Günter Neuwirth

Dampfer ab Triest


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ergriff Carolina. Wenige Monate nach der für Carolina ersten und bislang einzigen Schiffsreise war ihre Mutter gestorben. »Ich auch, Papa.«

      »Ich weiß gar nicht, warum ich mich habe breitschlagen lassen, wieder an Bord eines Schiffes zu gehen.«

      »Wegen deiner Lungen, Papa.«

      »Das weiß ich doch! Dr. Röthelstein und seine medizinischen Anordnungen. Eine Schiffsreise gegen meine Lungenschwäche. Wenn du mich fragst, sind das verrückte Ideen.«

      »Ich freue mich außerordentlich auf die Schiffsreise. Das Meer! Die Sonne! Griechenland! Die große Metropole Konstantinopel. Und die klare Luft auf See wird deinen Lungen bestimmt guttun.«

      Der Graf sah seine Tochter an, er sah ihre Vorfreude, ihre Erwartungen, er sah ihre Schönheit und Lebendigkeit, ihre Grazie und Eleganz. Ja, in seiner Tochter war seine geliebte Sophie lebendig geblieben. Sophie war viel zu früh und viel zu jung von ihm gegangen. Graf Urbanau griff nach der Hand seiner Tochter und drückte sie. »In Wahrheit, mein Kind, mache ich diese Reise nicht wegen meiner angeschlagenen Gesundheit, sondern allein, um dir eine Freude zu bereiten.«

      Carolina lächelte freudig. »Vielen herzlichen Dank, geliebter Papa.«

      »Sieh mal in den Korb, was Josefa eingepackt hat. Langsam kriege ich Hunger.«

      »Trotz der durcheinandergewirbelten Organe?«

      Der Graf legte die Stirn in Falten, lächelte jedoch dabei. »Du bist heute signifikant vorwitzig, Fräulein. Woher kommt denn das?«

      *

      Bruno saß bei Tisch und schaute zum Fenster in den schattigen Garten. Er nippte an der Kaffeetasse. Fedora verstand sich auf die Kunst, aus gemahlenen Kaffeebohnen ein Getränk zuzubereiten, das keinerlei Vergleiche mit der Arbeit des Baristas des Caffè degli Specchi zu scheuen brauchte. Die Essenz der Bohne auf den Punkt gebracht, schwarz, stark und ungesüßt. Was für ein besonderer Tag. Schon vor der Mittagsstunde hatte er ein Glück erfahren, das für viel mehr als einen Tag reichte. Fedora betrat das Wohnzimmer. Sie legte das Bücherpaket auf einen der Stühle.

      »Richte deiner Frau Mama meine besten Grüße aus. Bei Gelegenheit stöbere ich wieder gerne in ihrer wohlsortierten Bi­blio­thek.«

      Bruno schmunzelte. »Du bist immer willkommen.«

      »Das freut mich.«

      »Verstehe ich das richtig? Du setzt mich vor die Tür?«

      »Ich habe noch eine Menge zu tun, bis die Kinder zurück sind.«

      Bruno leerte die Tasse in einem Zug und erhob sich. Er strich sein Hemd glatt und zog das Sakko über. Fedora kam näher, zupfte das Sakko zurecht und knöpfte es zu. Bruno umfasste ihre Taille und zog sie an sich.

      »Geliebte Fedora, ich danke dir für diesen Vormittag des Glückes.«

      »Ich danke dir auch, schöner Mann.«

      »Was bin ich doch für ein Glückspilz, dass dein Ehemann zur See fährt und sich so Platz für mich in deinem Leben ergibt.«

      »Ich finde, wir haben beide Glück gehabt.«

      Bruno lächelte. Er konnte sich gut daran erinnern, wie Fedora bitter über die langen Perioden des Alleinseins klagte. Ihrer Schönheit kam nur ihr Hunger nach Liebe gleich, sie litt unter dem Schicksal, wochenlang ohne Mann ausharren zu müssen.

