlerin Julia Pelta Feldman und plädierte dafür, die Unversehrtheit von Menschen ernster zu nehmen als die Unversehrtheit einzelner Werke. Für sie »verblasst« jede »Gewalt, die sich gegen Kunst wendet, im Vergleich zur Gewalt, die Menschen angetan wurde«.3

      Das moderne westliche Konzept eines Freiheitsprivilegs für autonome Kunst ist aber nicht nur durch linke Intellektuelle, feministische Bewegungen und Minderheiten, die sich vermehrt Gehör verschaffen, in die Defensive geraten. In meinem Artikel nannte ich als weiteren Grund die Globalisierung der Kunstwelt. So gibt es mittlerweile sowohl bei kuratierten Events als auch im Handel viele Akteure aus Asien, Afrika oder der arabischen Welt, die nicht mit typisch westlichen Unterscheidungen wie der zwischen freier und angewandter Kunst sozialisiert wurden. Ohne solche Unterscheidungen verlieren aber auch die spezifischeren Ideen von Kunstfreiheit und Kunstautonomie an Bedeutung. Sie relativieren sich noch weiter dadurch, dass die nicht-westlichen Akteure, deren Kulturen jeweils eigene Kunstbegriffe haben, inzwischen ihrerseits die Menschen im Westen beeinflussen. So erscheinen Kunstautonomie und Kunstfreiheit auf einmal sogar als ideengeschichtliche Auslaufmodelle. Wie einiges andere, etwa die Wertschätzung antiker Mythologie, das unbedingte Streben nach Individualität oder die ausschließliche Orientierung an Hochkultur, kann man sie zum erweiterten Repertoire lange unhinterfragter Prioritäten des vielzitierten privilegierten »alten weißen Mannes« zählen.

      Dadurch aber passiert zweierlei. Wer befürchtet, selbst der Mentalität eines »alten weißen Mannes« bezichtigt zu werden, wird sich von allem distanzieren wollen, was damit assoziiert ist, fortan also etwa auch auf uneingeschränkte Plädoyers für die Kunstfreiheit verzichten und sich nicht länger auf Topoi der romantisch-westlichen Kunstreligion wie den Geniekult berufen. Doch wer umgekehrt die Vormachtstellung des »alten weißen Mannes« bewahren oder zurückgewinnen will – oder schon die Rede davon für Unsinn hält –, identifiziert sich auf einmal mit allem, was bedroht erscheint. Neben vielen, die die Idee der freien Kunst oder der Hochkultur noch eher aus bildungsbürgerlicher Gewohnheit vertreten, wollen manche sie nun also vor allem deshalb schützen und neu beleben, weil sie sich generell in Opposition zu feministischen und minderheitenbewussten Intellektuellen sowie zu globalisierungsfreundlichen, liberalen Milieus empfinden. Die paradoxe Folge davon ist, dass die Idee eines Freiheitsprivilegs