Dienst.«
Das Diplom, in schwarzem Holzrahmen mit Goldleiste, zeigte in Schönschrift Lognons Namen und seinen Dienstgrad.
»›Ein Flic, was?‹, hat der Mann gesagt. ›Wo ist er?‹
Ich habe geantwortet, das wisse ich nicht, aber offenbar hat ihn das nicht geschert. Er hat alle Schubladen aufgemacht, die Papiere durchgesehen, hat sie irgendwo hingeworfen, sodass manche auf dem Boden gelandet sind.
Er hat eine Fotografie gefunden, mit uns beiden drauf, vor fünfzehn Jahren, hat mich angeschaut und genickt, dann hat er das Foto in die Tasche gesteckt.«
»Kurz gesagt, er hat anscheinend gar nicht damit gerechnet, dass Ihr Mann bei der Polizei ist?«
»Er war nicht besonders überrascht, aber ich bin sicher, gewusst hat er es nicht, als er kam.«
»Hat er gefragt, zu welcher Abteilung er gehört?«
»Er hat gefragt, wo er ihn finden kann. Ich habe gesagt, ich wisse es nicht, mein Mann spricht nie von seinen Fällen.«
»Er hat nicht gedrängt?«
»Er hat weiter in den Sachen gelesen, die er gefunden hat.«
»Waren dienstliche Unterlagen Ihres Mannes in der Schublade?«
»Ja. Der Mann hat welche in die Tasche gesteckt, zu dem Foto. Ganz oben im Buffet war eine Flasche Calvados, und er hat sich ein großes Glas eingeschenkt.«
»Das ist alles?«
»Er hat auch unters Bett geschaut und in die zwei Wandschränke. Er ist wieder ins Esszimmer zurück und hat noch etwas getrunken, dann ist er gegangen, mit einem kurzen spöttischen Gruß.«
»Haben Sie was bemerkt, trug er Handschuhe?«
»Handschuhe aus Schweinsleder, ja.«
»Und die anderen zwei?«
»Ich glaube, sie hatten auch welche. Auf jeden Fall der, der mir gedroht hat, mit seinem Revolver.«
»Sind Sie wieder ans Fenster gegangen?«
»Ja. Ich habe ihn aus dem Haus kommen sehen, dann ist er hinübergegangen zu einem der beiden andern, dem Kleinen, der hatte gewartet an der Ecke Rue Caulaincourt. Ich habe sofort im Kommissariat Rue de La Rochefoucauld angerufen und nach Lognon gefragt. Sie haben mir geantwortet, sie hätten ihn heute Vormittag noch nicht gesehen und auch nicht mit ihm gerechnet, und als ich gedrängelt habe, haben sie gesagt, er sei letzte Nacht nicht im Büro gewesen, dabei hatte er Dienst.«
»Haben Sie denen erklärt, was passiert war?«
»Nein. Ich habe sofort an Sie gedacht, Herr Kommissar. Sehen Sie, ich kenne Lognon besser als jeder andre. Er ist ein Mann, der es immer allzu gut machen will. Niemand hat bis jetzt seine Verdienste anerkannt, aber oft hat er von Ihnen gesprochen, ich weiß, Sie sind nicht wie die anderen, Sie missgönnen ihm nichts, Sie … Ich habe Angst, Monsieur Maigret. Sicher hat er sich an Leute herangewagt, die zu stark sind für ihn, und Gott weiß, wo er in dieser Stunde …«
Im Schlafzimmer klingelte das Telefon. Madame Lognon zitterte.
»Erlauben Sie?«
Maigret hörte ihre plötzlich gereizte Stimme:
»Was! Du bist es? Wo warst du? Ich habe bei dir im Büro angerufen, und man hat mir gesagt, du hättest seit gestern keinen Fuß hingesetzt. Kommissar Maigret ist hier …«
Maigret war hinterhergegangen und streckte die Hand zum Hörer.
»Erlauben Sie? … Hallo! Lognon?«
Der andere am Ende der Leitung blieb still, sicher mit starrem Blick, zusammengebissenen Zähnen.
