die Rede sein. Über die Methoden und Präparate, die einen „humanen“ Tod der Verurteilten herbeiführen, wird weiterhin heftig diskutiert, mitunter mit bizarren Vorschlägen.
So hat der Generalstaatsanwalt von Oklahoma angekündigt, künftig Hinrichtungen mit Stickstoffgas durchführen zu wollen. Auch die US-Bundesstaaten Louisiana und Alabama denken über derartige Hinrichtungs-Methoden nach. „Die Exekution durch Gas ist eine barbarische Praxis, es gibt keinen Grund zu glauben, diese sei sicherer oder humaner als andere Verfahren“, kritisiert der Menschenrechtler und Anwalt Dale Baich. Im Juli 2019 brachte Justizminister Barr die Wiederaufnahme auf die politische Agenda. Die Absicht steht im Widerspruch zur Entwicklung in den Bundesstaaten.
Beispiel Colorado: als 22. US-Bundesstaat schafft es die Todesstrafe für Straftaten ab, die ab dem 1. Juli 2020 zur Todesstrafe geführt hätten. Gouverneur Jared Polis hatte am 23. März 2020 die Gesetzesänderung unterschrieben und die verhängten Todesstrafen dreier Gefangener in lebenslange Haftstrafen umgewandelt. Er begründete die Gesetzesänderung damit, dass die Todesstrafe in Colorado niemals gerecht verhängt wurde und verhängt würde.
Mittlerweile haben 50 Bundesstaaten die Todesstrafe abgeschafft, die Zahl der Hinrichtungen ist von 98 im Jahr 1999 auf 22 im Jahr 2019 gesunken. Eine erfreuliche Entwicklung. Doch trotz Rückgang: noch immer ist die Hälfte der Amerikaner für die Vollstreckung der Todesstrafe. Das wissen auch Politiker, die gewählt werden wollen. Und das weiß auch Donald Trump, einer der glühendsten Anhänger der Todesstrafe.
Von archaischen Todesstrafen bis hin zur Giftspritze – die Bilanz ist ambivalent und es stellt sich die Frage: Ist eine Enthauptung in Saudi-Arabien barbarisch, eine Exekution mit einer Giftspritze „modern“? In den USA gilt der Tod durch eine Giftspritze tatsächlich als „moderne“, weil „humane“, weil „saubere“ Hinrichtungsart, als wegweisender Fortschritt, als Akt der Humanität. Die Notwendigkeit der Todesstrafe wird von vielen US-Bürgern kaum angezweifelt, doch rechtsstaatlich-modern soll sie vollstreckt werden. Mit den grausamen Hinrichtungsritualen der Vergangenheit freilich sollen sie nichts mehr gemein haben – aber mit der Abschaffung der Todesstrafe tun sich einige Bundesstaaten in den USA noch immer schwer. Im zurückliegenden US-Wahlkampf trat nicht nur der Republikaner Donald Trump für die Beibehaltung der Todesstrafe ein.
Immerhin: Deren Gegner dürften es begrüßen, dass die USA erstmals seit 2006 nicht mehr zu den fünf Staaten mit den meisten Exekutionen zählen. Das ist allerdings nicht unbedingt Ausdruck eines Sinneswandels. In manchen Staaten wurden Hinrichtungen mit Klagen gestoppt, die sich auf die Vorschriften für Exekutionen bezogen. Und manche Bundesstaaten haben schlicht Probleme, Medikamente für Hinrichtungen zu beschaffen.
Tatsache ist: Ein Pharmaunternehmen nach dem anderen hat in den vergangenen Jahren die Lieferung von tödlichen Wirkstoffen gestoppt. Die Europäische Union hat den Export sogar verboten. Europa ist auf der Karte der Todesstrafen-Staaten ein nahezu vollständig weißer Fleck. Auch hier gab es eine jahrhundertelange Tradition staatlichen Tötens. Dies gehört der Vergangenheit an.
Um Versuche, die Todessstrafe jeweils „zeitgemäß“, „modern“ und „human“ zur Durchführung zu bringen, darum geht es auf den folgenden Seiten. Wenn dabei immer wieder das amerikanische Rechtssystem und seine Justiz Gegenstand der Betrachtung ist, dann auch deshalb, weil die USA die einzige westliche Demokratie sind, die bis heute in einigen ihrer Bundesstaaten an der Todesstrafe festhält. Präsident Trump hat sich wiederholt als glühender Verfechter der Todesstrafe geoutet, zuletzt als Befürworter für die Wieder einführung der Todesstrafe auf Bundesebene ausgesprochen. Auch Terroristen und Drogendealer gehörten hingerichtet, forderte er mehrmals.
Dass die Todesstrafe nun auf Bundesebene wieder vollzogen werden soll, steht im Weg der Gut-Böse-Denklogik der Trump-Präsidentschaft. Die Wiederaufnahme von Hinrichtungen auch für Verurteilte in den Bundesgefängnissen stellt die USA auf eine Ebene mit China, Iran und Regimen ähnlicher Qualität, auch für den Preis, dass ihre rechtstaatliche Glaubwürdigkeit schweren Schaden nimmt.
