Unterschied zwischen diesem öden Unort und der Weide an einem von Zedern gesäumten Weg in Palo Alto, wo Muybridge seine Bilder aufnahm, ist also genauso groß wie die Technikkultur, innerhalb derer ihre jeweiligen Erfinder operierten. Muybridges Erfindung war Teil der zweiten industriellen Revolution. Hatte die erste dank der Dampfmaschine die körperliche Arbeit automatisiert, mechanisierte die zweite mit Hilfe der Elektrizität die Wahrnehmung: Der Hörsinn wurde durch Telefon und Grammofon technisch erweitert, das Sehen durch Glühbirne, Fotografie und Film.
GIF gehört zur dritten industriellen Revolution, in der Arbeitsprozesse und Dienstleistungen digitalisiert wurden. Es ist zunächst nicht mehr als eine Marginalie, ein winziger Baustein im Prozess der Entmaterialisierung und Mobilisierung von Informationen, der mit der Durchsetzung des Internets ganze Branchen im Sinne eines postfordistischen kognitiven Kapitalismus umformte und den viele Unternehmen nicht überlebten – ironischerweise auch CompuServe, das wenige Jahre später Opfer seines eigenen Erfolgs werden sollte.
Das Unternehmen war ein US-amerikanischer Konzern, der ähnlich wie IBM in der Nachkriegszeit den Fortschritt der Computertechnik für die sich entwickelnde Dienstleistungsgesellschaft nutzte. Die Firma war 1969 als Tochterunternehmen der Golden United Life Insurance gegründet worden, um einen Zentralcomputer zu betreiben, von dem aus die Büros der Versicherungsfirma in den gesamten USA Zugriff auf die Verträge ihrer Kunden hatten. Weil der PDP-10-Computer, der hierfür angeschafft worden war, mit dieser Aufgabe nicht ausgelastet war, verkaufte man bald Rechenzeit auf der Maschine an andere Unternehmen – ein Verfahren, das zu dieser Zeit als »Time Sharing« bekannt war und das man heute als »Cloud Computing« bezeichnen würde. 1979 öffnete sich CompuServe für Privatkunden, um seine Infrastruktur auch in der Nacht auszulasten, wenn die Geschäftskunden den Dienst nicht benutzten.21
Frühe Personal Computer (PC) wie der Apple II oder der Commodore PET konnten ab 18 Uhr für neun Dollar pro Stunde mit den Rechnern der Firma verbunden werden. So entstand in den achtziger Jahren das größte Online-Portal für Privatkunden in den USA. Schon 1981 bot man Online-Versionen von Zeitungen wie der New York Times oder der Washington Post an. Es gab E-Mail, Börsenkurse, Spiele, Online-Shopping, Reisebuchungen und Diskussionsforen sowie Bild- und Software-Sammlungen, die von den Usern mit Inhalt gefüllt wurden.22 CompuServe war fast wie das Internet von heute, bloß mit einem Geschäftsmodell, das anders als bei Firmen des gegenwärtigen Überwachungskapitalismus wie Google oder Facebook nicht vorsah, das Geld mit Online-Werbung und Kundendurchleuchtung zu verdienen. Ab 1994 bot CompuServe seinen Kunden Zugang zum Internet an.
Dieses nicht-kommerzielle Netz, in dem alles kostenlos war, zerstörte in der Folge die Einnahmequellen der Firma. Das Internet war von Akademikern und Hackern entwickelt worden, die nicht an Gewinnmargen dachten, sondern ein neues Instrument zur Verbreitung von Informationen bauen wollten. Eine Firma, die mit der Verwaltung einer knappen Ressource – dem Zugang zu Rechnerzeit auf teuren Computern – Geld verdient hatte, konnte in diesem neuen Umfeld mit seiner Geschenkökonomie und seinem nutzergenerierten Überfluss nicht überleben. 1997 wurde CompuServe an AOL verkauft, wo man den Dienst nach und nach ins eigene Angebot einordnete. 2009 wurde die Firma, die zu dieser Zeit nur noch ein Markenname war, aufgelöst.
Das GIF war wie eine Laborratte, die rechtzeitig aus der Forschungsabteilung einer behäbigen big corporation entkommen konnte, bevor die New Economy der schlanken, datengetriebenen Unternehmen der Firma den Garaus machte.
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