konnten Betriebsschließungen auf regionale Einzelfälle beschränkt bleiben und großflächige Wirtschaftsstörungen im gesamten Bundesgebiet mit entsprechenden Folgen somit vermieden werden.
Ob damit regional differenzierte Maßnahmen auch in der Folge – und bis hinein in den Herbst – eine gangbare Lösung sein könnten, wurde von den Experten bezweifelt, die schon zu Sommerbeginn die Wieder-Einführung der Maskenpflicht im gesamten Bundesgebiet gefordert haben. Die Hoffnungen auf die Rückkehr zur „alten Vor-Corona-Normalität“ waren längst auf ein Minimum geschrumpft. Der Übergang zu einer „neuen Normalität“ mit wechselnder Strenge bei den verfügten Schutzmaßnahmen konnte bereits erahnt werden.
Und die kam dann auch pünktlich Mitte Juli. Die Zahlen für die täglich aktuellen Neu-Infektionen waren in den dreistelligen Bereich geklettert, lagen zuweilen über der 100er-Grenze. Es gab einige besorgniserregende Cluster in einigen Bundesländern, eine zunehmende Zahl von Neu-Infektionen, die auf Heimkehrer-Fälle aus den Ländern des Westbalkan, also den Ländern Südost-Europas zurückzuführen waren, und – das musste besonders ernst genommen werden – eine alarmierende Sorglosigkeit in der Bevölkerung, was die Einhaltung der Sicherheitsmaßnahmen in der Pandemie-Vorsorge betraf. Es wurden die Bestimmungen über die Nasen-Mund-Schutzmasken-Pflicht in den öffentlichen Verkehrsmitteln nicht konsequent eingehalten, ebenso wie auf den öffentlichen Plätzen und bei Versammlungen, aber auch das Abstandhalten nach der vielzitierten Elefantenbaby-Formel fand zu wenig Widerhall. Was aber insbesondere den Innenminister erzürnte, das war der Umstand, dass die von den Behörden an die Corona-Infizierten ausgesprochenen Quarantäne-Pflichten in steigendem Maße nicht mehr eingehalten wurden. Die Polizei, die das zu überwachen hatte, musste zahlreiche Anzeigen aussprechen.
Am 21. Juli war es dann so weit. Die Regierungsspitze trat in der bereits bekannten Formation – Kanzler, Vizekanzler, Gesundheitsund Innenminister – vor die Fernsehkameras und die Journalisten. Und wie ohnedies bereits erwartet, wurde eine Wiedereinführung der Mund- und Nasen-Schutzmasken-Pflicht in ganz Österreich verkündet. Zwar nicht generell, aber in jenen öffentlichen Orten, die alle Menschen in der Bevölkerung einfach zwangsläufig aufsuchen müssen: die Lebensmittel-Geschäfte und Supermärkte, die Bäckerstuben oder die Lebensmittel-Shops in den Tankstellen, die Filialen der Banken und der Post. Diese Einrichtungen müssten auch den als „Risiko-Gruppe“ definierten älteren und kranken Menschen ohne größeres Risiko zugänglich sein, so wie die Krankenanstalten, Ärztepraxen und Apotheken und Gotteshäuser, wo die Schutzmasken auch bisher verpflichtend waren. „Werfen Sie ihre Masken nicht weg – sie werden Sie noch brauchen“, hatte es bei der Rücknahme der allgemeinen Maskenpflicht geheißen, nun hatte sich die Voraussicht bewahrheitet. Eine Neben-Bemerkung, die dabei mehrfach gefallen ist, ließ allerdings die aufmerksamen Zuhörer aufhorchen: Über die virologische und medizinische Wirksamkeit der Maske konnten aufgrund unterschiedlicher Auslegung zwar keine verbindlichen Aussagen gemacht werden. Aber in jedem Fall würde das Tragen der Mund- und Nasenschutz-Masken das Bewusstsein für die Existenz und die Gefährlichkeit des Virus steigern und aufrechterhalten.
Gleichzeitig wurden an diesem Tag neue und strengere Einreise-Beschränkungen und Kontrollen im Grenzverkehr mit einigen Staaten des Westbalkan und bald darauf auch einigen anderen in- und außerhalb von EU-Europa verfügt. Was bereits als eine Vorbereitung auf die mit Sicherheit erwartete „Zweite Welle“ der Corona-Pandemie im Herbst angekündigt wurde, das waren eine ganze Reihe von sehr unterschiedlichen Maßnahmen zur zeitgerechten Abwehr einer rasch ansteigenden Zahl von Neu-Infektionen und Belastungen der Krankenanstalten. Man sprach von 17 Sondermaßnahmen, in deren Zentrum die sogenannte „Corona-Ampel“ stehen sollte. Man wollte österreichweite Beschränkungen und Verordnungen – vor allem Betriebsschließungen – vermeiden für den Fall, dass in einigen Bezirken im Lande plötzlich Ansteckungs-Cluster unabhängig voneinander auftauchen würden. Ein Ampelsystem sollte den nach einheitlichen Kriterien definierten Alarmzustand in den einzelnen Bundesländern und Regionen anzeigen und in den abgegrenzten Gebieten die spezifisch notwendigen Maßnahmen transparent und nachvollziehbar machen. Damit sollte ein „Fleckerlteppich“ an Bezirks-spezifischen Verordnungen nach jeweils eigenen Kriterien vermieden werden.
