drehte sich um, als sie das »Guten Morgen« einer bekannten Stimme in ihrem Rücken hörte. Angesichts der Präsenz von Beate Balzer und den Holls fiel Pauls Begrüßung vornehm zurückhaltend aus. Er wies in Richtung des Eingangs. »Ihr habt da draußen vor dem Hofladen freilaufende Hühner und sogar einen kleinen Stall mit Leiter, bringt denn …«
»Den hat Christoph zusammen mit Laura und Jonas gebastelt«, erklärte Milka.
»Was ich wissen wollte: Bringt das überhaupt was für euren Laden? Die Fläche ist doch ziemlich klein.«
»Aber mit Baum und Sträuchern. Die Anlage ist eher für Kinder gedacht, die mit ihren Eltern zum Einkaufen kommen. Die haben dann was zum Gucken. Und einen Hahn haben wir auch.«
»Hab ich gesehen. Der beschützt dann die Hennen, wenn der Fuchs kommt, ja?« Paul grinste.
Milka und Beate konnten ein Kichern nicht unterdrücken. »Wenn ein Fuchs kommt, ist der Hahn in Regel der Erste, der Fersengeld gibt und sich über die Hühnerleiter verdrückt. Ist schließlich kein Hocco, kein Buschhahn«, erklärte Milka.
»Ist nicht wahr. Kann nicht sein.«
»Doch. Wie im richtigen Leben.«
Paul grinste breiter. Er kannte Milkas manchmal spitze Ironie und wechselte das Thema. »Und die braunen Hühner legen die braunen Eier, die weißen die weißen Eier?«
»Nix da. Die Schalenfarbe hat mit der Farbe der Federn nichts zu tun. Hängt von den Genen ab. Meist ist es so: Hat die Henne rote Ohrscheiben, so legt sie braune Eier. Hat sie weiße Ohrscheiben, dann meist weiße. Können wir jetzt das Thema wechseln?«
Paul nickte zustimmend. »Gern. Hab ich eure Besprechung unterbrochen?«
»Nein. Wir sind mehr oder weniger durch. Setz dich dazu. Ein Kaffee?«
Paul ging mit Frau Balzer zum Kaffeeautomaten hinter der Theke. »Habt ihr heute die Zeitung gelesen?« Paul balancierte den Becher mit Cappuccino zurück zum Tisch.
»Allerdings«, sagte Milka, »wir werden wieder mal als die großen CO2-Sünder gebrandmarkt.«
»Na ja, eure Trecker und Maschinen, die …«
»Die, lieber Paul, werden statistisch im Energiesektor verbucht. Ackerbau und Viehzucht machen gerade acht Prozent des Treibhausgasausstoßes, und …«
»Das ist doch schon erheblich.«
»… und Haushalte etwa zehn und der Verkehr weitaus mehr, um die 18 Prozent«, schaltete sich Lukas Holl ein. »Das Thema beschäftigt uns ja, sehr sogar, Herr Eichert. Wir bringen weniger Dünger auf die Felder, nutzen demnächst in unserem Dreierverbund die Gülle zur Energieproduktion, stoppen die Umwandlung von Grünflächen in Ackerland. Was uns nicht gefällt, ist, dass alles auf Verzichtsstrategien hinausläuft.«
Milka lächelte leise und beobachtete die Diskussion, in die sich nun auch Beate Balzer einbrachte. »Wenn die Verbraucher ihren Hamburger oder ihr Steak wollen, können wir nicht einfach die Tierhaltung stoppen. Sonst kaufen die eben Importware, und wir fahren die Betriebe gegen die Wand. Wir sind ja dabei, stärker auf Obst und auf Gemüse umzustellen. Ein Butterverzicht allein wird unser Klima nicht retten und uns auch nicht.« Frau Balzer redete sich in Rage, holte tief Luft.
Milka nutzte die kleine Pause. »Wir verkennen gar nicht, dass Methan und Lachgas weitaus schädlicher sind als CO2. Deshalb sind wir auch dran, mit Maßnahmen auf breiter Front. Was mich persönlich ärgert, das ist eine gewisse, beinahe blinde Fokussierung auf bestimmte Hassobjekte. Mal sind pauschal alle SUVs die Umweltsünder, die verteufelt werden, mal der Diesel und morgen wieder etwas anderes. Die Diskussionen hängen sich pauschal an einzelnen Dingen oder Objekten auf, ohne wirkliche Differenzierung.«
Tim Holl setzte seine Cola ab. Kaffee war nicht sein Ding. »Eigentlich müssten wir dann unseren Canis sofort einschläfern lassen.«
Paul erinnerte sich. »Euren Schäferhund? Warum das? Und was hat das jetzt mit …«
»Hat es.« Tim grinste. »Hab gerade ein Buch darüber gelesen. Der Titel lautet: ›Time to eat the dog?‹«
Paul schüttelte nur den Kopf und wunderte sich über Milkas helles Lachen. Sie kannte die Story.