»Sagen Sie mal, Lognon, wo sind Sie eigentlich gerade?«
»Im Büro.«
»Und ich bin bei Ihrer Frau in der Wohnung. Ich muss mit Ihnen reden. Ich komme in die Rue de la Rochefoucauld, das liegt auf meinem Weg. Warten Sie auf mich … Wie bitte?«
Er hörte den Inspektor stottern.
»Mir wäre es lieber, nicht hier. Ich erkläre Ihnen alles, Herr Kommissar …«
»Dann kommen Sie an den Quai des Orfèvres, in einer halben Stunde.«
Er legte auf, nahm seine Pfeife, seinen Hut.
»Sie glauben, es ist nichts Schlimmes passiert?«
Und da er sie verständnislos ansah:
»Er ist so unvorsichtig, er ist so ehrgeizig, dass er …«
»Soll reinkommen.«
Lognon war pitschnass, dreckig, als hätte er sich die ganze Nacht in den Straßen herumgetrieben, und er hatte einen derartigen Schnupfen, dass er sein Taschentuch dauernd in der Hand behielt. Mit geneigtem Kopf, wie einer, der erwartet, dass man ihn herunterputzt, stand er in der Mitte des Raums.
»Setzen Sie sich, Lognon. Ich war gerade bei Ihnen zu Hause.«
»Was hat meine Frau gesagt?«
»Alles, was sie weiß, nehm ich an.«
Danach folgte ein ziemlich langes Schweigen, Lognon nutzte es zum Naseschnäuzen, ohne dass er wagte, den Kommissar anzuschauen, und der Kommissar, der seine Empfindlichkeit kannte, wusste nicht recht, wo beginnen.
Was Madame Lognon gesagt hatte über ihren Mann, war nicht so falsch. Dieser Trottel wollte es immer so gut machen, dass er unausweichlich in der Patsche landete, überzeugt, die ganze Welt habe etwas gegen ihn und er sei das Opfer einer Verschwörung, angezettelt, um zu verhindern, dass er befördert wurde und endlich den Platz in der Sonderabteilung am Quai des Orfèvres einnahm, den er verdiente.
Ärgerlich war, dumm konnte man ihn tatsächlich nicht nennen, er war sehr gewissenhaft und der anständigste Mensch von der Welt.
»Liegt sie im Bett?«, fragte er schließlich.
»Sie war auf, als ich gekommen bin.«
»Ist sie böse auf mich?«
»Schauen Sie mich an, Lognon. Machen Sie sich’s bequem. Ich weiß nur, was Ihre Frau mir erzählt hat, aber ich muss Sie nur angucken und sehe schon, dass irgendwas nicht stimmt. Sie sind mir nicht direkt unterstellt, was Sie womöglich gemacht haben, geht mich also nichts an. Aber jetzt, nachdem Ihre Frau sich an mich gewendet hat, wäre es vielleicht besser, wenn Sie mich ins Bild setzen. Was meinen Sie?«
»Ja, ich glaube.«
»Dann erzählen Sie mir bitte alles, verstehen Sie? Nicht nur einen Teil, nicht fast alles.«
»Ich verstehe.«
»Schön. Sie können auch rauchen.«
»Ich rauche nicht.«
Das stimmte. Maigret hatte es vergessen. Er rauchte nicht wegen Madame Lognon, denn ihr wurde vom Tabakgeruch schlecht.
»Was wissen Sie über diese Gangster?«
Da antwortete Lognon mit voller Überzeugung:
»Ich glaube, das sind echte Gangster.«
»Amerikaner?«
»Ja.«
»Wie ist das losgegangen mit denen?«
»Ich weiß es selber nicht. So wie die Sache ausschaut, gestehe ich Ihnen lieber alles, selbst wenn ich dann meine Stelle verliere.«
Er starrte auf den Schreibtisch, und seine Unterlippe zitterte.
»Es wäre sowieso irgendwann passiert, früher oder später.«
»Was?«
»Sie wissen es ja. Man behält mich, weil es nicht anders geht, weil man mich noch bei keinem Fehler ertappt hat, aber das geht jetzt schon Jahre so, dass man mich belauert …«
»Wer?«