Aşkın-Hayat Doğan

Queer*Welten


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Wah führt Menschen in den Tod. Weil nicht alle sterben, folgen sie ihr weiterhin.“

      „Das tut sie.“

      Sie maßen einander mit Blicken in der Dunkelheit.

      „Aber will sie nicht trotzdem mit mir tanzen?“

      Da lachte Ansha Wah. „Ich werde dich Tänzer nennen. Denn das ist freundlicher als Dummkopf.“ Zusammen lachten sie unter den Sternen, während die Posten sich fragten, was ihre Mutter so fröhlich machte.

      „Schau mich an, Tänzer“, sagte Ansha Wah. „Ich bin dafür nicht gemacht.“

      „Möchtest du es denn?“

      Sie wandte sich ab, ging zwei Schritte in die wispernde Heide, blickte zurück zu den braunen Augen.

      „Ich mache mich lächerlich“, flüsterte sie. Und der Tänzer lächelte nicht und ging nicht zur ihr und nahm sie nicht in den Arm.

      „Du tanzt mit deinen Waffen“, beharrte er.

      Sie trafen sich nachts, wenn nur die Posten wachten und man an den Feuern Geschichten von Ansha Wah erzählte, die Schatten und Eis vertrieb. Es gab keine Musik und es gab keine Berührung. Der Tänzer nahm ihr die Waffen aus der Hand und lehrte Ansha Wah die Schritte und Drehungen. Sie stolperte und fluchte, sie suchte in der Dunkelheit nach hämischen Gesichtern, aber nur die Sterne sahen sie, die lachten in allen Nächten über die Ängste der Menschen.

      Im Morgengrauen saßen sie am Boden, strichen den Reif von der Heide und erzählten einander von ihren Welten. Dort lernte sie das Tanzen und Lachen.

      Als der Frost in den Halmen festklebte und die Zeltbahnen knackten, wenn man sie zusammenlegte, wurde es Zeit für den Krieg. Aus den weißen Bergen in der Ferne brach das Volk von Eis und Schatten wie ein Albtraum im Mittagslicht, wie Tinte in klarem Wasser.

      Ansha Wahs Streiter schluckten die Angst herunter oder spuckten sie auf den Boden, wo sie festfror, reihten sich auf, wohin die Mutter sie schickte.

      „An-Sha!“, rauschte es durch die Reihen. Sie hob das Banner. „An-Sha Wah!“

      Es war Ansha Wah, die in die Schlacht zog, mit Speer, Schwert und Schild. Ihr Pferd schrie, aber die Mutter des Krieges schwieg. Man kann das Volk von Eis und Schatten töten. Sie bluten nicht. Sie bluten nicht, aber sie kreischen und brüllen und werden noch wilder, bis sie zerbrechen. Genauso, wie die Menschen zerbrechen. Ansha Wah zerbrach sie, zerschnitt sie. Seit ihrem fünfundzwanzigsten Jahr. Ihre Generäle gehorchten, ihre Boten berichteten. Die Mutter des Krieges kannte den Spielplatz ihrer Kinder. Sie verlor nicht ihren Weg, und sie verlor nicht ihre Schlacht.

      Als der Morgen wiederkehrte, das Volk von Eis und Schatten zurückfloss in das Gebirge und die Luft dick war von zu viel Tod und Schmerzen, hängte Ansha Wah das Schwert an ihre Seite. „Bringt mir den Meister der Bogenschützen.“

      Des Meisters Bein war eingewickelt in blutige Fetzen, aber er stand stolz vor seiner Herrin.

      „Wie viele Verluste?“ fragte sie.

      „Einer von dreien, Ansha Wah.“

      Einer von dreien.

      Aber ihr Blick ruhte einzig auf dem Mann, der den Meister begleitet hatte. Der Tänzer hatte Tränen in den braunen Augen und Blut im Haar. Er lächelte nicht mehr und führte den Meister fort.

      Am Abend fand sie ihn weit vom Lager, wo man noch die Heide riechen konnte.

      „Erinnerst du dich jetzt an den Krieg?“

      Er nickte. „Der Süden träumt. Aber ich möchte ihn nicht mehr wecken. Soll er weiter träumen und glücklich sein.“

      „Wir wollen ihn träumen lassen“, stimmte sie zu. „Aber ... möchte auch der Tänzer wieder schlafen?“

      „Der Tänzer möchte daran glauben, dass er nicht träumen muss, um glücklich zu sein.“

      Er streckte die Hand aus.

