Willibald Spatz

Alpendöner


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      Willibald Spatz

      Alpendöner

      Birnes erster Fall

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      TATORT ALLGÄU Birne, Anfang 30, steht vor einem Neuanfang. Nachdem es zuletzt weder beruflich noch in der Liebe gut lief, sucht er im Allgäu sein Glück. In Kempten findet er einen Job als Redakteur bei einem kleinen Verlag, der Wanderführer veröffentlicht. Gerade hat sich Birne ein wenig häuslich eingerichtet, als seine Nachbarin, die alte Frau Zulauf, blutüberströmt aufgefunden wird. Mord inmitten beschaulicher Alpenidylle – so hatte Birne sich den Start in seiner neuen Heimat nun wirklich nicht vorgestellt! Und auch von Romantik vorerst keine Spur – dafür stößt er bei den Einheimischen auf reichlich Misstrauen gegenüber Fremden. Und fremd ist einer im Allgäu schon fast, wenn er aus dem Nachbardorf stammt. Ein türkischer Imbissbudenbesitzer, ein Motiv, ein Kebabmesser – die Polizei hat den mutmaßlichen Mörder der Nachbarin schnell dingfest gemacht. Als dessen Frau Birne bittet, Beweise für die Unschuld ihres Mannes zu finden, bezieht er prompt eine ordentliche Tracht Prügel …

      Willibald Spatz, Jahrgang 1977, hat in Würzburg Biologie und in München Kulturkritik studiert. Er lebt in der Nähe seiner Heimatstadt Augsburg und schreibt als freier Autor unter anderem für das Internet-Portal nachtkritik.de.

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      Alle Rechte vorbehalten

      Lektorat: Claudia Senghaas, Kirchardt

      Herstellung/E-Book: Mirjam Hecht

      Umschlaggestaltung: U.O.R.G. Lutz Eberle, Stuttgart

      unter Verwendung eines Fotos von: © TimToppik / photocase.com

      ISBN 978-3-8392-6826-1

      Widmung

      Für Elisa, Laura, Willibald, Georg und Jonathan

      Es …

      … war Blut. Er schmeckte Blut. Es war seines. Das tat weh. Aber sie hatten ihn gewarnt. Er erhielt die ihm zugemessene Abreibung. Er hatte ihnen nicht geglaubt, und jetzt traf ihn eine Stange am Kopf und wäre dieser jetzt verletzt, dachte er sich, könnte er das alles nicht denken.

      Die Bewusstlosigkeit umgab ihn wie ein rettender Mantel, und er ließ sich in seine Arme fallen, nun hatte er den ersten Anstieg hinter sich, nun konnte er sich tragen lassen von ihm, bis zum Erwachen, wo das eigentliche Grauen erst auf ihn wartete. Solange hatte er Ruhe.

      1. Tag

      Man konnte nicht behaupten, dass er viel verlangte; streng genommen konnte man sogar behaupten, dass er überhaupt nichts mehr verlangte vom Leben. Abgesehen vom Funktionieren einiger Alltagsdinge. Den Frieden mit ihnen zu finden, wenn das schon mit den Mitmenschen nicht gelang. Letztere sollten ihn in Ruhe lassen, anstatt ihm die Zeitung aus dem Briefkasten zu klauen.

      Es war einer seiner ersten Morgen hier am Fuß der Berge, und er wünschte sich aufrichtig, dass es nicht ein Morgen sein sollte, an dem alles anfing – sein Leben, sein neues, diese frisch gefundene Ungemütlichkeit, die er eben eingetauscht hatte. Er hatte seinen Wecker gestellt, etwas früher, als es hätte sein müssen, um einen Blick in seine Zeitung, das Wesentlichste, das er aus der großen Stadt hierher mitgenommen hatte, zu werfen. Und jetzt war sie ihm geklaut worden und sein Anfang hier, sein erster Bewährungsmorgen, damit versaut. Der Morgen, die Stadt – sie hatten sich zu bewähren wie er selbst und hatten schon versagt, doch anstatt zu fühlen, wie Druck von ihm wich, weil er jetzt weniger zu verlieren hatte, fluchte er auf diesen Tag und sein Leben, auf sein neues wie auf sein altes, das sich entschlossen hatte, dermaßen zu verkommen, dass er dieses neue hatte wählen müssen.

