Uwe Post

e-tot


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      »Herein«, sagt Paul. Es wird schon kein Räuber oder Staubsaugervertreter sein.

      Die Wohnungstür klappt auf, und eine Frau tritt ein. Paul hat sie noch nie zuvor gesehen. Schminke, Kleidung und Oberweite lassen allerdings keine Zweifel an den Absichten der Besucherin aufkommen.

      »Hallo, ich bin Emma.« Eine tiefe Stimme, ein Hauch von Duft. Dunkle, gelockte Haare, silberne Armreife, exotisch, eindeutig.

      »Ich …« Paul lächelt verlegen. »Ich habe eine Freundin.«

      Emma nähert sich, hinter ihr schließt sich die Wohnungstür automatisch. »Glaubst du, sie wird uns hier überraschen?«

      »Wohl kaum«, sagt Paul. »Sie lebt noch.«

      »Dann musst du ja ganz einsam sein«, flüstert Emma.

      Paul hebt abwehrend die Hände. Das geht ihm dann doch zu schnell. »Ehrlich«, sagt er, »da muss ein Missverständnis vorliegen.«

      »Wir können uns auch einfach nur unterhalten«, sagt Emma mit normaler Stimme. »Ich bin ein Multifunktions-Bot.«

      »Oh«, staunt Paul. »Du bist … gar nicht echt?«

      »So echt wie das Joghurt auf deinem T-Shirt, Süßer.«

      Erleichtert zeigt Paul auf das Sofa. Mit Joghurt sprechen, das traut er sich gerade noch zu. »Sollen wir uns setzen?«

      »Natürlich«, sagt Emma. »Soll ich dir die Füße massieren? Das entspannt!«

      »Nein!«, ruft Paul. »Das kitzelt!«

      Emma lächelt den Einwand fort. »Du bist süß.« Sie zeigt zum Tisch. »Das Handbuch hast du vollständig gelesen?«

      »Natürlich«, lügt Paul.

      »Dann weißt du, dass das Anfänger-Tutorial nur an den ersten drei Tagen zur Verfügung steht.«

      »Welches Anfänger-Tutorial?«

      Emma lacht kurz und hell. »Du bist wirklich süß. Ich bin das Anfänger-Tutorial.«

      »Ach so«, brummt Paul. »Und ich dachte schon, wir könnten vielleicht Freunde werden.«

      »Sweetheart«, sagt Emma, »such dir dafür lieber echte Menschen. Bots sind als Freunde in etwa so hilfreich wie Erdbeerjoghurt.«

      Paul schaut sich betreten das Teppichmuster an. Es erinnert ihn an etwas, aber er kommt einfach nicht drauf.

      Dann spürt er Emmas Hand auf seinem Knie. Er sieht sie an, findet Mitgefühl in ihrem Lächeln, ganz ohne Spott oder Überheblichkeit. »Es gibt Stammtische, Sportvereine und Selbsthilfegruppen«, sagt sie ruhig. »Such dir was aus und geh durch diese Tür hinaus in die Welt. Keine Sorge, sie ist tausendmal lebendiger als ein Friedhof. Aber den ersten Schritt musst du selbst tun, niemand nimmt ihn dir ab.«

      »Verstehe ich«, murmelt Paul. »Früher habe ich gerne gekickt. Hat Spaß gemacht mit den Jungs.«

      Emma nickt. »Das ist doch ein Anfang.« Dann hält sie ihm ein Tablet hin, dessen Bildschirm ein fröhliches Emoji zeigt. »Bitte bewerte dieses Tutorial!«

      »Aber es gibt nur eine Option!«

      »Oh, das muss ein Fehler sein«, sagt Emma und lächelt unverbindlich. »Aber wolltest du wirklich …?«

      »Nein, nein!«, versichert Paul und tippt auf das Emoji.

      »Danke«, sagt Emma. »Und wenn du mich in den nächsten Tagen nochmal brauchst …«

      »Dann rufe ich an?«

      »Nein«, versetzt Emma, »du musst dich nur einsam fühlen. Tschüssi!«

      Damit lässt sie ihn stehen und geht.

      Paul starrt die geschlossene Tür noch lange an. Er hat den dringenden Verdacht, dass ihm der Server seine Traumfrau geschickt hat. Maßgeschneidert gewissermaßen, schließlich kennt das System alle seine Vorlieben.

      Und was hat er mit ihr gemacht? Nur geredet.

