Alexandra Bleyer

Propaganda. 100 Seiten


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anrichten, ist noch nicht abzuschätzen. Besonders, weil viele jetzt in einer ersten Reaktion sagen ›Typisch Politiker!‹ oder ›Die sind doch eh alle gleich!‹« Nein, man kann nicht alle in einen Topf werfen. Das wäre ungerecht gegenüber jenen, die sich korrekt verhalten und um Wahrhaftigkeit bemüht sind, und es würde die Taten der schwarzen Schafe bagatellisieren.

      Zu den tatsächlichen Lügen und Regelverstößen – und deren gibt es genug – kommen vermeintliche hinzu: In der öffentlich geführten Diskussion wird immer öfter der Fake-News-Vorwurf eingesetzt, um Informationen, Kritik und Argumente politischer Gegner oder der Medien abzuschmettern, selbst wenn diese den Tatsachen entsprechen. Das erzeugt ein Klima der Unsicherheit und des Misstrauens der Politik und den Medien gegenüber. Werden wir systematisch belogen und betrogen? Der ständige Zweifel – was ist wahr, was falsch? – setzt uns zu. Wem können wir noch vertrauen?

      Es ist eindeutig: Fake News tun uns nicht gut; sie schaden der Demokratie. Sollten wir Propaganda daher komplett verbieten? Jein. Überspitzt formuliert ist ohne Propaganda kein Staat zu machen. Es liegt in der menschlichen Natur, andere zu überreden und zu überzeugen, um zu einer gemeinsamen Entscheidung zu finden. Das trifft ebenso auf die Politik zu, die ständig kommuniziert, erklärt und legitimiert werden muss. Beispielsweise waren und sind Regierende darauf angewiesen, dass die Bevölkerung ihrer Politik mehrheitlich zustimmt, sonst drohen Proteste und im äußersten Fall eine blutige Revolution.

      In Demokratien entscheiden die Wähler. Nirgends tritt der Werbecharakter der Propaganda (im Geschäftsleben wurde das Wort noch um 1900 synonym zur Reklame verwendet) so klar hervor wie im Wahlkampf. Daran ist grundsätzlich nichts Verwerfliches – die Bürger müssen ja erfahren, welche Partei welche Positionen vertritt, um in der Wahlkabine eine Entscheidung treffen zu können.

      »Ein Ende von Propaganda ist also nicht abzusehen. Denn das Grunddilemma ist nach wie vor dasselbe: In demokratischen Staaten müssen politische Entscheidungen normativ und gemeinwohlorientiert begründet werden. Dadurch stehen Regierungen und konkurrierende politische Parteien stets vor der Notwendigkeit, argumentativ zu erklären, warum sie welche Entscheidung anstreben. Diese Argumente werden im Diskurs in der Regel mit Tatsachen unterfüttert. Die Verführung im politischen Meinungskampf liegt nun darin, Argumente und Fakten selektiv auszuwählen und andere wegzulassen, also ein Bild von der Realität zu zeichnen, das den eigenen Aktionsprogrammen am nächsten kommt. Solange diese Verführung besteht – und ihre Abschaffung würde auch ein Ende des freien Räsonnements bedeuten – wird es auch persuasive politische Kommunikation geben. Einige Indizien sprechen dafür, dass die Hemmschwellen zum Einsatz solcher Mittel auf Seiten der politischen Klasse sogar sinken. Die Bereitschaft, die Bevölkerung mit professionellen Kampagnen auf die ›richtige‹ Argumentation einzuschwören, nimmt tendenziell zu – und die Akzeptanz solchen Verhaltens auch.«

      Thymian Bussemer, Propaganda. Konzepte und Theorien, Wiesbaden 2008

      Jedoch ist Propaganda nicht gleich Propaganda. Wohl niemand wird die Propaganda der NS-Zeit oder moderner Diktaturen mit jener in Demokratien auf eine Stufe stellen. Die jeweilige Verfassung und die Gesetze geben den Rahmen vor, innerhalb dessen sich politische Propaganda entfalten darf. In funktionierenden Demokratien wird sie vor allem durch zwei Faktoren beschränkt: die Meinungs- bzw. Pressefreiheit sowie das parlamentarisch-demokratische System, in dem in der Regel mehrere Parteien konkurrieren und zusammen mit weiteren staatlichen sowie nichtstaatlichen politischen Akteuren in der öffentlichen Diskussion zeitgleich verschiedene Meinungen vertreten. Die Soziologen Paul Felix Lazarsfeld und Robert King Merton haben sich in den 1960er und 1970er Jahren mit der Problematik befasst. Für sie ist »das Reinergebnis der Propaganda […] außerordentlich gering, wenn sich die Propaganda gegensätzlicher politischer Richtungen die Waage hält.«

      Zudem kommt es darauf an, welche Mittel und Methoden eingesetzt werden. Wir unterscheiden zwischen schwarzer, weißer und grauer Propaganda. Bei schwarzer Propaganda werden Unwahrheiten und Gerüchte verbreitet, der Kommunikator hält sich verborgen oder täuscht vor, jemand anderes zu sein. In den grauen Bereich fallen Halbwahrheiten und Suggestionen, es können zudem illegal erworbene Daten (beispielsweise durch Hackerangriffe) anonym ›geleakt‹ werden.

