Susanne Kronenberg

Mord im Kloster Eberbach


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er eine enthusiastische Begeisterung gelegt. Schweigend ließ er die Arme sinken und schaute auffordernd in die Runde.

      »Nicht doch, Ecki«, flötete Marielle Dyckerborn mit kindischer Theatralik. »Sag bloß, du hast einen Ersatz aufgetrieben?«

      »Wer ist es? Raus mit der Sprache, Ecki!« Die rauchige Stimme in ihrem Rücken gehörte Nelly Nebelsiek, erkannte Norma, ohne sich umzusehen.

      »Kinder«, schnurrte Winterstein entzückt und klatschte in die Hände, als applaudierte er sich selbst. »Der Fisch, den ich an Land gezogen habe, gehört zu den richtig fetten Hechten.«

      »Nun sag schon, Ecki«, bat die Frau, die Marielle bisher nicht von der Seite gewichen war. Sie mochte um die 40 sein, war von kompakter Statur und hatte die hellbraunen Locken zu einem wirren Knoten zusammengerafft.

      Winterstein warf ihr eine Kusshand zu. »Vor allem du darfst dich freuen, meine liebe Wenke. Deine Kamera wird eines der bedeutendsten Bühnengesichter Deutschlands und Frankreichs einfangen.«

      »Du nimmst mich auf den Arm«, entgegnete Wenke misstrauisch, als wäre sie von ihrem Regisseur allerhand nervige Spielchen gewöhnt.

      Winterstein schaute lachend in die Runde. »Kinder, es ist unglaublich, aber wahr: Die Rolle des Direktor Lindpaintner wird gespielt von …« Er legte eine Kunstpause ein. »Roman Bonheur!«

      Wenke schüttelte stumm den Lockenkopf. Marielle kreischte auf wie ein Teenager. Bravorufe wurden laut. Norma stimmte in den begeisterten Applaus ein. Endlich ein Name, der auch sie aufhorchen ließ. Was für ein Coup!

      Roman Bonheur, der gefeierte Bühnenstar, gab dem Kloster Eberbach die Ehre.

      3

      Die freudige Aufregung hielt an, bis es höchste Zeit wurde für den gemeinsamen Aufbruch. Norma folgte Timon und Lutz aus dem Mönchsrefektorium in den Großen Klosterhof. Timon trug die geräumige Reisetasche, auf deren Mitnahme Lutz bei der Abfahrt bestanden hatte, ohne ein Wort über den Inhalt zu verlieren. Neugierig fragte sich Norma, was ihr ehemaliger Schwiegervater darin verstaut haben mochte. Lutz hatte schelmisch gelächelt und sehr geheimnisvoll getan.

      An die tausend Sitzplätze bot die ehemalige Klosterkirche. Einer der vier Eingänge in die Basilika führte durch die Klostergasse, deren Zugang im Klosterhof lag. Unter einem Torbogen befand sich die Kartenkontrolle. Das fröhliche Plaudern der Menschen in der Schlange ließ eine entspannte Vorfreude erkennen. Noch bewahrten die Mauern des Cabinetkellers, der eine Seite des Klosterhofs schloss, die Wärme des hochsommerlichen Septembertages. Die Abendsonne ließ den roten Sandstein der Fensterlaibungen leuchten. Mit der Dämmerung würde die Kälte der frühen Herbstnacht heranziehen, weshalb die meisten Besucherinnen und Besucher mit winterlicher Kleidung ausgestattet waren. Nicht wenige hatten eine Wolldecke mitgebracht. Norma hatte ebenfalls vorgesorgt, sich für Jeans, einen leichten Pullover und eine Jacke entschieden, die sie bislang über dem Arm trug.

      Lutz eilte voran. Norma und Timon blieben an seiner Seite. Am Ende der Warteschlange stießen sie auf Ecki Winterstein.

      Er habe auf Lutz gewartet, meinte der Regisseur, und bat um Verzeihung, weil er nicht früher die Zeit für seinen Verleger und dessen Begleitung gefunden habe. »Schade, dass wir vorhin nicht miteinander reden konnten. Wie gesagt, ich musste mich um die Umbesetzung kümmern.«

      Lutz äußerte Verständnis für die besonderen Umstände. »Dafür haben Sie Roman Bonheur für Ihr Projekt gewonnen. Meinen Glückwunsch!«

      »Was für eine Erleichterung und Freude«, begeisterte sich Winterstein. »Roman kennt meine bisherigen Dokudramen. Man sieht sie ja auf verschiedenen Sendern. Er ist ein großer Bewunderer meiner Arbeit.« Das Entzücken ließ seine Stimme beben.

      Umsichtig, wie es seine Art war, machte Lutz den Regisseur mit seiner Begleitung bekannt. »Norma Tann, Privatdetektivin aus Biebrich, und ihr Lebensgefährte Dr. Timon Frywaldt.«

      »Offen gesagt, Sie sind die erste Privatdetektivin, der ich persönlich begegne«, räumte Winterstein ein und fragte, an Timon gewandt: »Und Ihre Profession, Dr. Frywaldt?«

      »Ich bin auch eine Art Ermittler«, entgegnete Timon vergnügt.