      Das hier ist der E-Tod, wieso sollte jemand mit der perfekten Frau nur plaudern, statt ins Bett zu gehen?

      Paul hat das unbestimmte Gefühl, dass etwas mit ihm nicht stimmt. Aber diesen Gedanken wischt er fort. Er sucht im Handbuch nach Links zu Freizeit-Fußballmannschaften und findet einen gewissen FC Südfriedhof.

      Im Handumdrehen hat er ein Probetraining vereinbart. Paul geht hinunter auf die Straße und wartet auf den Bus. Eigentlich könnten E-Tote ja ohne Zeitverlust reisen, so ähnlich wie Avatare in einem Rollenspiel. Aber auf e-tot.de ist das ein Premium-Feature: Der Bus ist kostenlos, die U-Bahn immerhin für zwei Fahrten pro Woche, aber für jeden Tür-zu-Tür-Eiltransport verlangen sie zwei Coins neunzig.

      Zum Glück hat Paul jede Menge Zeit.

      Der Bus ist rot und doppelstöckig. Über die Außenseite flimmert Reklame für die neue Netflix-Serie mit Arnold Schwarzenegger. Unten sitzt eine Art Kegelclub und trinkt Eierlikör um die Wette. Paul sucht sich einen Platz auf dem Aussichtsdeck, das bis auf einen auf der Rückbank pennenden Trottel leer ist.

      Paul genießt die Tour durch die sommerliche Stadt und kann sich nicht sattsehen: Apartments, Parks, Shops und Spielhallen folgen in buntem Wechsel, während der Bus sich dem Viertel namens Südfriedhof nähert.

      Als er am Sportplatz eintrifft, nimmt Paul sofort ein Fußballer mit Bart und Glatze in Empfang. »Leo!«, ruft er.

      »Nein, Paul«, sagt Paul.

      »Witzig«, sagt Leo. »Du kommst genau richtig.«

      »Was heißt das?« Verwirrt sieht Paul sich um. Am Spielfeldrand machen sich einige Fußballer warm, und ungefähr die Hälfte trägt nicht die schwarzbraunen Trikots des FC Südfriedhof, sondern blau-weiße.

      »Schnell, zieh dich um, gleich ist Anstoß und ohne dich wären wir nur neun!«

      »Aber …« Paul zögert, schaut sich den Gegner an. Hauptsächlich ältere Herren, viele davon mit beträchtlichem Übergewicht. Die schnaufen jetzt schon, als hätten sie 90 Minuten in den Knochen.

      »Wo ist die Kabi…«

      »Keine Zeit!«, drängt Leo und drückt ihm einen Satz Spielkleidung in die Hand. »Mach schon, dir guckt schon keiner den schwarzen Balken weg. Kannst du links hinten spielen?«

      »Äh«, macht Paul und schält sich aus seinen Klamotten. »Ich hoffe es«, gibt er zurück.

      Kaum steckt Paul im Friedhofsbraun seines Teams, beginnt das Spiel.

      Die Zeit vergeht wie im Flug, aber der Gegner ist stärker als erwartet. Kurz vor Schluss steht es 0 : 0 und der Torwart wirft den Ball zu Paul. »Alles nach vorne!«, ruft Lasse, der Kapitän. Paul schlägt die Pille mit aller Kraft Richtung gegnerischer Strafraum. Der hochgewachsene Südfriedhof-Mittelstürmer streckt sich, erwischt den Ball und schießt.

      Das Kunstleder fliegt knapp am Tor vorbei.

      »Der hätte doch drin sein müssen!«, schreit Kevin. »Scheiß Simu!«

      Kurz darauf ertönt der Schlusspfiff.

      Während Kevin zum Schiri rennt und anfängt, ihn wüst zu beschimpfen, klopft Leo Paul auf die Schulter. »Gar nicht schlecht!«

      »Danke«, bringt Paul hervor und stöhnt.

      »Warst du früher ein bekannter Profi? Paul … Pogba vielleicht?«

      Paul lacht, dann hält er sich die Seite. Der Server ist da gnadenlos: Kein Training, ergo Seitenstiche. »Nochmal danke«, sagt er. »Paul Stein. Der Pogba lebt meines Wissens noch. Hab ihn letztens als Experten bei irgendeinem Europapokalspiel gesehen.«

      Hinter Paul gibt es Geschrei, er dreht sich um und sieht, dass mehrere Kameraden Kevin davon abhalten müssen, dem Schiri eine runterzuhauen.

      »Schlechter