zermürbt hatte, war die Stadt sturmreif geschossen. Für die entscheidende Nacht vom 29. auf den 30. Juni 1941 gab das Gebirgs-Jäger-Regiment 13 folgenden Befehl heraus:
1. Der durch erfolgreichen Angriff der 1. und 4. Geb. Div. in Lemberg zusammengeballte Feind versucht durch Gegenangriffe mit schweren und schwersten Panzern, seinen Kräften den Abzug nach Osten zu ermöglichen. Die Angriffe sind von Teilen der russ. 8. Pz.Div. und Restteilen der 37. und 173. Div. durchgeführt.
2. Rgt. stellt Angriff wie befohlen ein und gliedert sich in der erreichten Linie für die Nacht zur Abwehr.
3. Es verbleibt in vorderer Linie eingesetzt: I/13 igelartig gegliedert in dem Raum hart westlich Basiowka, III./13 an den Nordosträndern der Waldstücke nördlich Basiowka, II./13 hält sich zur Verfügung im Raum um Straßengabel südlich Suchowola und sichert in südlicher und südwestlicher Richtung. […]
6. Rgt. wird mit Dämmerung in der Frühe des 30. 6. in ost-südostwärtiger Richtung abgedreht.
Die 4. Gebirgs-Division schwenkte südlich an Lemberg vorbei und verfolgte in anstrengenden Märschen den nach Osten ausweichenden Gegner. Der 1. Gebirgs-Division, deren Name mit Lemberg verbunden ist, blieb es vorbehalten, am 30. Juni 1941 die altehrwürdige galizische Hauptstadt zum zweiten Male zu erobern und, nachdem die Sowjets die Stadt in der Nacht unerwartet geräumt hatten, um 4.20 Uhr »die Reichskriegsflagge auf der alten Zitadelle« zu hissen.53 Weiter heißt es im Kriegstagebuch der »Edelweiß«-Division: »Die Regimentskommandeure rücken mit je einem Bataillon an der Spitze ihrer Truppen auf beide Zitadellen vor. […] Artilleriefeuer auf Lemberg unterbleibt.« Der Stab des XXXXIX. Gebirgs-Armeekorps bezog sein Hauptquartier im Rathaus.
Obwohl die 4. Gebirgs-Division im Süden von Lemberg harte Kämpfe ausgefochten hatte, blieb es ihr versagt, in die alte Universitätsstadt einzuziehen, in der noch der österreichische Einfluss aus der Zeit Kaiser Franz Josefs zu spüren war. Das war für manche Angehörige der »Enzian«-Division eine herbe Enttäuschung. Wenn man jedoch im Nachhinein die Dinge aus der nötigen Distanz heraus betrachtet, dann kommt man zu dem Schluss, dass die »Vierte« den entgangenen Einmarsch nach Lemberg nicht zu bereuen brauchte.
Fritz Riemel notierte in seinem Kriegstagebuch: »Ukrainische Fahnen und Hakenkreuz zieren bereits die Fenster. Doch während uns die einen Beifall klatschen, modern Tausende von Gemordeten in den Kellern der Gefängnisse und in einzelnen Höfen. Die Angehörigen stehen davor Schlange. Der Leichengeruch dringt bis auf die Straße, man muss das Taschentuch vorhalten. […] Ganze Straßenzüge sind verpestet vom Leichengeruch der Tausende von Gemarterten. Ein letztes Symptom der Sowjet-Brutalität für dieses Land. Das Herausschaffen der Leichen und Leichenteile besorgen ›Juden‹. Über hundert sollen daran schon gestorben sein. Die Schaulustigen stehen an den Häusern Schlange.«54
Im Kriegstagebuch des XXXXIX. Gebirgs-Armeekorps heißt es am 30. Juni 1941:
»Die in Lemberg einrückenden Truppen der 1. Geb. Div. machen eine schaurige Entdeckung. In den Kellern des brennenden Brigitti-Gefängnisses und, wie sich später herausstellt, auch in anderen Gefängnissen liegen viele Hunderte von Leichen erschossener, in bestialischer Weise verstümmelter Ukrainer. Das Gen.Kdo. ordnet sofort die erforderlichen Maßnahmen zur Verhütung von Seuchen, die durch die Massen von halbverwesten Leichen entstehen könnten, an. Ferner befiehlt es Maßnahmen zur möglichsten Identifizierung der von der GPU erschossenen Männer, Frauen und Kinder. Unter der Bevölkerung herrscht über die Schandtaten der Bolschewisten rasende Erbitterung, die sich gegenüber den in der Stadt lebenden Juden […] Luft macht. Im Übrigen sind die Vorgänge durch die Presse bekannt geworden.«55
Es war ein Bild des Grauens, das sich General Kübler mit seinem Burschen Hans Daurer bot, als sie am 30. Juni 1941 in die Stadt einmarschierten. Ekel erregender, süßlicher Leichengeruch von vier bis fünf Tagen zuvor brutal ermordeten Menschen betäubte ihre Sinne. Was war geschehen?