»Zu Deutsch: Ist es an der Zeit, den Hund zu essen?«, übersetzte Tim vorsorglich. »Anscheinend wird momentan für alles und jedes das Treibhausgas berechnet. In der Schweiz titelte eine Zeitung: ›Lumpi ist ein Sauhund‹. Jedenfalls soll die Haltung eines Hundes einer jährlichen Umweltbelastung von 1.400 Fahrkilometern mit dem Auto entsprechen. Die Katze kommt etwas besser weg. Das Pferd schlechter, da sind es 21.500 Kilometer.«
Paul schmunzelte. »Eines ist mal sicher. Wenn nach dem Butter- ein Hunde- und Katzenverbot kommt, dann bleibt in dieser Republik nichts mehr so, wie es war.«
»Kommt nicht durch, wäre auch zu kurz gesprungen«, meinte Milka. »Kein Hund, kein Spaziergang mehr an der frischen Luft, zu wenig Bewegung, kein Ansprechpartner zu Hause. Dann füllen sich die Wartezimmer bei den Ärzten bis zum Bersten. Man muss die Dinge einfach zu Ende denken.«
»Du hast heute frei?«, wollte Milka wissen, als sie zu zweit im Kaminzimmer saßen.
Paul nickte. »Du hast den gestrigen Tag überstanden?«
»Das Geschehen ging mir nach. Die halbe Nacht. Hast du was von deinem Kollegen gehört, diesem Karle?«
»Nein, nichts gehört, und das ist auch gut so. Hast du etwas vor? Mit mir?«
Milka zauberte ein Lächeln auf ihr Gesicht, stand auf, gab Paul einen Kuss, schenkte Apfelsaft nach, ging zum Fenster und sah auf den Hof hinaus.
»Also was?«
»Also gut. Demnächst ist diese Langenburg Historic Rallye. Hab ich dir erzählt.«
»Ist mir bekannt. Und …« Paul stand auf, ging zum Fenster, hob sacht Milkas leicht geneigten Kopf an, blickte ihr in die Augen. »Und? Nun red schon.«
»Und? Ich suche weiter nach einem Beifahrer. Hättest du … ich meine, kannst du dir vorstellen …« Milka verstärkte ihr Lächeln.
Paul lächelte zurück. »Dein Bruder? Nein? Dieser Deiniger, der dir stets die Tipps für deinen Käfer gibt, nein? Und dein Professor, der könnte doch …«
»Paul, bitte. Der drückt doch das Bodenblech schon durch, wenn ich langsam an eine rote Ampel rolle. Du nimmst mich nicht …«
»Also gut. Zusage. Das geht über drei Tage, ja?«
»Und würdest du heute mit mir einmal die Bergstrecke fahren? Vom Startort bis hoch nach Langenburg?«
Paul akzeptierte. »Du hast deinen Oldtimer bereits vor die Scheune gestellt. Du wusstest, dass ich zusage, ja?«
Milka öffnete die Beifahrertür, sah zu, wie Paul mit skeptisch prüfendem Blick einmal um das Fahrzeug schlich und sich dann in den schmalen Sitz des 64er Käfers fädelte. »Du bist sicher, das Teil bringt uns bis nach Langenburg?« Er bewunderte den makellosen Zustand des lackierten Armaturenbretts, das zerbrechlich wirkende Zweispeichenlenkrad, den hoch aufragenden Ganghebel, drückte eine der fünf Tasten des Radios, öffnete das Handschuhfach.
»Ist deine Kontrolle damit zur vollen Zufriedenheit abgeschlossen, lieber Paul?«
»Dein Radio tut nicht.«
»Puh. Erstens ist die Zündung nicht an, und zweitens fehlt die Verbindung zur Antenne. Aber keine Sorge: Alles vom TÜV abgenommen. Einschließlich der Sicherheitsgurte.«
»Wunderte mich bereits, dass es welche gibt.«
»Die waren nicht serienmäßig. VW hat aber seit dem Jahr 1961 Verankerungspunkte eingebaut. Also hab ich nachgerüstet.«
Der Boxermotor sprang willig an, äußerte ein vernehmliches Brabbeln, das auch im Innenraum gut zu hören war. Milka fuhr los.
Es dauerte immerhin gute 20 Kilometer, bis Paul Eichert anfing, sich zu entspannen und nach den technischen