Kapitel Therapieversuche, Versöhnungsbestrebungen
Viertes Kapitel 1980: Noch einmal Auseinandersetzung mit Martin Walser. Bruch mit Manfred Bierwisch
VI. DIE VOLLENDUNG DER JAHRESTAGE ODER DIE VEREINIGUNG ALLEN WASSERS
Erstes Kapitel Skizze Eines Verunglückten. Noch einmal New York
Zweites Kapitel Jahrestage I–IV. Überlegungen zu einem näheren Verständnis des Romans
Bibliographie
Daß das Gedächtnis das Vergangene
doch fassen könnte in die Formen,
mit denen wir die Wirklichkeit einteilen.
Uwe Johnson, Jahrestage
VORWORT ZUR NEUAUFLAGE
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Uwe Johnson, der «Dichter der beiden Deutschland», so lautete das Kennwort, das die Literaturkritik für ihn geprägt hatte (und das er nicht sonderlich goutierte), ist lediglich ein halbes Jahrhundert alt geworden. Er kam am 20. Juli 1934 im (damals noch deutschen, heute polnischen) Cammin in Pommern zur Welt, nicht weit von den Ufern der Dievenow entfernt, die sich bei Cammin bereits zum Bodden erweitert, und starb dann in der Nacht vom 23. zum 24. Februar 1984 in seinem Reihenhaus im englischen Sheerness-on-Sea an den Ufern der Themse, die dort bereits in die Weite der Nordsee übergeht. Wie die Weite des Wassers im Zusammenspiel mit den zuweilen nicht weniger reiβenden Strömungen der gesellschaftlich-politischen Entwicklung das Leben und vor allem das Schreiben eines Autors bestimmten, der aus der DDR nach Westberlin, von da nach New York und dann nach Sheerness zog, ist u.a., Gegenstand der nachstehenden Biographie. Sie erschien erstmals vor zwanzig Jahren, im gleichen Verlag, der nun diese Neuausgabe anlässlich des im Jahr 2014 anstehenden 80. Geburts- und 30. Todestages des bedeutenden Schriftstellers Uwe Johnson herausgibt.
Das Vergehen der Zeit erlaubt eine Neueinschätzung aus gewachsenem Abstand und mit gröβerer Objektivität. Uwe Johnsons Werk (und er hat ein Werk hinterlassen, so früh er verstorben ist) handelte nahezu durchgehend von der problematischen „Heimat“ Mecklenburg und von der Zeit unter der Herrschaft des „Dritten Reichs“ und danach in der DDR, der inzwischen ebenfalls verstorbenen „Deutschen Demokratischen Republik“. Hier war Johnson aufgewachsen, und nachdem er Literatur und deren Geschichte in Rostock und vor allem in Leipzig studiert hatte, musste er die DDR verlassen, um als Autor leben zu können. Wie sie den Literaturstudenten geprägt hat, in verblüffender Widersprüchlichkeit zu orthodoxem Marxismus und mit Ausblicken in die neueste, „dekadente“ westliche Literatur vor allem im Leipzig Hans Mayers, geht nicht nur aus der neu aufgelegten Biographie, sondern auch aus Johnsons Klausuren und Verlagsgutachten hervor, die 1992 in zwei Bänden bei Suhrkamp, Johnsons Verlag, erschienen sind. Jeder kundige Rückblick von der Warte neuester Jetztzeit bestätigt die Langzeitwirkung von Johnsons Lebensthema geradezu verblüffend: „Der Untergang der DDR war das Beste, was der deutschen Literatur passieren konnte. Immer wieder beschäftigen sich Romanciers mit den privaten Wirklichkeiten im real existiert habenden Sozialismus …„ (Felicitas von Lovenberg, FAZ, 29.VI.2013). Manche Namen sind im hier gegebenen Kontext eher zufällige – nicht aber der andere und eine Name, der in diesen Zusammenhang gehört, nämlich der des Uwe-Johnson-Preisträgers Uwe Tellkamp. Dessen monumentaler „Turm“ aus dem Jahr 2008 steht als ein literaturgeschichtlicher Meilenstein des deutsch-deutschen Romans allerdings in Johnsons Nachfolge, ein Gegenentwurf zu Günter Grass` völlig und grotesk missglücktem „Weiten Feld“. Tellkamp hat letzteres selbst so gesehen. Der Rückblick von heute aus erkennt zudem die gesellschaftskritische Linie, die, ausgehend von der Schilderung der DDR, wie sie seit Uwe Johnsons ebenfalls monumentalen vierbändigen „Jahrestagen“ vorliegt, bis zu dem Jüngeren sich erstreckt. Wie wiederum die „Jahrestage“ durch die Begegnung mit Hannah Arendt in New York und aus deren Totalitarismustheorie heraus modelliert wurden, ist in der nachstehenden Biographie nachzulesen. Ebenso, dass an Johnsons Abschlusswerk der Jahrhundertschriftsteller Thomas Mann mit seinem deutsch-repräsentativen Literaturbegriff Pate gestanden hat, - eine Nähe, die sich bei Tellkamp stilistisch unübersehbar kundtut. Es offenbaren sich literaturgeschichtliche Wirkungslinien.
