Willibald Spatz

Alpendöner


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bis er fett genug war für den Grill. Er nickte lässig.

      »Neu hier?«, wollte die Alte ihn weiter zu einem Gespräch locken.

      »Neu ist relativ.«

      »Neu ist relativ«, wiederholte sie und lachte zahnlückig. »Noch ein bisschen an die frische Luft?«

      »Ein bisschen.«

      »War ein schöner Tag heute, aber wird kalt am Abend, da soll man sich nicht täuschen. Aber Sie sind ja warm eingepackt, Ihnen wird nichts passieren.«

      »Hoffen wir’s.«

      »Ja, hoffen wir’s. Sagen Sie, junger Mann, haben Sie schnell zwölf Minuten Zeit für eine arme, schwache Frau?«

      Jetzt hatte Birne praktisch schon verloren.

      »Worum geht es denn?«, wollte er wissen.

      »Ich habe es doch gewusst, schon als ich Sie einziehen sah, dass Sie ein feiner Mensch sind. Ich habe es gewusst.«

      Birne hatte große Lust, ihr das Gegenteil zu beweisen und sie einfach mit ihrem nackten Lob auf der Treppe stehen zu lassen.

      Ein Enkel von ihr war wohl während des Tags da gewesen und sie in dieser Zeit gerade beim Einkaufen. Er hatte ihr einen Zettel auf den Küchentisch gelegt, dass der Schrank, den eine unlängst verstorbene Cousine hinterlassen und ihr vermacht habe, nun von ihm gebracht und im Keller gelagert sei. Ob er, Birne, nun so freundlich sein und das Möbel zu ihr in den ersten Stock tragen könne. Sie sei alt und schwach und er jung und kräftig. Birne fragte sich, warum das nicht der blöde Enkel machen konnte, mochte aber lieber schnell hier wieder raus und willigte ein.

      Die alte Frau, die sich als Frau Renate Zulauf vorstellte, führte ihn in den Keller, wo ein meterhoher absolut uninteressanter Wohnzimmerkasten stand.

      »Der wär’s. Schaffen Sie den?«

      »Kein Problem.«

      Birne machte sich dran und hasste sich vom ersten Augenblick an. Er musste unbedingt an seiner Unhöflichkeit arbeiten. Er war zu gut zu den Menschen. Was taten sie dafür?

      Umständlich und unter starkem Schwitzen schob er den Schrank die Kellertreppe hoch. Frau Zulauf äußerte sich zunächst sehr positiv über die Stärke Birnes, begann aber bald, ihn zu ermahnen, er solle doch aufpassen, nicht zu oft die Wand zu touchieren, sie habe keine Lust, neu lackieren zu lassen, so viel sei das Erbstück nun auch nicht wert.

      »Ich geb schon Obacht, keine Sorge.«

      »Ich meine ja nur.«

      Schwer schnaufend knallte Birne den Kasten vor der Eingangstür hin.

      »Was ist?«

      »Nur kurz schnaufen und Jacke ausziehen.«

      »Allein würde ich das nie schaffen.«

      »Das ist doch kein Problem.« Birne packte wieder an. Woher kam diese ganze Höflichkeit auf einmal? Wollte er gut sein zu den Menschen? Wollte er wieder Liebe geben? Schon möglich.

      Konnten sie nicht aufpassen? Die Eltern kamen ums Eck. Die wohnten hier seit Jahren und wurden doch nicht gebeten von der alten Frau, die sie jetzt übertrieben freundlich grüßte. Als ob sie Angst hätte. Birne grüßte auch, so freundlich, wie es ihm die Last erlaubte. Ein türkisches Ehepaar mit zwei wilden Kindern, nahm Birne unter Schwitzen wahr, kam aus dem Erdgeschoss geschossen und zwängte sich an ihm vorbei.

      »Ausgesprochen nette Leute«, berichtete Frau Zulauf. »Ich wohne hier seit 64 Jahren. Können Sie sich das überhaupt noch vorstellen? Da war noch Krieg. So, jetzt haben wir es gleich. Mein Mann ist 1969 gestorben. Das war schlimm. Gott hab ihn selig. Und diese Familie wohnt hier seit drei Jahren. Ausgesprochen nette Leute. Auch die Kinder grüßen immer freundlich, wo man doch sonst immer meint, die Kinder von den Ausländern grüßen nicht. Aber die hier grüßen. Wenn Sie das einfach dorthin stellen, mein Enkel kommt die Tage noch mal vorbei und schiebt es dann richtig hin. Mei – vielen Dank. Warten Sie.«

