dass die Zahl der Toten in den westlichen Armeen ab den 1950er Jahren im Verhältnis zum hohen Niveau der beiden Weltkriege stetig abnahm: Im Indochinakrieg (1946–1954) und im Algerienkrieg (1954–1962) verloren die französischen Armeen weniger Soldaten im Kampf als während der Grenzschlachten am 22. August 1914 allein. Die amerikanischen Verluste in Korea beliefen sich auf 36 000 Personen. Die Namen aller rund 58 000 im Vietnamkrieg getöteten und verschwundenen Amerikaner*innen sind in das von Maya Lin entworfene Vietnam Veterans Memorial in Washington eingemeißelt. Der Architekt der einige Hundert Meter weiter gelegenen amerikanischen Gedenkstätte für den Zweiten Weltkrieg musste auf ein Symbol zurückgreifen, um den Umfang der Verluste sichtbar zu machen: Das Bauwerk ist mit 4048 goldenen Sternen besetzt, von denen jeder hundert verlorene Leben repräsentiert. Diese stetige Abnahme an Verlusten im Westen erklärt sich aus dem Fortschritt der frontnahen medizinischen Einheiten, der Entwicklung der Notfall-Chirurgie, der Verbreitung des Penizillins und dem schnellen Abtransport von Patient*innen per Helikopter. Anders sieht es aus, wenn wir die Perspektive wechseln: Ungefähr 800 000 nordkoreanische und chinesische Soldat*innen, 150 000 südkoreanische Soldat*innen und über 2 Millionen Zivilist*innen starben im Koreakrieg, 1 Million Soldat*innen der nordvietnamesischen Streitkräfte und des Vietcong verloren während des Vietnamkrieges ihr Leben.
Lokal überlagerten sich häufig verschiedene Arten von Konflikten. Nehmen wir zum Beispiel den Koreakrieg, der am 25. Juni 1950 mit dem Einmarsch nordkoreanischer Truppen in Südkorea ausbrach. Mit Unterstützung der Sowjetunion und Chinas kämpften die nordkoreanischen Kommunist*innen gegen das nationalistische Regime Syngman Rhees, dem die USA an der Spitze einer internationalen Koalition zur Seite standen – es war der erste Krieg, in dem die UNO eine Rolle spielte. Ab Oktober 1950 wurde der Koreakrieg zu einem Krieg zwischen den Vereinigten Staaten und China, dem der Konflikt Gelegenheit zu einem tiefgreifenden Umbau seiner Armee bot. Außerdem war der Koreakrieg ein Bürgerkrieg der Nationalist*innen gegen die Sympathisant*innen der Kommunist*innen und in den nordkoreanisch kontrollierten Zonen die Gelegenheit, die Kollaborateur*innen des südkoreanischen Regimes zu unterdrücken. Diese drei Dimensionen, die globale, die internationale und die regionale, fanden sich in fast allen Konflikten des Kalten Krieges wieder, ob in Südamerika, in Afrika oder in Asien. Das legt nahe, sich mehr um eine Dezentrierung des Blicks zu bemühen.
Es genügt nicht, sich nur die Frage nach dem Warum einer Globalgeschichte des Krieges zu stellen. Wir müssen uns auch fragen, an wen sie sich richtet. Am 16. März 1968 wurden in My Lai mehr als fünfhundert vietnamesische Dorfbewohner*innen von den amerikanischen Soldaten der Charlie Company niedergemetzelt. Nachdem dies im Sommer 1969 ans Licht gekommen war, wurde, was zunächst als »Zwischenfall« dargestellt worden war, schnell als Verletzung des Kriegsrechts wahrgenommen. Als Symbol der in Vietnam begangenen amerikanischen Gräueltaten in den Augen eines Teils der Weltöffentlichkeit (ein globales Ereignis also), wurde My Lai von den vietnamesischen Kommunist*innen, die lieber die Opfer der Revolutionsarmee feierten, lange stillschweigend übergangen. Außerdem waren es auf lokaler Ebene weniger das Ausmaß des Massakers als seine Folgen für den Ahnenkult, die die Überlebenden trafen. Die Zivilist*innen in My Lai hatten einen gewaltsamen Tod gefunden. Nach der vietnamesischen Tradition waren sie deshalb dazu verdammt, als ruhelose Geister umherzuirren. Während es für die Kritiker*innen aus dem Westen eine Menschenrechtsverletzung war, wurde das Massaker von My Lai von den Dorfbewohner*innen selbst als eine Schändung erlebt. Eine Globalgeschichte des Krieges zu schreiben bedeutet auch zu versuchen, den Toten und Überlebenden eine Stimme zu geben.
—
Mit dem Ende des Kalten Krieges in den 1990er Jahren hofften viele auf einen globalen Rückgang der Gewalt. Zwanzig Jahre später entwickeln norwegische Politikwissenschaftler*innen weiterhin statistische Modelle, um dem Ausbruch von Konflikten vorzubeugen: Zur Vermeidung des Übels würde es genügen, die »bedrohten Länder« zu identifizieren und die Vereinten Nationen mit einer genauen Überwachung zu beauftragen, die von gezielter ökonomischer Unterstützung begleitet würde. »2050 wird die Zahl der kriegführenden Länder halbiert sein«, versprechen sie. Diese Versuche, die Entwicklung der Kriege umfassend zu erklären, sei es durch eine von der Philosophie der Aufklärung inspirierte vage Fortschrittsideologie, sei es durch eine einigermaßen unbekümmerte Modellierung der menschlichen Komplexität der Konflikte, prallt auf eine schwer zu bestreitende Wirklichkeit: Die Kriege sind heute nicht nur zahlreicher, sondern auch besonders mörderisch – wie der paroxysmale Völkermord an den Tutsi in Ruanda gezeigt hat.