Von eigener Ironie erscheint hierbei, dass Tellkamps Roman für viele auch ein Schlüsselroman ist – wobei die aus den „Vorbildern“ Stefan Hermlin und Peter Hacks komponierte Figur des „Eduard Eschschloraque“ nicht nur als ein „sprechender Name“ wiederum in der Thomas-Mann-Nachfolge vor uns steht, sondern mit Hermlin auch einen Akteur bezeichnet, der zum Zustandekommen der Johnson-Biographie einiges beigetragen hatte. Er hat dies zwar im Bewusstsein getan, es ginge um die Rekonstruktion der Geschichte eines im „unmenschlichen Westen“ letztlich unheilbar Gestrandeten – das ändert aber nichts an der kollegialen Dimension von Hermlins Hilfestellung, wenn er wesentliches Material aus dem Leipziger Universitätsarchiv ans Licht zu befördern vermochte. Hier hatte einer Einfluss im alten und ganz gewiss eher „zentralistischen“ als „demokratischen“ System der DDR. Doch „Eschschloraque“ nutzte seinen damaligen Einfluss im Interesse eines „Republikflüchtlings“. In der Kurt-Fischer-Straβe erkundigte sich Stefan Hermlin damals nach Reisezielen und Reisezeiten des präsumptiven Johnson-Biographen; griff, im Beisein von Besucher und Ehefrau, zum Telefon und bestellte doch tatsächlich „allzeit offene Türen“ für den „Kollegen aus Norwegen“. Der enge Gefährte Erich Honeckers, mit dem er während des „Dritten Reichs“ gemeinsam inhaftiert war, handelte in der gleichen Gespaltenheit, einer Doppelheit aus Humanismus und Repression, die auch Tellkamps „Turm“ in seiner Nachfolge der DDR-Darstellung im Kielwasser der „Jahrestage“ kennzeichnet, - wobei beiden, Johnson wie Tellkamp, die gleiche objektive Distanz zu Grass` Geschichtsklitterung der DDR als einer „kommoden Diktatur“ in seinem „Fonty“-Roman zu eigen ist. Doch immer schon hatte Johnson, und das ist hier nachzutragen, mit groβer Hellsichtigkeit in Grass keineswegs einen wahren Freund erblickt (wenn einer diesen Titel zeitweilig hätte beanspruchen dürfen, so wäre das gewiss Martin Walser gewesen). Sondern er hat ihn als einflussreichen (weshalb die nachstehend zitierte Eintragung nur ins abgeschirmte „Merkbuch“ gelangte) Bekannten aufgefasst, der für ihn offenbar weniger ein Schriftsteller-Kollege, als vielmehr der gewiefteste aller literarischen public-relations-Fachmänner der damaligen westlichen Republik gewesen ist – und das lange bevor dieser „Moralist“ dann daranging, die über Jahrzehnte verschwiegene eigene SS-Zugehörigkeit publizistisch als das Häuten der Zwiebel zu vermarkten.
Johnsons in manchen Interviews geäuβerte Reserve gegen das kollektive Arbeiten der Schriftsteller und wohl auch gegen deren Verbände (so etwa im Gespräch mit Inge Dannemann, „Die Glocke“, Nr. 9, 1969) hatte offenbar eine ganz kräftige und bestimmende Wurzel in Johnsons Verhältnis zu Günter Grass. Im Zusammenhang mit der Frage nach Schriftsteller-Zusammenschlüssen wie etwa die „Gruppe 47“ lehnte Johnson nicht nur das damalige illusorisch-revolutionäre Wortgebaren des SDS ab, sondern wünschte sich, so im Interview, auch das Eintrittsgeld für Grass` Wahlveranstaltungen zurück, nachdem damals die vom Freund Grass gepriesene SPD ein Bündnis mit der CDU unter dem ehemaligen NSDAP-Mitglied Kiesinger eingegangen war. Dazu stimmt weiterhin, dass sich Johnson in einer Notiz in seinem „Merkbuch“