Franz Taut

Front ohne Helden


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      General Körner legte auf. Nun war es also doch so weit, sofern man den Überläufer nicht, wie gehabt, von drüben zur Irreführung herübergeschickt hatte.

      Der General wandte sich der Tür zum Nebenraum zu.

      »Hostege!«

      Die Tür ging auf. Major Hostege, untersetzt, mit rundem, rosigem Gesicht, erschien. Er war IIa im Divisionsstab und Adjutant.

      »Herr General?«, fragte er mit der ihm eigenen Beflissenheit.

      »Wir werden vermutlich einiges zu tun bekommen«, sagte General Körner. »Allem Anschein nach steht bei den Italienern etwas bevor. Wir tappen noch im Dunkeln – buchstäblich, denn es wird ja kaum mehr Tag.«

      In diesem Augenblick klopfte es an der Außentür. General Körner drehte sich um.

      »Herein!«

      Major von Talvern trat ein, straff aufgerichtet, die Schirmmütze unter den linken Arm geklemmt. Den rechten Arm reckte er steil hoch zum vorschriftsmäßigen »deutschen Gruß«. Für General Körner, der Talverns Einstellung zu kennen glaubte, war diese Übertreibung jedes Mal wie offener Hohn. Aber die Gesinnung eines Mannes war nicht zu reglementieren, und Talvern war im Übrigen ein hervorragender Offizier und Generalstäbler. Großen Wert legte er auf militärische Formen. Seine Feldbluse, mit dem Ritterkreuz und allen sonstigen Auszeichnungen dekoriert, war ebenso tadellos gebügelt wie die Breeches mit den breiten karminroten Streifen. Vor dem linken Auge saß das Monokel, jenes nicht mehr ganz zeitgemäße Attribut, das Talverns hagerem Gesicht einen Ausdruck von Arroganz verlieh.

      Er ging zu der Karte, die zwischen den beiden kleinen, vollständig vereisten Fenstern an der Wand befestigt war, und begann sofort mit seinem Vortrag. Die Division war in Alarmbereitschaft versetzt worden. Talvern hatte wieder einmal an alles gedacht.

      Mit einer Verbeugung zu General Körner hin beendete er seine Ausführungen.

      »Ich glaube, mehr können wir für den Augenblick nicht tun, Herr General.«

      »Ja, Talvern, das scheint mir auch so. Aber nehmen Sie doch Platz. Wie wär’s mit einem Cognac?«

      »Herr General wissen doch«, meinte Talvern mit mokantem Lächeln.

      »Ja, ja, ich weiß«, bestätigte General Körner trocken. Major Hostege brachte Gläser und eine Cognac-Flasche aus dem Bestand, den man vor dem Abmarsch aus Frankreich für die triste Zeit in Russland gesichert hatte. Steif schenkte Hostege ein, bevor auch er an dem kleinen Tisch Platz nahm.

      Der General bot Zigaretten an. Talvern förderte ein Päckchen englischen »Navy cut« zu Tage. »Von einem der italienischen Herren«, sagte er mit leichtem Grinsen. »Die Herren sind gut versorgt. Sie haben angenehme Quartiere, sogar vorn in den Stellungen habe ich einen gewissen Komfort vorgefunden. Anscheinend hat man sich auf einen längeren Aufenthalt eingerichtet.«

      Talvern beugte sich vor.

      »Es ist genau so, wie es im November bei den Rumänen gewesen sein soll. Dichter Nebel über dem Don und beiden Ufern. Seit zehn Tagen ist jede Luftaufklärung flach gefallen. Ich habe mir übrigens die vorbereiteten Auffangstellungen angesehen. Alles sehr schön. Aber wenn unsere Freunde überrannt werden wie vor kurzem die Rumänen! Wir kämen zweifellos in Teufels Küche, denn wir müssten nicht nur mit Front nach Norden, sondern auch mit Front nach Osten halten. Wenn der Russe die Italiener am Don angreift, müsste er gleichzeitig auch am Tschir angreifen.«

      »Dann«, warf Major Hostege, der bisher geschwiegen hatte, mit gepresster Stimme ein, »dann hätte Generaloberst Hoth keine Chance mehr, die Stalingradarmee zu erreichen.«

      »Hat er die überhaupt?«, fragte Talvern in sarkastischem Ton.

      Hostege hob den Kopf. Die Röte seines vollen Gesichtes vertiefte sich.