      „Tanz mit mir.“

      „Nein“, entschied sie streng. „In dieser Nacht gibt es keinen Tanz. Es gibt keine Musik und es gibt keine Freude. Die Toten liegen unter den Sternen. Es gibt kein Glück in dieser Nacht.“

      Da legte der Tänzer ihr eine Hand auf die Schulter und spürte die zitternden Muskeln unter dem Kettengeflecht. „In dieser Nacht gibt es kein Glück“, stimmte er zu.

      „Aber es wird noch andere Nächte geben.“

      * * *

      Sie tanzten nicht in dieser Nacht, und ein Krieg ist nicht mit einer Schlacht gewonnen. Aber Ansha Wah gewann diesen Krieg, trieb das Volk von Eis und Schatten hinter seine Grenzen zurück.

      Es gab andere Nächte.

      Als die Mutter des Krieges in ihre Heimat zurückkehrte, ritt der Tänzer neben ihr. Niemand lachte mehr bei der Vorstellung, Ansha Wah könnte tanzen oder die Liebe eines Mannes erringen. Doch, zwei lachten laut und herzlich. Der Tänzer und seine Geliebte lachten und wussten beide um ihr Wunder und ihr Glück. Das Volk der Heide wurde wieder ein Volk von Bauern und Schäfern und der Sommer ließ die Sterne blass werden und die Nächte kurz.

      Ansha Wah stand auf den Zinnen der Festung ihrer Väter, hörte den Wind in den Föhren, blickte in Augen wie Kaninchenfell und glaubte daran, dass sie zu mehr taugte als Töten.

      In der letzten Nacht des Sommers, als die Fenster noch unverschlossen waren und den Duft von Heu und Immergrün hereinließen, lag der Tänzer bei seiner schlafenden Herrin. Es gab nur wenig, was er sich noch wünschte. Dass es so bleiben möge, war der größte.

      Sie war ein Wunder für den Mann aus dem Süden. Eine Naturgewalt, zu groß, zu stark für einen einzigen Menschen. Als er Ansha Wah das erste Mal gesehen hatte auf ihrem Zug in den Norden, hatte es ihm das Herz zerschnitten, sie so gefesselt zu sehen. Ein Wasserfall, eingemauert. Ein Falke mit Haube, nur zum Jagen freigelassen.

      Dass es so bleiben möge, flehte er die Götter an. Stets ist dies der vergeblichste der Wünsche.

      Die Fenster ließen Heu und Immergrün und einen Schatten ein.

      Ansha Wah schlief und träumte den letzten Traum des Sommers. Ihr Tänzer lag neben ihr, der Schatten strich heran, ohne Gesicht, ohne Körper, nur ein Fetzen, der seine warme Haut berührte und mit taubem Eis überzog. Über seine Brust kroch er, pfiff ihm fremde Worte in die Ohren, die der Tänzer nicht verstand und auf die er nicht antworten konnte. Wen der Schatten umarmt, der kann sich nicht mehr rühren. Aus dem Fetzen wuchsen Hände, sie strichen ihm über die Kehle, streichelten sein Gesicht. Tränen liefen über des Tänzers Wangen und froren fest, wo der Schatten ihn berührte. Dann griffen die Hände höher und pflückten ihm die weinenden Augen aus den Höhlen.

      In seiner neuen Dunkelheit sah der Tänzer nicht, wie der Schatten mit seinem Schatz verschwand. Er lauschte dem Wind in den Föhren und dem Atem seiner Herrin. Als alles Eis fortgeflossen war und sein Körper wieder warm, umarmte er die Schlafende, drückte sein leeres Gesicht in ihren Nacken und schwieg bis zum Morgen.

      Dass es so bleiben möge.

      * * *

      „An-Sha!“ Wie die Brandung toste der Schlachtruf durch die Menge. Mutter!

      „An-Sha Wah!“

      Mutter des Krieges. Tochter ihres Vaters. Herrin seines Banners, seit ihrem fünfundzwanzigsten Jahr. Erbin seiner Herrschaft, seit ihrem dreißigsten Jahr. Mutter des Krieges und von nichts und niemandem sonst. Ansha Wah.

      Nur ein Mann hatte sie jemals schön genannt. Ihr Tänzer. Ihr Gatte. Hatte sie angesehen und lächeln müssen.

      Wo seine Augen gewesen waren, waren keine Wunden, keine Narben. Nur glatte Haut, wo früher die Heide im Winter, Kaninchenfell und alle Sicherheit gewesen war, die sie unter ihrer Rüstung brauchte.

      Er hatte nicht gewollt, dass sie fortging. Ansha