Anschluss an den Orgasmus schläft der Mann aus evolutionstechnischen Gründen unweigerlich und ohne jegliches Kuscheln ein – zumindest versucht das ein oder andere Exemplar der Gattung Mann uns Frauen dies so zu verkaufen.
Tatsächlich ist es so, dass viele nach dem Orgasmus zunächst für sexuelle Reize nicht mehr empfänglich sind und von einem großen Schlafbedürfnis übermannt werden. Grund hierfür kann sein, dass der Penis wieder weich wird, Blutdruck und Blutkreislauf sich normalisieren und Atmung und Herzschlag sich beruhigen.
Theoretisch ist auch ein Orgasmus ohne Ejakulation möglich, bei dem das in der Prostata gesammelte Sperma nach und nach abgebaut wird – dies jedoch soll an dieser Stelle nicht unser Thema sein.
Wann ist früh wirklich »zu früh«?
Auf die in der Überschrift zu diesem Kapitel gestellte Frage gibt es zwar eine wissenschaftlich recht eindeutige Formulierung, nur wird diese dich nicht wirklich weiterbringen. Vielmehr ist bei der Bewertung der Zeit, die es dauert, bis du zum Höhepunkt kommst und ejakulierst, deine persönliche Einschätzung relevant – und natürlich die deiner jeweiligen Partnerin.
Wenn du es gewohnt bist, deine Partnerin stundenlang und in den unterschiedlichsten, abenteuerlichsten Stellungen zu penetrieren, wirst du vermutlich stutzen und deinen Samenerguss als vorzeitig einschätzen, wenn dieser schon nach zwanzig Minuten erfolgt. Andererseits jubelt deine neue Partnerin unter Umständen und preist dein Stehvermögen, wenn du – anders als ihr vorheriger Partner – erst nach unglaublichen sechzig Sekunden kommst.
Aus medizinischer Sicht ist vorzeitiger Samenerguss, der eigentlich vorzeitiger Höhepunkt heißen müsste, verhältnismäßig schlecht erforscht, was darauf zurückzuführen ist, dass vielen Männern diese Thematik unangenehm ist, sie nur ungern einen Urologen aufsuchen und selbst in anonymen Befragungen ausweichend antworten oder die Unwahrheit sagen. Dies führt leider dazu, dass Patienten, die unter vorzeitigem Samenerguss leiden, häufig falsch diagnostiziert oder behandelt werden.
Ein weiteres definitorisches Problem, sich diesem Themengebiet zu nähern, beschreibt Hanel: »Ejaculatio praecox (Synonyma: vorzeitiger Samenerguß [sic.], premature ejaculation) ist eine der häufigsten Störungen männlichen Sexualverhaltens. Sie wird bis zum heutigen Tag sehr unterschiedlich definiert. Während an mancher Stelle rein qualitative Maßstäbe angesetzt werden, d. h. die Befriedigung der Partnerin zur Beschreibung des Phänomens herangezogen wird, sehen andere Wissenschaftler quantitative Aspekte im Mittelpunkt und definieren E. p. in Sekunden oder Anzahl von Beckenbewegungen, die der betroffene Mann ausführen kann, bevor er ejakuliert.«
Nach Sigusch liegt ein vorzeitiger Samenerguss dann vor, »wenn der Ejakulationsablauf willkürlich vollkommen unkontrollierbar ist […] und/oder wenn die Partnerin eindeutig aufgrund der herabgesetzten bzw. fehlenden Ejakulationskontrolle des Mannes bei eigener unauffälliger sexueller Reagibilität und vorhandener Orgasmusfähigkeit keine Möglichkeit hat, durch koitale […] Praktiken den sexuellen Höhepunkt zu erreichen.«
Vereinfacht gesagt leidest du dann unter vorzeitigem Samenerguss, wenn du keinerlei Kontrolle über deinen Höhepunkt hast und diesen nicht hinauszögern kannst, und wenn deine Partnerin deshalb – und zwar ausschließlich beim Sex mit dir – durch Penetration keinen Orgasmus erleben kann.
Diese Unklarheit hat ein Forscherteam der International Society for Sexual Medicine (ISSM) veranlasst, folgende Merkmale für vorzeitigen Samenerguss zu formulieren:
• Ejakulation findet immer oder fast immer innerhalb von etwa sechzig Sekunden nach Einführung des Penis in die Vagina statt
• Unfähigkeit zur Verzögerung der Ejakulation bei jeder oder fast jeder vaginalen Penetration
• negative persönliche Folgen, wie etwa Leidensdruck, Ärger, Frustration und/oder die Vermeidung sexueller Intimität
Zusätzlich sei darauf hingewiesen, dass alle drei Merkmale gemeinsam auftreten müssen, damit von vorzeitigem Samenerguss im Sinne des ISSM gesprochen werden kann.