      »Ich muss doch bitten, Herr von Talvern. Die sechste Armee in Stalingrad hat das Wort des Führers.«

      »Hier geht es nicht um das Wort eines Mannes«, versetzte Talvern gereizt. »Hier geht es nicht um Mythen, Herr Hostege. Rund dreihunderttausend Mann sind an der Wolga eingeschlossen. Der Russe ist im Gegensatz zur offiziellen Auffassung ungeheuer stark geworden. Er hat sich seit dem Sommer in erschreckendem Ausmaß erholt. Das sind die Fragen, um die es jetzt geht.«

      »Glauben Sie, der Führer weiß das nicht besser als Sie?«, warf Hostege bissig ein.

      Talvern maß den anderen mit spöttischem Lächeln. »Sie machen es sich einfach, Herr Hostege. Der Führer wird’s schon richten, wie?«

      Hostege pumpte seine Lungen voll Luft, ehe er mit Pathos erklärte: »Ich glaube an das Wort des Führers.«

      Talvern nahm das Monokel ab und betrachtete es aufmerksam, als enthülle es ihm die Geheimnisse der nächsten Zukunft.

      »Sie werden sich noch wundern, Herr Hostege«, sagte er schließlich.

      General Körner hob beschwichtigend beide Hände. »Aber meine Herren! Jetzt ist doch nicht die Zeit für eine solche Auseinandersetzung!«

      Unbemerkt hatte sich die Tür geöffnet. Der Obergefreite Warnke stiefelte gemächlich herein.

      »Draußen steht ein italienischer Leutnant«, sagte er, ohne von der Anwesenheit der beiden Majore Notiz zu nehmen. »Er möchte sich bei Ihnen melden, Herr General.«

      General Körner erhob sich. Talvern und Hostege folgten seinem Beispiel.

      Mit kurzen, flinken Schritten kam Tenente Cornalli durch die Tür. Am Morgen war er mit dem Ia in Schepetowka eingetroffen. Er war schlank und kaum mittelgroß. Seine steingraue Uniform war noch eine Spur eleganter geschnitten als die des Ia. Sein welliges schwarzes Haar schimmerte im Lampenlicht wie gelackt, ebenso wie seine hohen, nach Maß gearbeiteten Stiefel. Er nahm Haltung an, verbeugte sich vor dem General und sagte: »Leutnant Cornalli, Verbindungsoffizier und Dolmetscher, meldet sich zur Stelle.«

      General Körner reichte dem Italiener die Hand.

      »Bitte, stehen Sie bequem, Herr Leutnant«, sagte er in freundlichem Ton. »Sie wollen also hier in Schepetowka mit uns Weihnachten feiern.«

      »Mit großem Vergnügen, Herr General«, erwiderte Cornalli in seinem etwas singenden, aber sonst einwandfreien Deutsch.

      Er verbeugte sich nun auch vor Talvern, der mit den Worten »Wir kennen uns ja von der Fahrt her« lässig abwinkte. Major Hostege dagegen sagte gespreizt: »Ich bin sehr erfreut, einem italienischen Kameraden und Achsenpartner die Hand zu drücken.«

      Himmel!, dachte Talvern, ein Zweihundertfünfzigprozentiger – dieser Hostege! Der General war nicht darum zu beneiden, den größten Teil seiner Zeit mit diesem Parteihengst zusammen zu sein. Im Übrigen war durchaus nicht klar, wozu dieser Fanatiker gegebenenfalls fähig war.

      Tenente Cornalli kippte den Cognac, der ihm angeboten wurde. Dann meldete er sich ab. Talvern schloss sich ihm an. Eine lange Nacht stand ihm bevor. Noch war alles still. Aber Talvern hatte es im Gespür, dass die ohnehin verdächtige Stille nicht mehr lange anhalten würde.

      Am Vormittag dieses 15. Dezember war die dritte schwere Batterie der ersten Abteilung des Artillerieregiments 786 in Lysselkowo eingerückt, zweiundzwanzig Kilometer vom Divisionsgefechtsstand entfernt.

      Hauptmann Martin, der Batteriechef, war bei seinen Männern beliebt. Aber jetzt hassten sie ihn und wünschten ihm alles Schlechte an den Hals. Vor einer halben Stunde, schon in tiefer Dunkelheit, hatte man sie aus den Quartieren gescheucht. Jetzt waren sie mit Spaten und Pickeln dabei, am Ortsrand von Lysselkowo Deckungslöcher in die verschneite, beinhart gefrorene Erde zu wühlen.

      Auf einem Meldekrad fuhr Hauptmann Martin umher und überzeugte sich vom Fortschritt der befohlenen Arbeiten. Zwar herrschte vollkommene Ruhe in der nächtlichen Schneewüste, die in dichten Nebel eingehüllt war, aber der alarmierende Anruf der Abteilung sagte genug.

      Als er die Feuerstellung am nördlichen Ortsrand verlassen hatte, fluchten die Kanoniere hinter