Nicht nur hier wird sichtbar: Hinrichtungen sind nicht allein ein Instrument des Strafrechts, sondern immer auch Ausdruck der Gesellschaftsordnung und ihrer politischen, religiösen und juristischen Weltbilder. Oder deutlicher: des stillschweigenden Einverständnisses der Mehrheit der Bürger mit dem System staatlichen Tötens.
Aufklären will das Buch. Das ist das Mindeste.
Helmut Ortner, im Juli 2020
EINLEITUNG
Wenn der Staat tötet – Das lange Warten des Troy Davis
Kurz bevor Troy Davis das Gift in die Armvenen gespritzt wird, hebt der 42-jährige Afroamerikaner, festgeschnallt auf der Liege der Exekutionskammer, noch einmal seinen Kopf. Seine Blicke wandeln durch den Raum. Ein letztes Mal will er seine Unschuld beteuern, den Anwesenden seiner Hinrichtung sagen, dass nicht er es war, der den Polizisten Mark Allen MacPhail erschossen hat: „Ihr sollt wissen, dass ich nicht derjenige bin, der euren Sohn, euren Vater, euren Bruder getötet hat. Ich bin unschuldig. Ich hatte keine Waffen.“ Wenige Sekunden später wirkt das Schlafmittel, dann das tödliche Gift. Am 21. September 2011 um 23.08 Uhr Ortszeit stirbt Troy Davis im Gefängnis von Jackson im US-Bundesstaat Georgia. Zwei Jahrzehnte hat Davis im Todestrakt auf seine Hinrichtung gewartet. Warten müssen.
Seine Hinrichtung war eine der umstrittensten der an fragwürdigen Exekutionen nicht armen US-Justizgeschichte. Nur aufgrund von Zeugenaussagen hatte ihn ein Geschworenengericht bereits 1991 wegen des Mordes an dem weißen Polizisten zum Tode verurteilt. Eine Tatwaffe, DNA-Spuren oder konkrete Beweise wurden nie gefunden. Dreimal stand das Vollstreckungsdatum fest, dreimal gelang es den Anwälten, Aufschub zu erwirken. Schließlich hatten sieben der neun Hauptbelastungszeugen ihre Aussagen zurückgezogen und erklärt, den Angeklagten nur auf Druck der Polizei belastet zu haben. Der achte Zeuge war psychisch krank und der neunte – letztlich einzig verbleibende Zeuge – war der zweite Hauptverdächtige für den Mord.
Trotzdem bestätigte Richter William Moore im August 2010 das Todesurteil: „Der Fall ist zwar nicht vollkommen wasserdicht, die meisten Mitglieder einer Jury würden jedoch Mister Davis wieder wegen Mordes an dem Officer MacPhail verurteilen. Ein Bundesgericht kann sich nicht anmaßen, das Urteil einer Jury zu missachten, wenn die Unschuld des Angeklagten nicht zweifellos bewiesen ist.“
Über lange Jahre hatte sich die Menschenrechtsorganisation Amnesty international für Davis’ Begnadigung eingesetzt. Weltweit unterzeichneten fast eine Million Menschen eine Petition gegen die drohende Hinrichtung. Auch Abgeordnete der Europäischen Union, der ehemalige US-Präsident Jimmy Carter, ja selbst Papst Benedikt XVI. richteten Gnadenappelle an die US-Behörden. Ohne Erfolg. Troy Davis wurde mit Gift im Namen des Gesetzes aus dem Leben befördert, wie viele vor ihm. Und die Mehrzahl der Amerikaner war auch nach dieser Hinrichtung der Meinung, dass damit der Gerechtigkeit einmal mehr Genüge getan wurde. Schließlich gilt die legale Injektion, so der Fachbegriff für den Tod durch die Giftspritze, als die humanste aller Hinrichtungsmethoden – und als die modernste. „Modern“ ist in diesem Zusammenhang, was als „human“ angesehen wird. Im Zirkelschluss: Was als human gilt, was also den ethisch-kulturellen Standards einer Gesellschaft entspricht, das wird gerne als „modern“ bezeichnet.
In den USA wird der Tod durch eine Giftspritze bis heute als moderne, weil humane, weil „saubere“ Hinrichtungsart verstanden. Als wegweisender Fortschritt, als Akt der Humanität – trotz der Komplikationen und damit verbundenen Debatten, die es gibt, seit die USA keinen Nachschub mehr für ihren Giftspritzen-Cocktail von Pharmafirmen aus Europa bekommen. Nicht nur vor dem Hintergrund der skandalösen Vorkommnisse bei Giftspritzen-Exekutionen wird in den USA – wieder einmal – grundsätzlich über die Rechtmäßigkeit und Sinnhaftigkeit der Todesstrafe gestritten. Das gesamte Verfahren der angeblich so humanen und schmerzfreien Hinrichtungen steht damit mehr denn je in Frage.
Die Hoffnung war deshalb groß, als parallel zur Präsidentenwahl im November 2016 in gleich drei Bundesstaaten – Kalifornien, Nebraska und Oklahoma – die Bürger aufgerufen wurden, über die Zukunft der Death Penalty abzustimmen. Und das