Ulrike Thurm

CGM- und Insulinpumpenfibel


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Mutter hatte ebenfalls Diabetes, war sehr schlecht eingestellt und ist im vergangenen Jahr an diabetischen Folgeerkrankungen verstorben. Im Vorfeld war ihr ein Bein amputiert worden und sie war mehrere Jahre dialysepflichtig. Kerstin hat die Mutter bis zu ihrem Tod gepflegt.

      Kerstin hatte in den letzten 12 Monaten 8 schwere nächtliche Unterzuckerungen, Werte unter 50 mg/dl treten mehrfach täglich auf, Werte unter 40 mg/dl mindestens jeden zweiten Tag. Sie nimmt ihre Hypoglykämien kaum mehr wahr, sieht niedrige Werte absolut nicht als Problem. Die schweren Unterzuckerungen ängstigen sie jedoch massiv. Sie verspricht sich von der Umstellung auf die Insulinpumpentherapie einen konstanten HbA1c-Wert von 5 % ohne schwere Hypoglykämien.

       Aktuelle Insulintherapie

       Fragen

      Welche Schwerpunkte müssen beim Erstgespräch gesetzt werden?

      Wie sollte die erste Basalrate und das I.E./BE-Verhältnis angesetzt werden?

      Wie kann man der Patientin in Bezug auf die angespannte psychische Situation helfen?

       Erstgespräch

      1.Kerstin muss dazu gebracht werden, auch dreistellige Blutzuckerwerte zu akzeptieren, um die Hypoglykämiesymptome zurückzuerlangen und um schwerwiegende hypoglykämische Folgeerkrankungen zu vermeiden (siehe Kap. 8). Ihre Blutzuckerwerte sollten in den ersten Wochen nach Umstellung auf die Insulinpumpe nicht unter 100 mg/dl liegen.

      2.Kerstin sollte umgehend aufgrund ihrer unrealistischen und übertriebenen Ängste vor diabetischen Folgeerkrankungen psychologische Hilfe in Anspruch nehmen (Adressen speziell geschulter Therapeuten aus dem Arbeitskreis Diabetes und Psychologie der DDG anbieten, z. B. über https://www.diabetes-psychologie.de/Psychotherapeutensuche).

      3.Kerstin sollte selbst über den Zeitpunkt der Therapieumstellung auf die Pumpe entscheiden, da dies wieder eine intensive Auseinandersetzung mit ihrem Diabetes bedeutet. Bis dahin muss sie allerdings kompromisslos an der Vermeidung schwerer Hypoglykämien arbeiten.

       Einstellungsziel:

      Die Vermeidung von Hypoglykämien ist absolut oberstes Therapieziel. Dies kann aber erst erreicht werden, wenn Kerstins mentale Situation halbwegs stabil ist. Eine intensive Kooperation zwischen Diabetesteam (Diabetesberaterin/Diabetologe) und dem Psychologen sind dafür eine unverzichtbare Voraussetzung.

       Therapieumstellung

      1.Kerstin hat sich auf eine Therapieumstellung inklusive Vermeidung aller zweistelligen Blutzuckerwerte eingelassen. Sie hat mehrere Wochen vor der Umstellung auf die Insulinpumpentherapie mit einer Psychotherapie bei einem speziell geschulten (DDG) Therapeuten begonnen.

      2.Ihre mentale Situation ist noch nicht stabil, die Themen Folgeerkrankungen und Hypoglykämie müssen vom Diabetesteam sensibel angesprochen werden.

      3.Gesamtinsulinmenge unter ICT: 30 – 35 I.E., davon mindestens 30 % abziehen, da das oberste Therapieziel ja die absolute Vermeidung von Hypoglykämien ist.

      4.Berechnung: 30 – 35 I.E. – 30 % = 21 – 23,5 I.E. (Beginn mit 21 I.E.). Die 21 I.E. werden zu 50 % auf die Basalrate und zu 50 % auf die Bolusgaben verteilt: 50 % von 21 I.E. = 10,5 I.E.

      5.Da Kerstin nur ein leichtes Dawn-Phänomen und den Diabetes bereits 12 Jahre lang hat, beginnt man mit einer Zwei-Blöcke-Basalrate: 3 Uhr – 8 Uhr = 0.5 I.E./h (2,5 I.E. in 5 Stunden) und 8 – 3 Uhr = 0.4 I.E./h (7,6 I.E. in 19 Stunden), ergibt eine Gesamt-Basalrate von 10,1 I.E./24 h.

      6.Die Start-Basalrate wird ab dem nächsten Tag durch Mahlzeiten-Auslassversuche getestet und angepasst.

      7.Die I.E./BE-Verhältnisse sollten vorsichtshalber reduziert werden, um das oberste Therapieziel, die zuverlässige Vermeidung von Unterzuckerungen, nicht zu gefährden.

      8.Bei Kerstin müssen ganz strikte Korrekturregeln festgesetzt werden, d. h. Blutzuckerwerte bis 180 mg/dl werden NICHT korrigiert, der Korrekturfaktor wird großzügig gewählt (1 I.E. senkt den Blutzucker um 60 mg/dl), erneute Blutzuckerkorrektur frühestens nach 3 Stunden.

      9.Es ergibt sich folgendes Start-Therapieschema:

       Beispiel C

      Manfred, langjähriger Typ-1-Diabetiker, Diabetesdauer 35 Jahre, HbA1c-Wert 10,2 %, Sehfähigkeit des rechten Auges bei 5 %, das linke Auge muss aufgrund einer fortgeschrittenen Retinopathie gelasert werden.

      Der Augenarzt hat vor dem Lasertermin dringend eine Stabilisierung und Neueinstellung des Diabetes empfohlen.

      Manfred ist Frührentner, war Polizist, hat sich in den letzten 5 Jahren mit einer ICT behandelt und ist gut geschult. Die Motivation, sich um seinen Diabetes zu kümmern, nahm jedoch aufgrund der massiven Retinopathie und der Frühberentung vor 3 Jahren deutlich ab.

      Seit er aus dem Polizeidienst austreten musste, hat er deutlich zugenommen, gibt an, öfter etwas zu trinken, ist bei einer Körpergröße von 1,85 m mit 125 kg deutlich übergewichtig (BMI 36,5 kg/m²), hat schlechte Blutfettwerte und grenzwertig erhöhte Blutdruckwerte.

      Er hatte in den letzten 12 Monaten keine schweren Unterzuckerungen, misst ca. 2 – 4-mal täglich seinen Blutzucker. Er dokumentiert den Blutzucker nicht, Werte unter 50 mg/dl maximal 1/Woche, Werte unter 40 mg/dl sind nicht in seinem Messgerätspeicher zu finden. Er hat eine gute Hypoglykämiewahrnehmung bei Werten um 60 mg/dl.

       Aktuelle Insulintherapie

       Fragen

      Welche Schwerpunkte müssen beim Erstgespräch gesetzt werden?

      Wie sollten die erste Basalrate und das I.E./BE-Verhältnis angesetzt werden?

      Wie geht man bei der Umstellung mit dem lang wirkenden Analoginsulin Lantus um?

       Erstgespräch

      1.Besteht ausreichend Motivation, sich auf eine Umstellung einzulassen, Bereitschaft, sich mit der Insulinpumpe auseinanderzusetzen, die Werte zu dokumentieren, enge Kooperation mit dem Diabeteszentrum, Wunsch zur Verbesserung der Gesamtstoffwechselsituation?

      2.Zur Verbesserung der gesamten Stoffwechselsituation ist noch mehr erforderlich: Ernährungsumstellung/-beratung