      Das Messer fiel ihm das dritte Mal aus der Hand, fiel auf den Boden. Dieses dritte Mal, dachte Birne sich jetzt, anstatt zu fluchen, denn das hätte das Messer auch nicht wieder sauber gemacht, dieses dritte Mal wäre das Messer nicht auf den Boden gefallen, hätte ich nicht den Wecker früher gestellt wegen meiner Zeitung, die ich jetzt nicht lese. Genau diesen Frieden meinte er mit den Dingen, dass sie ihm nicht das dritte Mal aus der Hand fielen, weil er den Wecker früher gestellt hatte, und genau diese Ruhe meinte er, die seine Mitmenschen hätten respektieren sollen.

      Jetzt fluchte er. Laut, denn es konnte ihn niemand hören. Außer vielleicht einer Person in diesem Haus, die jetzt, nur weil sie den Wecker auf eine frühere Stunde eingestellt hatte als Birne, gerade die Zeitung las.

      Birne musste zum ersten Mal ein bisschen schmunzeln beim Gedanken daran, dass er morgen seinen Wecker so stellen würde, dass ihm zwar das Messer womöglich ein viertes Mal entgleiten würde, aber er dafür Zeitung lesen konnte. Die Dinge und Feinde in diesem Haus würden so gegeneinander ausgespielt. Birne würde einen kleinen Triumph feiern, beim Rausgehen die Türschilder studieren und erste Verdächtigungen anstellen.

      Birne zog sich an, fand beinahe ausschließlich nicht zusammenpassende Socken in seinem Schrank, hatte dann aber doch Glück, nahm sich für den frühen Abend vor, Ordnung zu schaffen in seiner Umgebung, überlegte kurz, ob er auf seinem Weg nach einem Zeitschriftenladen schauen sollte, beschloss aber, dass er diese Zeitung nun schon bezahlt und sich nicht auch noch strafen wollte, indem er sie noch mal kaufte und bis zum Schlafengehen sowieso keine Gelegenheit mehr finden würde, sie zu lesen.

      Birne ging aus dem Haus und dachte bei sich, dass er eigentlich nicht so einer sei, aber aufgefallen war es ihm jetzt schon, dass von den Namen an den Türen keiner ein deutscher war bis auf einen im ersten Stock links. Dann fiel ihm auf, dass er sich diesen Morgen über Messer, geklaute Zeitungen, seine Unfähigkeit, mit Dingen zurechtzukommen und mit Menschen Frieden zu schließen, aufgeregt hatte. Dann dachte er sich, dass sein Umzug in die kleine Stadt Kempten ihm einen gewissen Kleingeist in die Seele gepflanzt hatte und dass er damit ja nun wirklich hatte rechnen können. Der Birne.

      Die waren alle ganz nett zu ihm. Mit denen würde er schon auskommen. Er hatte 15 Minuten zu gehen, dann war er an seiner neuen Arbeitsstelle, einem kleinen Verlag für Wander- und Naturliteratur, angekommen. Das Wandern in der Natur hatte ihn schon immer ein bisschen interessiert, er war ein Naturmensch, würde sich selbst jedenfalls als solchen bezeichnen. Deswegen war er auf den Verlag aufmerksam geworden, auf deren Anzeige – nicht in seiner Zeitung übrigens oder leider. Die meisten Wanderführer veralteten schnell, waren lieblos und oberflächlich gestaltet, entweder von fußlahmen verhinderten Literaten oder von sportwahnsinnigen Analphabeten geschrieben. Das meiste nichts für Menschen