Michaela Baumgartner

Debütantenball


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seiner Familie etwas gehört, seit …«

      »Nein«, antwortete Sophie rasch. »Nichts mehr, seit dem Brief der Fürstin.«

      Louise schüttelte missbilligend den Kopf. »Das ist ganz und gar nicht comme il faut. Natürlich hättest du weit über deinem Stand geheiratet. Aber du kanntest Ludwig seit deiner frühen Jugend, er war einer der besten Freunde deines Bruders auf der Militärakademie. Ich goutiere dieses Vorgehen keineswegs. Immerhin bist du seine Verlobte und damit Teil der Familie.«

      »Ich verstehe es auch nicht, Tante, aber da ist außer Euch niemand, dem ich mich anvertrauen kann.«

      Nachdenklich musterte Louise ihre Nichte. »Kind, was ich dich immer schon fragen wollte – bitte verzeih, aber da du unsere Vertrautheit eben so lobend erwähntest: Hast du Ludwig eigentlich geliebt?«

      Überrascht sah Sophie auf, hielt jedoch kaum dem prüfenden Blick ihrer Tante stand.

      »Ich hatte also recht!«, entgegnete Louise triumphierend, nahm sich aber sofort wieder zurück. »Das tut deiner Trauer und der Tragik der Ereignisse natürlich keinen Abbruch …«

      »Tante, ich weiß nicht, was Ihr meint«, entgegnete Sophie trotzig. »Selbstverständlich liebe ich ihn. Habe ich ihn geliebt«, korrigierte sie sich. »Und jetzt habe ich das Gefühl, als wäre mein Leben vorbei. Ich vermisse ihn so sehr.«

      »Nun, das verstehe ich.« Louise zögerte. »Hattest du nicht das Gefühl«, sie versuchte die richtigen Worte zu finden, »dass das, was du empfindest … dass es vielleicht in deinen Träumen …«

      Energisch richtete Sophie sich auf. »Ich liebe Ludwig, Tante, worauf wollt Ihr hinaus?«

      Louise wagte trotz der heftigen Reaktion ihrer Nichte einen weiteren Vorstoß. »Du erinnerst mich an mich selbst, mein Kind. Dein starker Wille, deine Unbeugsamkeit, dein klarer Verstand. Aber versteckt sich hinter der kühlen Fassade nicht ein wahrhaft romantisches Herz? Auch ich habe meinen Mann geliebt. Der brave Adalbert war mir Zeit seines Lebens ein vorbildlicher Ehemann. Doch erst als ich den Fürsten kennenlernte, habe ich zum ersten Mal …«

      Die Tür ging auf und Nanette trat ein. Sie kredenzte die Schokolade in Porzellanbechern mit kleinen Untertassen aus Schildpatt auf einem silbernen Tablett.

      »Danke, Nanette«, nickte Louise. »Du kannst gehen, das ist alles.« Sie wartete, bis das Mädchen die Tür hinter sich geschlossen hatte, dann sprach sie weiter. »Was soll ich sagen? Es war Liebe auf den ersten Blick. Meine Knie wurden weich, alles begann sich um mich zu drehen, und ich wusste, er ist es. Er ist der Mann meiner Träume, auf den ich mein ganzes Leben lang gewartet habe.« Erregt erhob sie sich. »Und selbst wenn du mir jetzt diesen gewissen Blick zuwirfst, aus dem ich Amüsement, Skepsis und Erstaunen lese – ich verzeihe dir, ich selbst hätte in deinem jugendlichen Alter nicht anders darüber gedacht –, so muss ich dir sagen, ich weiß keine geistreicheren Worte für diesen Augenblick zu finden. Es ist die Wahrheit. Und wer diese Gefühlsregungen, die mit nichts auf dieser Welt vergleichbar sind, als romantische Verirrungen eines überspannten Gemüts abtut, der hat sich nie Hals über Kopf verliebt.« Ganz in Gedanken versunken blickte sie aus dem Fenster.

      Sophie schwieg.

      Minuten später drehte ihre Tante sich um und fuhr fort: »Ich sage ja nicht, dass außerordentliche Augenblicke wie diese zwangsweise zu einer glücklichen Ehe führen. Im Gegenteil. Wahrscheinlich ist zu viel Leidenschaft der erquicklichen Labsal einer harmonischen Ehe durchaus abträglich. Und dennoch …« Sie seufzte und ergriff Sophies Hand. »Dennoch würde ich mir wünschen, ein Mal im Leben dieses Leuchten in deinen Augen zu sehen, das nur die große Liebe zu entfachen vermag.«

      Unwillig entzog ihr Sophie die Hand. »Tante, ich weiß Eure offenen Worte durchaus zu schätzen. Aber ich bin hier, um mit Euch über meinen Verlobten zu sprechen und darüber, wie sehr ich um ihn trauere. Weil dieser Brief meine letzte Hoffnung begraben hat.« Sie hob ihre Tasse und nahm einen Schluck der bittersüßen Schokolade. »Diese Art von romantischer Schwärmerei, von der Ihr sprecht, ist mir fremd. Und ich halte sie auch für ganz und gar nicht erstrebenswert. Sagt man nicht, dass Gefühlsregungen dieser Art eher den niedrigen Ständen vorbehalten sind? Eine Dame sollte sich deutlich zurückhaltender zeigen und ist in allen Lebenslagen gut beraten, ihre Contenance nicht zu verlieren.«