      »Wo sind die anderen Mitglieder Ihres Teams?«, fragte Norma, die weder Sören I. Wahler noch Nelly Nebelsiek oder Marielle Dyckerborn in der Menge entdecken konnte.

      Seine Crew würde durch das Mönchsdormitorium in die Kirche geschleust, erklärte Winterstein. »Dort gibt es eine Treppe, von der aus man direkt in die Kirche gelangt, damals der kürzeste Weg für die Zisterzienser zu ihrem nächtlichen Gebet. Was glauben Sie, was hier los wäre, wenn die Leute Marielle oder Sören entdecken würden? Vor lauter Selfies mit den Stars gäbe es kein Durchkommen.«

      Die Bedenken konnte Norma nachvollziehen. »Wann erwarten Sie Roman Bonheur in Eberbach?«

      Wintersteins Mundwinkel zogen sich erneut zu einem breiten Lächeln auseinander. »Roman ist bereits auf dem Weg in den Rheingau. Ich habe ihn auf seinem französischen Landgut erreicht. Wir können den Dreh wie geplant starten.«

      »Vielen Dank für die Karten, Herr Winterstein«, sagte Lutz und fasste in die Innenseite seines Sakkos.

      Er zog drei Tickets heraus, von denen er zwei an Norma und Timon weiterreichte. Schritt für Schritt rückten sie an den doppelbögigen Durchgang heran. Lutz machte eine launige Bemerkung darüber, dass Winterstein sich das Gedränge ersparen und wie seine Leute den Zugang über den Schlafsaal hätte nehmen können, wäre er nicht so höflich gewesen, seinen Verleger zu begrüßen. Winterstein schaute zerknirscht, als triebe ihn derselbe Gedanke um.

      Endlich gelangten sie durch ein Eisentor in den länglichen Innenhof, der auf das Seitenschiff der Basilika zuführte. Gemächlich ging es im Menschenstrom voran, was Lutz die Gelegenheit gab, sein Wissen über die angrenzenden Gebäude an Norma und Timon weiterzugeben. Historisch interessiert, wie er war, hielt er sich häufig im Kloster auf und lud Geschäftspartner und auswärtige Gäste liebend gern zu Rundgängen ein. Von früheren Besichtigungen kannte auch Norma den hohen Steinbau, der sich rechter Hand erstreckte. Sie erinnerte sich an die riesigen historischen Weinkeltern, die im ehemaligen Laienrefektorium, dem Speisesaal der Laienbrüder, ausgestellt waren. Der Fachwerkbau auf der linken Seite hatte einst die Klosterbibliothek beherbergt. Mächtige Holzpfosten trugen den darunterliegenden Säulengang. Während Norma sich auf die Basilika zubewegte, fiel ihr ein dunkles Blatt Papier auf, das an einem dieser Pfeiler hing. Was darauf abgebildet war, ließ sich aus ihrer Position nicht deuten. Sie ging dicht hinter Winterstein und hatte Timon und Lutz aus den Augen verloren. Die Menschen rundherum zeigten sich bestens gelaunt und erwartungsfroh. Handys wurden gezückt und zum Fotografieren hoch über die Köpfe gehalten. Angeregt tauschte man Erinnerungen über denkwürdige Filmszenen aus. Der tote Mönch im von Schweineblut überquellenden Bottich. Die Folterqualen des Ketzers Salvatore. Die unverwechselbaren, wenn nicht sogar entstellten Gesichter der Klosterbrüder. Und natürlich Sean Connery als unvergleichlicher William von Baskerville!

      Die wenigsten Zuschauer schienen »Der Name der Rose« erstmals zu sehen. Normas Vorfreude wuchs mit jedem Trippelschritt, der sie näher an die Kirchenfassade heranführte. Auch der großgewachsene Mann vor ihr, dessen kahler Hinterkopf über die Menge hinwegragte, schien es kaum erwarten zu können. Ungeduldig reckte er den Hals, der dürr war wie der eines gerupften Huhns und im überweiten Kragen seines Karohemds steckte. Der Mann schaute hin und her, als könnte sich an den Seiten ein schnellerer Weg auftun. Dabei wurde sein Blick von irgendetwas gefesselt, denn er stoppte jäh in seiner Bewegung. Angespannt hielt er den kahlen Schädel nach links gewandt. Interessierte ihn der ans Holz gespickte Zettel? Norma war weit genug aufgerückt, um darauf eine Kohlezeichnung zu erkennen: mit reichlich Schwarz und offensichtlich von geübter Hand aufs Papier gebracht. Auch Winterstein schien die Zeichnung bemerkt zu haben. Oder warum sonst sollte er so abrupt stehen bleiben, dass Norma ihm in die Hacken trat. Ihre Entschuldigung schien er nicht einmal wahrzunehmen. Auf Zehenspitzen linste er über die Köpfe hinweg zum Säulengang hinüber.

      »He, ihr da vorn! Weitergehen!«, beschwerte sich eine Frau.

      Etliche