Ergänzen möchte ich, dass man eigentlich nur dann von vorzeitigem Samenerguss spricht, wenn dieser dauerhaft auftritt. Mach dir also keine Sorgen, wenn du ausnahmsweise etwas früher kommst – sag schön brav »Entschuldigung« und verwöhne uns auf anderem Wege ;). In der Realität wird die Zeitdauer bis zum Erleben des Höhepunkts nämlich von vielen Faktoren beeinflusst. Besonders schnell kann es gehen, wenn du …
• gerade deine ersten sexuellen Erfahrungen machst,
• lange Zeit enthaltsam warst,
• erste sexuelle Kontakte mit einer neuen Partnerin hast,
• die Atmosphäre zwischen dir und deiner Partnerin längere Zeit sexuell besonders aufgeladen war.
Außerdem – das wirst du bei den Fragebogen noch realisieren – können auch bestimmte Medikamente, Suchtmittel oder einfach nur dein aktueller Lebensstil die Zeit zwischen Penetration und Höhepunkt verkürzen.
Wenn wir schon dabei sind, uns mit dem Begriff des vorzeitigen Samenergusses auseinanderzusetzen, lohnt sich ein Blick auf zwei unterschiedlichen Arten der Ejaculatio praecox:
• Von einem primären oder auch lebenslangen vorzeitigen Samenerguss ist die Rede, wenn die Problematik seit Beginn der Aufnahme sexueller Aktivität auftritt.
• Tritt dieses Problem lediglich während einer begrenzten Phase auf, gab es einmal eine Phase, zu der die Zeit bis zum Höhepunkt als befriedigend und ausreichend erlebt wurde, spricht man von einem erworbenen oder sekundären vorzeitigen Samenerguss.
Nicht verschweigen möchte ich dir, dass bei dir unter Umständen alles in Ordnung ist, du jedoch unter einer fehlerhaften Selbsteinschätzung leidest.
So wie uns Frauen Instagram und Co. häufig ein völlig unrealistisches Körperbild vorgaukeln und selbst Frauen mit toller Figur in Magersucht und Diätenwahn treiben, lassen viele Männer sich vom wilden Treiben und nie enden wollenden Gerammel in Pornofilmen beeinflussen. Wenn du zu den regelmäßigen Konsumenten pornografischer Filme gehörst, bestimmen diese deine Sicht auf die Welt und Sex. Was diese Filmchen dir nicht zeigen, sind all die Tricks der Regisseure und Darsteller, mit denen sie dir unendlichen Sex vorgaukeln.
Mach doch die Probe aufs Exempel und kreuze für dich kurz an, wie lange deiner Meinung nach der durchschnittliche Geschlechtsakt (von der ersten Penetration bis zum Höhepunkt des Mannes) dauert:
• 0 bis 1 Minute
• 1 bis 2 Minuten
• 2 bis 5 Minuten
• 5 bis 10 Minuten
• über 10 Minuten
Na, was hast du geschätzt?
An der Universität Köln haben Forscher Studien zu diesem Thema durchgeführt und festgestellt, dass gesunde, nicht unter Ejaculatio praecox leidende Männer im Durchschnitt nach drei Minuten zum Höhepunkt kamen – also alles andere als das ewige Rein-Raus-Spiel in den von dir heimlich geguckten Filmchen. Andere Studien geben die durchschnittliche Dauer mit fünf Minuten an – ebenfalls deutlich kürzer, als viele vermuten.
Und, lagst du mit deiner Einschätzung richtig? Unabhängig von all diesen statistischen Werten lass dir von einer Frau sagen, dass die Dauer sicher nicht das wichtigste Kriterium für guten Sex ist.
Und du? Dein Samenerguss aus Sicht der Wissenschaft
Allgemeines vorab
Sexualität, gerade auch die sexuelle Leistungsfähigkeit des Mannes, ist für viele ein derart wichtiges, nicht selten die Persönlichkeit beeinflussendes Feld, dass die eigene Einschätzung nicht immer der Realität entspricht:
• Ist deine Partnerin aus ihrer vorherigen Beziehung einen 30-Sekunden-Schnellspritzer gewöhnt, wird sie dich als sexuell überragenden Hengst empfinden, wenn euer Liebesspiel doch tatsächlich ganze sechzig Sekunden dauert.
• Hattest du in jungen Jahren eine