      Birne hatte den blöden Kasten die zwei Treppen in den ersten Stock getragen, hatte trotz Aufpassens mehrmals die Möbel im Gang der Wohnung der Zulauf gestreift, war im Wohnzimmer angekommen und endlich erlöst worden. Hier, dachte Birne, sah es aus, wie er es erwartet hatte. Ein grüner Teppichboden, eine 20 Jahre alte Sitzgruppe, die mit nach Katzenhaar stinkenden Decken belegt war. Den halben Bildschirm des Fernsehers, der in einer dunkelbraunen Wohnzimmerschrankwand steckte, bedeckte ein gehäkeltes Tüchlein, darauf standen Familienbilder, Enkelzeichnungen, Engelstatuen, eine Maria, eine Pieta – jede freie Fläche des Schranks bedeckte Tand. Es stank nach Altfrauenwohnung. Im Fernsehen lief jetzt die Tagesschau – Birne hatte den Ladenschluss verpasst durch seine Freundlichkeit.

      »So.« Sie war wieder da mit einem Tablett aus der Küche, darauf stand wiederum eine Flasche mit bescheuertem Likör, den Birne aus einem verstaubten Glas zu trinken hatte. Außerdem bekam er zehn Euro geschenkt, die er, so beschloss er, stehenden Fußes versaufen würde.

      »Allein hätte ich das nicht geschafft, ich bin alt, seit über 60 Jahren wohne ich hier. Einmal – im Krieg war das noch – hatten wir Fliegeralarm. Und wir mussten uns im Keller verstecken. Können Sie sich das vorstellen?«

      »Nein, danke für den Schnaps.«

      »Sie sind jung. Seien Sie froh, dass Sie jung sind. Das Alter ist nicht schön, besonders nicht, wenn man einsam ist. Haben Sie eine Frau?«

      »Nein«, gab Birne zu.

      »Schauen Sie, dass Sie schnell zu einer kommen, Sie sind jung, Sie bekommen schon noch eine. Einsam ist scheiße.«

      Da hatte die Alte recht.

      »Manchmal läuft’s halt nicht so, wie’s soll.«

      »Das ist wahr. Wollen Sie noch einen Schnaps?«

      »Ein anderes Mal gern. Jetzt muss ich weiter, ich bin dringend verabredet.«

      »Ich versteh schon, die jungen Leute.«

      An der Tür drehte sich Birne noch mal um: »Sagen Sie mal, die Zeitung …«

      »Ja?«

      »Die kommt schon hierher, wenn man sie bestellt?«

      Frau Zulauf schaute ihn fest an, als ob etwas mit ihm nicht stimme. »Wieso?«

      »Weil sie mir heute Morgen gefehlt hat.«

      Frau Zulauf schaute apathisch ins Leere. »Komisch.«

      »Aber Sie wissen nichts?«

      »Nein. Aber Sie müssen unbedingt mal wieder vorbeischauen, ich hab noch ganz anderen Schnaps, den werden Sie mögen. Das war nicht das letzte Mal.« Sie lachte wie eine Hexe.

      Birne versprach wiederzukommen, ohne zu ahnen, dass es diesmal wirklich das letzte Mal bei ihr war, dass er tausend Mal leichter wieder ihren Likör getrunken hätte als den scheußlichen Kelch, den das Schicksal schon für ihn am Brauen war.

      Jetzt musste er sich um seinen eigenen Rausch kümmern.

      2. Tag

      Birne bereute seine Zusage. Birne hatte Kopfweh, und schlecht war ihm auch. Birne hatte sich gedacht, gestern, wenn einsam, dann gescheit einsam und nicht mehr Wirtschaft und mit noch mehr Menschen verkehren. Er hatte sich einen Sixpack von der Tankstelle geholt und dabei den Zehner der Frau schon fast aufgebraucht. Ziemlich lustlos hatte er den weggetrunken und dann, leicht angesoffen vor einem witzigen Programm im Fernseher, beschlossen, noch mal rauszugehen und sich neues Bier und eine kleine Flasche Kräuterschnaps zu besorgen. Das war sein Fehler, und er sah ihn um 4 Uhr früh ein. Der Wecker klingelte, und Birne musste auf die Jagd mit Werner. Er hasste sich kurz, überlegte sich, ob er Werner anrufen und alles absagen sollte.

      Konnte er nicht, gleich am zweiten Tag.

      Zweiter Tag. Einen tollen Anfang legte er da hin. Wenn, dann musste er sofort raus, sonst würde er wieder einschlafen.

      Er stand auf, versuchte dabei, mit möglichst wenigen