Andreas Suchanek

Heliosphere 2265 - Der komplette Fraktal-Zyklus


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einer halben Stunde kam es zu einer tätlichen Auseinandersetzung an Bord. Ich habe die Verantwortlichen ins Sicherheitsbüro gebracht.«

      »Ich bin unterwegs.«

      Eine tätliche Auseinandersetzung? Eine schöne Umschreibung für eine Schlägerei. In der Regel fand so etwas höchstens auf dem Erholungsdeck statt und wurde nicht nach außen getragen.

      Schnell legte sie ihre Trainingsrobe zur Seite und schlüpfte in die Uniform der Space Navy. Der multidirektionale Lift brachte sie innerhalb weniger Minuten zum Sicherheitsbüro von Alpha 365, dem genetisch designten Sicherheitschef der HYPERION.

      »Commander«, begrüßte sie der breitschultrige Offizier mit den kurzen dunkelblonden Haaren. »Danke, dass Sie so schnell gekommen sind.«

      »Eine tätliche Auseinandersetzung an Bord eines Schiffes der Space Navy ist nichts Alltägliches.« Zumindest wenn sie außerhalb des Erholungsdecks und im aktiven Dienst geschieht. »Was genau ist passiert?«

      Der Alpha deutete auf eine Sitzbank. Auf ihr saßen ein junger Marine – Noriko schätzte ihn auf Anfang zwanzig – und ein Brückenoffizier.

      Sie riss überrascht die Augen auf. »Lieutenant Walker!« Noriko fixierte Bruce Walker ungläubig. Dank seiner hervorragenden taktischen Fähigkeiten arbeitete er an der sekundären Taktikstation auf der Brücke und bereitete Daten für Lieutenant Commander Akoskin auf. »Meine Herren, ich bin sehr auf ihre Erklärung gespannt.«

      Walker presste mit grimmigem Blick die Lippen zusammen. Der Marine – Private Burg, wie sie dem Bericht entnahm, den Alpha 365 ihr reichte – blickte voller Unbehagen zu ihr auf, senkte dann den Blick und schloss sich dem Schweigen von Lieutenant Walker an.

      »Die beiden weigern sich, Details über das Geschehen preiszugeben«, sagte der Sicherheitschef. »Zeugen haben ausgesagt, dass Lieutenant Walker negative Aussagen über einen Senioroffizier machte, worauf Private Burg eine tätliche Auseinandersetzung begann.«

      Noriko fing den bedeutungsschweren Blick des Alphas auf und verstand. Deswegen hatte er sie gerufen und nicht den diensthabenden Offizier. Lieutenant Walker hatte sich negativ über sie geäußert, und Private Burg hatte zu ihrer Ehrenrettung einen Kampf begonnen.

      Noriko gab sich äußerlich emotionslos. Ein Spiegelbild von Alpha 365. Dabei wäre sie am liebsten davongelaufen. Warum führte sie diesen Kampf überhaupt noch? Das einzig Sinnvolle wäre es, um ihre Entlassung zu ersuchen und endlich nach Hause zurückzukehren, zu ihren Eltern und ihrer Schwester – in die Geborgenheit der Familie, die sie so sehr vermisste.

      Andererseits, was würde ihre Mutter zu ihr sagen? Eine Ishida gibt nicht auf! Du hast ehrenhaft gehandelt und musst dich für nichts schämen!

      »Private Burg, für einen Offizier der Space Navy ist es eine Schande, eine derartige Auseinandersetzung zu beginnen. Ich werde mit Corporal Pride über eine angemessene Strafe sprechen.« Wieso bist du nicht einfach zu mir gekommen, verdammt! Eine Schlägerei war unentschuldbar, aber zweifellos konnte die Strafe ein wenig gemildert werden. Immerhin hatte Burg sich für die Ehre eines anderen Offiziers eingesetzt.

      »Wegtreten!« Sie wartete, bis der junge Private den Raum verlassen hatte, dann wandte sie sich an Alpha 365. »Würden Sie uns bitte für einen Moment alleinlassen?«

      Der Sicherheitschef nickte in seiner typisch stoischen Art und verließ den Raum.

      »Gibt es etwas, das Sie mir sagen möchten, Lieutenant?« Noriko trat auf Armeslänge an den Brückenoffizier heran. Dieser musste seinen Kopf in den Nacken legen, um den Blickkontakt weiter aufrechtzuerhalten.

      »Ich würde Ihnen gerne eine Menge sagen, glauben Sie mir«, erwiderte Walker. In seinem Gesicht arbeitete es. Es fiel ihm sichtlich schwer, seine Abscheu zurückzuhalten.

      »Wenn dem so ist, haben Sie die Erlaubnis, frei zu sprechen. Nichts von dem, was Sie hier sagen, wird in Ihrer Akte erscheinen.« Carte blanche.