Die erste Behauptung stützt sich auf die spektakuläre Häufung von Bürgerkriegen (Jugoslawien, Sierra Leone, Darfur, DR Kongo, Kaukasus, Afghanistan, Syrien …), in bestimmten Ländern parallel zu oder infolge von Staatsgründungen, die wie im Irak oder in Libyen ihrerseits von desaströsen westlichen Militäreinsätzen angestoßen oder beschleunigt wurden. Von dem großen Soziologen Charles Tilly stammt der berühmte Ausspruch: »Krieg führte zum Staat und der Staat führte Krieg.«16 Mit dem Zusammenbruch der Kolonialreiche und des kommunistischen Blocks, der Zunahme fragiler Regime und der Legitimitätskrise der Nationalstaaten trat der traditionelle Krieg im Sinne zwischenstaatlicher Konfrontationen in den Hintergrund und machte einer anarchischen Kriminalität oder Konflikten niedriger Intensität Platz, deren Kombattant*innen mit den Soldaten der zwei Weltkriege nicht mehr viel gemein haben. Auf dem Balkan, in Mitteleuropa und in den ehemaligen Sowjetrepubliken war die nationalistische Büchse der Pandora geöffnet worden. Es verbreiteten sich separatistische Konflikte wie im Donbass in der Ukraine oder in Ossetien und Abchasien in Georgien. Bis 1990 nutzten die afrikanischen Diktaturen mit Unterstützung der alten Kolonialmächte oder einer der beiden Supermächte ihren Staatsapparat dazu, die komplette politische Opposition zum Schweigen zu bringen. Nach dem Ende des Kalten Krieges hat sich die Situation umgekehrt. Die wirtschaftlich geschwächten und zur Ausübung ihrer hoheitlichen Funktionen unfähigen Staaten sind zu leeren Hüllen oder, um einen kontroversen Ausdruck aus den 1990er Jahren aufzunehmen, zu failed states herabgesunken. Der Krieg wird zu einem Symptom interner Probleme (Sukzessionskrisen, Staatsstreiche) wie auch der globalen geopolitischen Lage (Aufschwung des Waffen- oder Drogenschmuggels auf dem Balkan, in Afghanistan, in Pakistan, in Mittelamerika und in Lateinamerika; Zusammenbruch Libyens seit 2011 und Auftrieb für die dschihadistischen Bewegungen in der Sahel-Zone; Konkurrenz um die Kontrolle der natürlichen Ressourcen …). Wer eine Globalgeschichte des Krieges versucht, für den stellt die gegenwärtige Situation eine gewaltige Herausforderung dar: Die Deutungsmodelle, die noch zur Zeit des Kalten Krieges vorherrschten, haben ihre Relevanz eingebüßt, was den Forscher*innen ein Mehr an Einfallsreichtum abverlangt, um die der heutigen Kriegsgewalt eigenen Dynamiken zu verstehen.
Ob es sich um eine friedenssichernde Maßnahme, eine internationale Koalition oder eine Kampagne zur Aufstandsbekämpfung handelt: Die Soldat*innen der westlichen Länder machen die Erfahrung, dass sich die Art ihrer Kriegführung und ihres Kriegserlebens tiefgreifend verändert. Die Kombattant*innen stellen nur noch eine kleine Minderheit der Truppen im Einsatz dar, den größten Teil machen Logistik und Unterstützung aus – Aufgaben, die auch von privaten Unternehmen übernommen werden. Während des Irakkrieges wurden von der amerikanischen Armee tagtäglich nicht weniger als 57 Millionen Liter Treibstoff verbraucht. 2 Tonnen Nahrungsmittel waren jeden Tag nötig, um die Bedürfnisse einer Division von 20 000 Soldat*innen zu befriedigen. Der Krieg wird zunehmend zu einer Angelegenheit von Fachleuten, und immer mehr Frauen arbeiten in der Armee (mit Ausnahme der Kampfeinheiten). Das Kriegerethos musste sich, so gut es ging, diesen Veränderungen anpassen. Die restriktiven Einsatzregeln bei UNO-Friedensmissionen und das Ohnmachtsgefühl angesichts der Gräueltaten, denen die Blauhelmsoldat*innen manchmal tatenlos zuschauen müssen, haben bei einer beträchtlichen Zahl von ihnen psychische Probleme hervorgerufen. Beim Massaker von Srebrenica vom 11. bis 16. Juli 1995 in Bosnien wurden mehr als 8000 bosnische Muslime von der Armee der Republika Srpska unter dem Befehl General Ratko Mladićs niedergemetzelt, ohne dass die zum Schutz der »Sicherheitszone« anwesenden niederländischen Blauhelme auch nur einen einzigen Schuss abgefeuert hätten.
Die Veränderung der Konfliktformen ist von einer Dissoziation der Einstellungen zur Gewalt begleitet: Auf der einen Seite gibt es die Länder des Westens, die sich auf Technologie stützen, um ihre Überlegenheit zu beweisen, indem sie den Bodenkampf für ihre eigenen Soldat*innen so weit wie möglich vermeiden (das ist der Sinn der berühmten »Ohne Tote«-Doktrin),