Willibald Spatz

Alpendöner


Скачать книгу

er erzählt halt allerhand. Ich bin auch nicht mit allem einverstanden, was die Deutschen machen. – In Wirklichkeit kann ich damit gar nichts anfangen, was ihr treibt. Macht doch, was ihr wollt.«

      »Es gibt viele Nazis hier.«

      »Du meinst Polizei?«

      »Nein, nicht einmal, Leute, die so reden wie du.«

      Werner wehrte sich: »Ich sag es dir noch mal: Ich bin kein Nazi, ich bin von der Einstellung eher links.«

      »Und dein Bekannter?«

      »Der erzählt nur.«

      Sie hatten wieder einen, vor dem richtigen Loch, alles passte, Werner musste nur anlegen, ruhig atmen und abdrücken.

      »Mensch, sei doch mal still!«

      »Ich habe gar nichts gemacht.«

      »Dann ist es deine Scheißjacke, die macht Krach. Jetzt ist er wieder weg.«

      »Tut mir leid.«

      »Das nächste Mal ziehst du was Anständiges an.«

      Birne verstand, dass er wieder mitdurfte. Es hatte ihm gefallen, die Stille, dass kein Schuss gefallen war. Das Gespräch mit Werner.

      Im Auto. »Hast du eigentlich Kinder?«

      »Ja. Eine Tochter. Wieso?«

      »Nur so.«

      »17, das schwierige Alter.« Werner lachte.

      Birne hatte gar nicht daran gedacht. Sie waren auf dem Weg zur Arbeit, hatten Wechselkleidung dabei.

      »Das nächste Mal«, sagte Werner, »gehen wir abends, und danach an den Stammtisch.«

      Birne gefiel das, Birne mochte Bier.

      Im Büro war es ruhig. Er war halt jetzt da, keiner achtete besonders auf ihn. Birne hatte nichts zu tun, tat aber so, als hätte er, man wusste ja nie. Er blätterte ein bisschen die Bücher durch, die sie herausgegeben hatten, fand sie nicht so wahnsinnig anders als andere, worauf sie stolz waren, dass sie überhaupt nicht so waren wie Reiseführer. Es war ihm schon recht. Er arbeitete nur hier, er musste seine Seele hier nicht reinhängen.

      Irgendwann kam mal Tim und erklärte ihm das Programm oder System, mit dem sie hier arbeiteten. In welchem Ordner die Texte zu finden seien, wie man sie auf die Seiten des werdenden Buches fließen lassen konnte, wo man nach Bildern suchen konnte, wie ihre Seiten normalerweise gestaltet seien, worauf man zu achten habe, was die Todsünden seien und so weiter.

      Birne dachte sich »aha« und fand, dass man hier von keinem große Kunststücke verlangte. Langsam kam er aber in einen Zustand, in dem man von ihm auch nichts mehr verlangen konnte, ihm wurde schlecht, und er schwor sich, sich nie wieder so blöd vollzusaufen, zumindest nicht allein. Tim jedenfalls schaute ihn des Öfteren komisch an und Birne kam es so vor, als versuche er einen gewissen Abstand zu ihm zu halten, als stinke er womöglich nach Alkohol. Birne dachte, man müsse bald Hustenbonbons in seiner Schreibtischschublade lagern.

      Allein dreimal am Vormittag kam Werner und fragte: »Alles klar, Junger?« Birne wollte ihm vor die Füße kotzen. Jetzt sah man ihm schon an, dass er nicht gut beieinander war, dann musste man ihn nicht auch noch runterziehen. Er hatte einen Fehler gemacht, gut, aber war auch nur ein Mensch, und das passierte halt. Birne hatte ja nicht Schuld, dass er einsam war. Schließlich bejahte er Werners Fragen und bekam für kurze Zeit seine Ruhe.

      Irgendwann war Werner irgendwohin verschwunden, und Birne dachte sich, er könne sich jetzt eine lockere Stunde im Internet gönnen, seinen Kater mal auf anderen Gedanken bringen.

      »Na? Schon eingelebt?« Das war Sigrid, die anscheinend Werners Abwesenheit nutzte, sich an den neuen Kollegen ranzuschmeißen.

      »Bin ja gerade erst angekommen.«

      »Aber es gefällt Ihnen – dir doch?«

      »Bis jetzt noch nichts Schlechtes erlebt.«

      »Gut. Heute ist ein guter Tag für Leibesertüchtigung.«

      »Ja?« Birne hatte keine Ahnung, worauf sie hinauswollte.