      »Also gut.« Der Lieutenant stand auf. Sein Gesicht war nur noch wenige Zentimeter von ihrem entfernt. »Sie sind eine Schande für diese Uniform. Zuerst verraten Sie den Admiral und dann fliehen Sie vor einem Kampf, nur weil es gefährlich wird, und lassen eine Kolonie zurück. Sie widern mich an. Genau wie Sjöberg und seine Waschlappen, die Leute wie Sie auf ein Schiff wie die HYPERION versetzen. Wenn… »

      »Genug.« Noriko legte all ihre Autorität und jedes Quäntchen an Kälte in dieses Wort. Tatsächlich brachte sie Walker damit zum Verstummen. Vermutlich wurde ihm bewusst, dass er trotz ihrer Erlaubnis, frei zu sprechen, zu weit gegangen war. »Sie haben Ihren Standpunkt deutlich gemacht, Lieutenant. Nichtsdestotrotz werde ich es nicht dulden, dass Sie meine Autorität untergraben. Überlegen Sie sich Ihr weiteres Vorgehen also ganz genau.«

      »Das werde ich.« Er schwieg gerade so lange, dass es nicht als direkte Beleidigung durchging. Erst dann fügte er hinzu: »Ma’am.« Seine Augen funkelten böse.

      Noriko machte nicht einmal den Versuch, ihm die Wahrheit zu erklären. Lieutenant Walker hatte die Lügen von Michalew und seinen Anhängern verinnerlicht. »Wegtreten!«

      Mit einem letzten Blick voll stillem Hass verließ Walker das Büro von Alpha 365, der kurz darauf zurückkehrte. Noriko gab ihm zu verstehen, den Vorfall aus beiden Akten herauszuhalten. Dieses Problem musste sie alleine klären, ohne Captain Cross.

      Aber vorher benötigte sie weitere Informationen. Und sie wusste genau, wer ihr die liefern konnte.

      *

      »Captain.« Die Stimme von Admiral Sjöberg klang besorgt.

      Stöhnend öffnete Jayden seine Augen. Er hatte das Gefühl, sein Schädel müsse platzen und ihm war schwindelig.

      Irgendjemand in einem weißen Kittel beugte sich über ihn und presste etwas gegen seinen Hals. Es zischte, dann ließ der Kopfschmerz schlagartig nach. »Verdammt, was ist passiert?«

      »Eine Frage, deren Beantwortung mich ebenfalls brennend interessiert«, sagte Admiral Sjöberg und bedachte Doktor Florian von Ardenne bei diesen Worten mit einem durchdringenden Blick.

      Während Jayden auf die Beine kam, sah er sich um. Überall um ihn herum standen oder lagen Menschen in weißen Kitteln. Einige waren noch immer bewusstlos, andere hielten sich mit schmerzverzerrtem Gesicht den Schädel. Das Fraktal schwebte wieder friedlich hinter den Fesselfeldern.

      »Das kann ich Ihnen nicht sagen, Admiral«, entgegnete von Ardenne schnippisch. Eine große Beule, die weiter anschwoll, zierte seine Stirn. »Ich wurde von diesem Ausbruch genauso überrascht wie Sie. Die ersten Ergebnisse gehen gerade erst ein. So wie es aussieht, hat diese seltsame Schwärze den gesamten Mars geflutet.«

      »Bisher gibt es keine Anzeichen für bleibende Schäden«, erklärte eine junge Frau mit aschblondem Haar. Auf ihrer blauen Uniform prangte das Emblem des medizinischen Dienstes der Space Navy. »Diese Explosion sorgte dafür, dass jeder innerhalb des Forschungskomplexes das Bewusstsein verlor. Weitere Folgen sind nicht feststellbar. Trotzdem möchte ich zusätzliche Untersuchungen durchführen.«

      »Doktor Rosen …«

      Zwischen dem Admiral und Doktor Abigail Rosen entbrannte ein Streit über das weitere Vorgehen. Jayden erkannte die junge Frau erst jetzt; er hatte einmal auf einem Landgang mit ihr geflirtet, ohne zu wissen, wer sie eigentlich war.

      Jayden aber hatte nur Augen für das Fraktal. Irgendetwas hatte sich verändert. Er konnte nicht genau sagen was, aber er konnte es spüren. Er misstraute diesem Ding, begann sogar langsam, es zu fürchten. Wozu war es noch in der Lage?

      Ein Ziehen hinter seiner Stirn ließ ihn aufkeuchen. Auf seiner Netzhaut öffnete sich das Interface des Kommandochips. »Was soll das!?«

      »Captain?« Admiral Sjöberg wandte sich ihm zu, und auch die Doktoren Rosen und von Ardenne starrten