      Bei weißer Propaganda ist der Sender identifizierbar und die Information wahr. Sie entspricht weitestgehend den Ethikregeln der modernen Branche für PR- und Öffentlichkeitsarbeit. Wichtig ist dennoch, festzuhalten, dass politische Kommunikation niemals neutral und objektiv ist. Sie ist stets zielgerichtet und will über die sachliche Information hinaus immer auch überzeugen.

      Wer Propaganda betreibt, muss kein notorischer Lügner sein. Die meisten Akteure – und das gilt selbstredend auch für Politiker – bewegen sich auf dem Boden der Tatsachen. Dass sich aber alle ins beste Licht rücken, Stärken betonen und Schwächen herunterspielen, ist verständlich – und wer es je mit Online-Dating probiert hat, weiß genau, wie das geht. (Strenggenommen ist es keine Lüge, wenn man ein etwas älteres Foto von sich erwischt hat.)

      Politiker gestehen freimütig ein, Wahlwerbung, PR- bzw. Öffentlichkeitsarbeit zu betreiben; aber Propaganda? Niemals! Als Faustregel gilt: Propaganda ist, was die anderen tun.

      Der schlechte Ruf der Propaganda erklärt sich aus der Geschichte, in der ein ursprünglich neutraler Begriff seine Unschuld verlor. Propaganda ist die Gerundivform von propagare (lat. für ausdehnen, fortpflanzen oder pfropfen) und war ursprünglich ein Terminus der Biologie. 1622 wurde in Rom die Sacra Congregatio de propaganda fide gegründet (›Heilige Kongregation für die Verbreitung des Glaubens‹, kurz Propaganda genannt). Wie Papst Gregor XV. (1554–1623) in der Bulle LVIII Inscrutabili Divinae Providentiae schrieb, war deren Aufgabe »die Verbreitung des Glaubens in der ganzen Welt«. Damit war sowohl die Heidenmission als auch die Stärkung des Katholizismus und Bekämpfung des Protestantismus im Zeitalter der Gegenreformation gemeint. Seit der Französischen Revolution 1789 ist der Begriff zunehmend politisch aufgeladen; synonym dazu etablierte sich im 19. Jahrhundert die Bezeichnung Agitation.

      Seit man die Kriegspropaganda des Ersten Weltkrieges und ihre Lügen in der Zwischenkriegszeit analysiert hatte, war das Potenzial der Propaganda bekannt. Man wollte sie auch weiterhin zur Beeinflussung der Bevölkerung einsetzen, der Begriff selbst geriet jedoch in Verruf. Selbst Joseph Goebbels wollte kein Propagandaminister sein, da das Wort einen »bitteren Beigeschmack« habe und sich der Laie darunter »etwas Minderwertiges oder gar Verächtliches« vorstelle. Für sein Ressort schlug er die Bezeichnung »Reichsministerium für Kultur und Volksaufklärung« vor, aber Hitler lehnte ab. Daher bestimmte Goebbels, dass Propaganda in den Medien nur noch im positiven Sinn für die von Deutschland ausgehenden Aktivitäten zu verwenden sei; jene der Gegenseite seien hingegen als Zersetzung, Agitation und Hetze zu diffamieren. Dass der Begriff Propaganda seit 1945 derart negativ besetzt ist, verdankt er maßgeblich der skrupellosen, vor Lügen nur so strotzenden Propaganda des NS-Regimes.

      Joseph Goebbels 1934 bei einer Rede vor der SA im Berliner Lustgarten

      Wenn politische Akteure es zwar tun, aber nicht Propaganda nennen wollen, wie nennen sie es dann? Öffentlichkeitsarbeit, Public Relations oder strategische Kommunikation; im Englischen bürgerten sich Bezeichnungen wie spin and news management (oder spin doctors für die Macher von Propaganda) ein.

      Politische Akteure wollen sich ebenso wie die PR-Branche vom historisch belasteten Propagandabegriff abgrenzen und betonen einen deutlichen Unterschied zwischen PR und Propaganda, vor allem was deren Wahrhaftigkeit betrifft. Propaganda wird als unlautere Manipulation aufgefasst, PR hingegen soll als objektives und vielseitiges Informieren verstanden werden. Die Meinungen reichen allerdings von dem Standpunkt, dass PR und Propaganda völlig verschiedene Dinge seien, über die Ansicht, dass es in manchen Bereichen Überschneidungen gibt (wobei die Schnittmenge variiert), bis hin zu der Annahme, dass die Begriffe synonym zu verwenden seien. In diesem Buch verwende ich Propaganda im Sinne der oben genannten Definition, nämlich als wertneutrale Bezeichnung für systematische Versuche, durch Kommunikation und vielfach durch den Einsatz von (Massen-)Medien Meinungen und Verhaltensweisen von Zielgruppen politisch zu beeinflussen.

      »PR