Eine weitere Verschärfung der Maßnahmen wurde schließlich Mitte August notwendig. Zwar waren mit Beginn der Urlaubssaison die Reisebeschränkungen in die wichtigsten Feriengebiete im nahen Ausland aufgehoben worden, doch stellte sich dann doch bald heraus, dass vor allem aus den kroatischen Badeorten sehr viele infizierte Urlaubs-Rückkehrer ins Land kamen. Die Regierung musste dann fast überfallsartig neue strenge Kontrollen an den Grenzen anordnen und durchführen lassen, was zu teilweise großen Unannehmlichkeiten bei den Betroffenen führte. Für die Opposition war es hauptsächlich ein Grund für hämische Kritik.
Auch wenn zu diesem Zeitpunkt noch nicht sicher war, was noch alles im Laufe der kommenden Monate auf die Bevölkerung zukommen sollte, so konnte man schon ziemlich erahnen, wie die immer wieder zitierte „Neue Normalität“ aussehen könnte – sicher anders als normal.
1.2 Das Verhältnismäßigkeits-Prinzip setzt Grenzen
1.2.1 Geld oder Leben
Die Gesundheit und das Leben der Menschen schützen – um jeden Preis – das war der Grundsatz bei der Ankündigung der Maßnahmen im Kampf gegen das Covid-19-Virus. Es war von vornherein klar, dass die rigorosen Einschränkungen für die Wirtschaft und ein zunächst fast völliger Stillstand im wirtschaftlichen Ablauf gewaltige Schäden verursachen würde. Die Experten haben klargestellt, dass auch die zeitweilige Einstellung der Geschäftstätigkeit und der damit verbundene Ausfall an Einnahmen zu einer Vielzahl von Insolvenzen, Betriebsschließungen und damit auch zu einem Wegfall von Arbeitsplätzen führen würde. Darüber hinaus war zu bedenken, dass bei einem Verbot von Menschen-Ansammlungen und Veranstaltungen auch der gesamte Kultur- und Sportbetrieb zum Erliegen kommen würde. Einer ganzen Reihe von Branchen wie etwa der Gastronomie oder überhaupt dem gesamten Tourismus würde zeitweise der Boden entzogen werden. Keine Frage, dass dann der Staat mit Finanzhilfen würde aushelfen müssen, weil niemand im Stich gelassen werden sollte. Und das würde viel Geld kosten.
Trotzdem: Es sei keine Frage des Geldes, erklärte die österreichische Bundesregierung. Es gehe um Menschenleben. Wenn man über medizinisch bedingte Schutzmaßnahmen und das Herunterfahren der Wirtschaft eine rechtzeitige Eindämmung der Infektionszahlen und eine Überforderung des Gesundheitswesens erreichen könne, dann sei jeder Preis zu rechtfertigen. Nach einem anfänglichen Hilfspaket von versprochenen vier Milliarden Euro war alsbald klar, dass die notwendigen Auffanghilfen eher das Zehnfache kosten könnten und für 2020 ein Rückgang beim Bruttoinlandsprodukt von geschätzten 5,0 bis 7,5 Prozent zu erwarten war. Vom totalen Lockdown des öffentlichen und wirtschaftlichen Lebens waren aber nicht nur die größeren Unternehmen im Dienstleistungs-, Handels-, Gewerbe- und Industrie-Sektor betroffen, sondern eine ganz große Zahl von Einzel- und Klein-Unternehmern, vornehmlich aus dem Bereich persönliche Dienstleistungen, aber auch Künstler und Sportler, denen ebenfalls Hilfe in der Existenzsicherung zuteilwerden musste.
1.2.2 Gesundheit oder Hausarrest
Die Eingriffe in die persönlichen Freiheitsrechte der Menschen, deren Folgen eher nicht so sehr in Geld- und Vermögensverlusten ausgedrückt werden können, das sind die Maßnahmen im Rahmen des Social Distancing. Dazu gehörten die verfügten Ausgangssperren mit nur wenigen Ausnahmen, die Verbote für das Zusammentreffen der Generationen innerhalb der Großfamilien und die generelle Ein- oder Abstufung der Menschen über 60 als eigene „Risikogruppe“. Diese „älteren Menschen“ mussten weggesperrt werden, um sie vor Ansteckung – und damit vor einer Einlieferung ins Krankenhaus oder auf die Intensivstation - zu schützen, hieß es plötzlich. Die Parole dazu: Wer gesund bleiben will, muss seine Freiheit opfern!
1.2.3 Die Verfassungsrichter setzen neue Maßstäbe
Nicht alles