      »Ich hoffe nur, dass dein Mann und ich einander nie in die Quere kommen.«

      »Oh, das hoffe ich auch.«

      »Wir müssen weiterhin vorsichtig sein.«

      »Du bist doch Polizist! Du weißt doch, wie Einbrecher unbemerkt in Häuser einsteigen können. Nutze deine Kenntnisse.«

      »Glaubst du, er würde mich erschießen?«

      »Eher mit dem Säbel durchbohren. Oder dir den Schädel abschlagen.«

      »Was für reizvolle Aussichten.«

      Fedora löste sich von Bruno. »Wie gesagt, es ist besser, wenn er nichts von dir weiß.«

      Bruno griff nach dem Bücherpaket. »Allerdings.«

      »Kommst du am Donnerstag?«

      »Wie üblich nach Einbruch der Dunkelheit?«

      »Ja. Sobald die Buben schlafen.«

      »Was werden wir tun, wenn sie keine Kinder mehr sind, wenn sie dereinst forsche Knaben sind und nicht mehr bei Sonnenuntergang tief und fest schlafen?«

      »Das werden wir sehen, wenn es so weit ist.«

      »Und wann kommt dein Mann zurück?«

      »Am nächsten Samstag.«

      »Also wieder der Dampfer aus Bombay?«

      »Das habe ich dir doch gesagt.«

      »Tut mir leid, ich komme mit der Zeit da ein wenig durcheinander. Bombay, Schanghai, Yokohama, er ist viel unterwegs. Und zu meinem Glück auf den Fernlinien.«

      Fedora schreckte hoch. Auch Bruno hatte es gehört. Das Rufen eines Kindes. Noch in einiger Entfernung, aber unüberhörbar. Fedora eilte zum Vorderfenster und schaute zur Straße hin. Bruno stand hinter ihr.

      »Verflixt! Meine Schwiegermutter mit den Buben.«

      »Du hast gesagt, sie würden erst abends kommen.«

      »Meine Schwiegermutter ist unberechenbar. Sie stattet mir immer wieder Kontrollbesuche ab und schnüffelt hinter mir her. Diese Hexe. Du musst sofort verschwinden!«

      »Vielleicht nehme ich sie demnächst in polizeilichen Gewahrsam. Zweimonatige Verwahrungshaft.«

      Fedora bugsierte Bruno zum hinteren Fenster. »Ciao, Bruno. Bis bald.« Fedora küsste ihn kurz, aber leidenschaftlich.

      »Ciao.« Behände kletterte er aus dem Fenster, schaute sich um und verschwand im Wald hinter dem Haus. Das Bücherpaket unter dem Arm.

      *

      Fauchend und stampfend zog die Lokomotive die Waggons in den Triester Südbahnhof. Viele Fahrgäste hielten ihre Nasen in den Fahrtwind, um die ersten Eindrücke der Stadt aufzuschnappen. Auf dem Perron standen zahlreiche Menschen und blickten dem einfahrenden Zug entgegen. Hüte wurden geschwenkt. Auch Carolina beugte sich aus dem Fenster. Noch stand die Sonne am Himmel, dennoch war der heranziehende Abend mehr als fühlbar. Die Luft war kühl. Die Bremsen quietschten und der Zug kam zum Stillstand. Sie entdeckte Rudolf in der Menge und winkte ihm. Der Fahrer des Grafen entdeckte sie ebenfalls, winkte und eilte los. Carolina schloss das Fenster. »Rudolf kommt schon.«

      »Das will ich auch hoffen.«

      »Ich helfe dir mit den Koffern.«

      »Lass nur, ich schaffe das schon.«

      Der Graf und seine Tochter reisten mit leichtem Gepäck. Maximilian von Urbanau griff nach seinen beiden Koffern und verließ das Coupé, Carolina nahm ihren ebenfalls und den Korb. Auf dem Perron stand bereits Rudolf, der das Gepäck entgegennahm, es auf einen Handwagen hob und Carolina beim Aussteigen half. Der Fahrer des Grafen war mit dem Automobil vor zwei Tagen angekommen. Da die Thalia erst in drei Tagen ablegte, wollte der Graf diese Zeit nutzen, um das Triester Hinterland zu erkunden. Also war der Wagen auf einen offenen Güterwaggon verladen und nach Triest transportiert worden. Rudolf hatte nicht in der dritten Klasse reisen müssen, für die Bahnfahrt hatte er selbstredend eine Fahrkarte zweiter Klasse erhalten. Der Graf ließ sich niemals lumpen und seinen treuen Dienstboten fehlte es an nichts.

      »Wo steht der Wagen?«

      »Direkt vor dem Bahnhof, Euer Gnaden.«

      »Worauf warten wir dann noch?«

      Der Graf bot seiner Tochter den Arm, sie hakte sich ein. Rudolf folgte ihnen mit dem Handwagen. So bahnten sie sich den Weg durch das Gewühl. Carolina ließ ihren Blick streifen. So viele Menschen! Sie fühlte sich großartig. Endlich Triest, endlich der