      Louise musterte sie verärgert. »Kind, jetzt gehst du aber entschieden zu weit!«, tadelte sie ihre Nichte. »Du sprichst schon wie deine Mutter.«

      Sophie nickte verlegen. »Ich weiß, verzeiht, Tante, ich hab es nicht so gemeint. Aber manchmal glaube ich, dass etwas mit mir nicht stimmt. Alle reden von Liebe – ich weiß damit einfach nichts anzufangen. Es gibt viel wichtigere und interessantere Dinge im Leben, finde ich. Und Ihr habt recht. Mama wird nicht müde zu betonen, dass die beste Ehe auf Vernunft beruht. Wenn man sich im Lauf der Jahre aneinander gewöhnt habe, mag daraus durchaus Liebe werden, sagt sie immer. Betrachtet man meine Eltern, scheint ihre Maxime ihre Richtigkeit zu haben. Ludwig jedenfalls war für mich immer ein wirklich guter Freund, und ich denke, dass es keine bessere Basis für eine Ehe gibt. Mama und Papa waren über unsere Verbindung überaus glücklich, weil sie mich für die Zukunft gut versorgt sahen und die Verbindung zu einer fürstlichen Familie allen zum Vorteil gereichte. Dass Ludwigs Eltern von seiner Wahl zuerst nicht angetan waren«, Sophie ignorierte den indignierten Blick ihrer Tante geflissentlich, »sei dahingestellt. Ludwig verfügte über eine sehr offene Gesinnung, manchmal hatte ich sogar den Eindruck, dass er mich aus genau diesem Grund erwählt hat.« Sie räusperte sich. »Wie Ihr seht, trauere ich wahrhaftig um ihn. Ich vermisse ihn schrecklich. Das ist der Grund, warum ich hier bin.« Sie machte eine wirkungsvolle Pause.

      Ihre Tante, sichtlich immer noch ein wenig verstimmt, reagierte nicht.

      Sophie seufzte, fuhr aber tapfer fort: »Nun, da jeder Funken Hoffnung darauf, dass Ludwig noch lebt, erloschen ist, möchte Mama mich so rasch wie möglich verheiraten, was angesichts meines Alters nicht verwunderlich ist. Aber ich will etwas aus meinem Leben machen. Ich möchte die Welt kennenlernen, es gibt so viel, was ich nicht weiß.« Zögernd hielt sie inne, dann gab sie sich einen Ruck. »Tante, nehmt mich mit auf Reisen, öffnet mir die Tür zu Eurem Salon! Ihr führt ein abwechslungsreiches Leben, lasst mich daran teilhaben. Bitte! Ich langweile mich noch zu Tode!«

      Dieser letzte verzweifelte Ausruf schien ihre Tante nun doch versöhnlich zu stimmen. Sie lachte schallend. »Sophie«, Louise holte tief Luft, »das muss ich dir sagen. Du bist mit Abstand die ungewöhnlichste junge Dame, die ich kenne.« Energisch klingelte sie dem Dienstmädchen. »Nanette, meinen Lieblingschampagner. Und zwei Gläser!«

      Sie lachte erneut auf. »Mein liebes Kind, auch wenn ich nicht immer einer Meinung mit dir bin, so klingt das nach einem interessanten Lebenskonzept. Das gefällt mir. Wir sind offensichtlich beide – jede auf ihre Art – nicht für das Mittelmaß bestimmt. Aber ich muss dich warnen, du machst es dir damit nicht leicht. Du weißt selbst, was von einer jungen Dame deines Alters und deines Standes erwartet wird. Das, was du dir vom Leben wünschst, mit Sicherheit nicht. Nun«, sie schenkte sich und ihrer Nichte ein Glas Champagner ein, den sie, wie sie kurz bemerkte, stets bereithielt, um überraschende Gäste zu bewirten oder aber – wie Sophie angesichts der Geschwindigkeit, mit der Nanette das kostbare Getränk serviert hatte, mutmaßte – um auch sich selbst ab und zu ein kleines Schlückchen zu gönnen. »Lass uns anstoßen. Auf deine kühnen Pläne und ein aufregendes Leben!«

      Sophie umarmte sie stürmisch. »Ich wusste, Tante, dass Ihr mich versteht.«

      »Nicht so ungestüm, meine Liebe. Ich werde tun, was in meiner Macht steht, um dich zu unterstützen. Aber das letzte Wort hat dein Vater. Und damit eigentlich deine Mutter. Ich wage sehr zu bezweifeln, dass sie deine revolutionären Ideen goutiert.« Sie dachte nach. »Meine nächste Reise führt mich nach Florenz, kommenden April. Gern kannst du mich begleiten. Natürlich muss ich darüber zuerst mit deinen Eltern sprechen. Ich möchte deine Begeisterung nicht dämpfen«, fügte sie hinzu, als sie sah, dass Sophie einen recht undamenhaften Luftsprung absolvierte. »Aber ich bin mir nicht sicher, ob mein Bemühen von Erfolg gekrönt sein wird.«

      Sophie nahm einen großen Schluck Champagner. »Doch, Tante, Ihr werdet sehen,