Vor ihrem Abzug hatten die Sowjets Tausende von Volksdeutschen, Polen und Ukrainern zusammengetrieben und Hunderte – insbesondere intellektuelle Polen und Ukrainer – in den düsteren Kellern der Gefängnisse auf bestialische Art und Weise ermordet. Ein Schauplatz dieser Massaker war der Hof des GPU-Gefängnisses. Dort waren die scheußlichsten Verbrechen verübt worden. Der Verwesungsprozess war an den grässlich verstümmelten Leichen derart weit fortgeschritten, dass die Türen und Fenster der umliegenden Häuser wegen des penetrant süßlichen Geruchs abgedichtet worden waren.
Am 1. Juli 1941 kam es in Lemberg zu einem besonderen Kriegsverbrechen. Juden mussten die ermordeten Ukrainer zum Teil mit bloßen Händen ausgraben oder aus den Kellern, die mit dem Blut unschuldiger Männer, Frauen und Kinder besudelt waren, hervorholen, damit sie von ihren Angehörigen identifiziert werden konnten. An jenem Tage finden wir im Kriegstagebuch der 1. Gebirgs-Division darüber folgende Eintragung:
»Während der Kommandeursbesprechung hörte man das Schießen im G.P.U.-Gefängnis Lemberg, wo Juden die in den letzten Wochen von den Russen […] ermordete Ukrainer (mehrere Tausend) begraben mussten. Auf Antreiben der ukrainischen Bevölkerung kam es am 1. 7. zu einem regelrechten Juden- u. Russenpogrom in Lemberg.«56
Heinrich Heimkes aus München erinnert sich:
Am nächsten Tag war es mir möglich, das Gefängnis, in dem der Brand inzwischen gelöscht worden war, aufzusuchen. […] Zu den Innenhöfen des Gefängnisses führte ein langer Gang, in welchen Juden jeden Alters Schlange standen. Sie waren von bewaffneten, einheimischen Zivilisten herbeigeprügelt worden. Im Innenhof rechts sah ich durch die Kellerfenster bis oben hin aufgeschichtete Leichen. Die herbeigeprügelten Juden mussten die Toten herausziehen und in einen großen Hof tragen und der Reihe nach hinlegen. Es waren viele Reihen, durch die ein Priester segnend ging, begleitet von Ministranten mit brennenden Kerzen. Herzzerreißende Szenen waren zu beobachten. Viele Familienangehörige der Umgebrachten suchten nach ihren Ehegatten, Söhnen, Vätern und Brüdern. In einem kleineren Hof, der zwischen den beiden angegebenen lag, befand sich ein Erschießungskommando des Sicherheitsdienstes. War einer der Juden total erschöpft, dann wurde er, nachdem man ihm alle Wertsachen abgenommen hatte, erschossen und von seinen Leidensgenossen weggetragen. Ein bärtiger Angehöriger des Erschießungskommandos befand sich geradezu in einem Blutrausch. Er zog einen alten Greis an seinem Patriarchenbart herbei und erschoss ihn persönlich. Ich konnte nicht begreifen, dass ein Mensch zu so was fähig ist; so kann ein Mensch nicht handeln, er muss tatsächlich vom leibhaftigen Teufel besessen sein. Vor das Erschießungskommando gelangte ein Bub mit etwa 15–17 Jahren, der in gutem Deutsch um sein Leben bettelte und beteuerte, er habe niemand denunziert, er sei schuldlos. Er wurde zurückgestoßen, doch die einheimischen Bewaffneten ließen ihn nicht hinaus ins Freie gehen. Ich überlegte, ob ich diesen Bub nicht einfach beim Hinausgehen mitnehmen könnte. Da bekam ich es mit der Angst zu tun, sie würden mich dann auch gleich an die Wand stellen.57
Unverzüglich traf die internationale Presse aus den neutralen Ländern Schweiz, Schweden und den USA zur Besichtigung ein, die Journalisten wurden vom Oberfeldrichter des Korpsstabes an Ort und Stelle geführt. Das hatte – wie sich insbesondere in der Nachkriegszeit zeigen sollte – seinen guten Grund. Denn die Morde von Lemberg stellen nach wie vor ein Politikum ersten Ranges dar, da sie während des »Kalten Krieges« ausschließlich als deutsche Kriegsverbrechen dargestellt wurden. Bei der Ermordung von mehreren Tausend Juden durch Deutsche und Ukrainer in Lemberg ist nach Alfred M. de Zayas jedoch klar zu unterscheiden zwischen:
1. Maßnahmen der NKWD gegenüber ukrainischen und polnischen politischen Gefangenen,
2. den Judenpogromen durch die Lemberger Zivilbevölkerung und
3. der Ernordung von 38 polnischen Professoren und mindestens 7000 Juden durch SD- und SS-Einheiten.58
Obwohl das Massaker an den Juden und Ukrainern in Lemberg nur am Rande etwas mit den reinen Kampfhandlungen im Südabschnitt der Ostfront zu tun hatte, wurde unter anderem auch der Oberfeldrichter des XXXXIX. Gebirgs-Armeekorps in die Ermittlungen der Wehrmachts-Untersuchungsstelle über alliierte Völkerrechtsverletzungen im Zweiten Weltkrieg eingeschaltet. Dem erschütternden Tätigkeitsbericht von Dr. Wilckes entnehmen wir unter anderem:
»Wie