      »Nach dem Mondkalender.« Stolz hob sie einen bunten Kalender hoch, damit er sehen konnte, wovon sie sprach. Es war zu klein aus der Entfernung, er konnte nichts lesen, deswegen ging er auf sie zu. Sie stand im Türrahmen seines kleinen Büroabteils.

      »Wann wäre denn ein günstiger Tag für Haareschneiden?«, wollte er höflich wissen.

      »Wieso? Deine sind doch noch nicht zu lang.«

      »Nein, meine ja bloß, steht doch sonst immer in den Mondkalendern.«

      »Richtig, richtig, steht auch drin, aber auch ganz andere Sachen: Wann es gut ist, sich zu waschen, wann, das Unkraut zu jäten, wann, dem Partner oder dem Chef eine entscheidende Frage zu stellen …«

      »Schon brutal, was der Mond alles weiß.«

      »Da, schenk ich dir, den bringen wir auch raus.«

      Birne blätterte drin, sah eine Menge Symbole in einem blauen Kalenderbuch.

      »War mein Projekt«, verriet Sigrid stolz.

      »Ist toll geworden.«

      »Heute ist Leibesertüchtigung.«

      »Dann müsst man sich heute noch bewegen.«

      »Ich gehe ins Fitnessstudio heute noch.«

      »Fitnessstudio?«

      »Ja, da gibt’s ein ganz tolles in Kempten, eigentlich zwei, eines für Frauen, also nur für Frauen, und eines für gemischt.«

      »Du wirst wahrscheinlich in das für Frauen gehen.«

      »Ja.« Sigrid lächelte und wurde ein bisschen rot.

      Mit einem Poltern kam Werner die Treppe herauf zurück zur Arbeit. »Der Chef schaut heute noch kurz rein«, schrie er.

      Sigrid flüchtete wie ertappt von Birne weg an ihren Platz. Es war nie etwas geschehen. Werner grinste. Birne schüttelte innerlich den Kopf.

      Irgendwann, sobald er raus war aus dieser Situation, würde jemand kommen – vielleicht sogar Tim, und er würde sich freuen, sogar, wenn es ausgerechnet Tim wäre –, würde ihm auf die Schulter klopfen und sagen: »Das musst du nicht so tragisch werten, der hat heute einen strengen Tag, die Reise und so weiter, morgen sieht er wieder ganz anders aus, morgen wird er es nicht mehr erwähnen, höchstens einen Scherz machen, wir werden alle lachen.«

      Noch steckte Birne aber in der Situation, knietief, und er sank noch tiefer und wünschte sich, nicht hier zu sein, sondern seinetwegen auf einem Berg, und Ruhe um sich zu haben, die Ruhe, die er jedem schenken würde, würden sie ihn lassen, die anderen und die verfluchten Dinge.

      Der Chef war zurückgekommen, nur kurz reingeschneit, hatte die Praktikantin dabei, leise hinter sich, und Birne dachte: Die hat wahrscheinlich einen guten Charakter und mehr auch nicht. Der Chef hatte einen weißen Leinenanzug an und freute sich, wie er anmerkte, dass der Neue da sei, wollte wissen, ob er sich schon eingelebt habe, und wies die Junge an, sich in ihrem ungelenk getragenen Hosenanzug zur Kaffeemaschine zu bewegen und für die Mannschaft Kaffee zu brühen, um sich bei einer Tasse besser kennenzulernen, sich aneinander zu gewöhnen. Werner lehnte sofort ab, setzte sich aber dazu.

      Und hätte man Birne gefragt, wie es denn genau zu der Situation gekommen sei? Da hätte er antworten müssen, dass er es genau auch nicht mehr rekonstruieren könne, dass er sich schon sehr konzentriert habe, nichts zu viel zu berühren, dass er möglicherweise einen Moment ein bisschen zu sehr auf den lustigen Zwirbelschnurrbart seines Bosses, der so nett zu seinem graubraunen weniger werdenden Haar passte, geachtet habe, als er noch eine Tasse eingeschenkt und halt dabei ein paar Tropfen auf den Anzug gebracht habe. Ein paar Tropfen, die im nahezu sofort einsetzenden Gebrüll, das keinesfalls mit Verbrühschmerz zu rechtfertigen war, vor Schreck ein paar mehr wurden, genau so viel, dass man von einem ruinierten Anzug sprechen konnte.

      Es