Laura Martens

Der Arzt vom Tegernsee Staffel 4 – Arztroman


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daß es unter anderem auch kalten Braten und Würstchen gab.

      »Nichts da, alter Freund.« Eric drehte sich blitzschnell herum. Franzls Vorderpfoten gruben sich ins Gras. Vorwurfsvoll blickte er zu seinem Herrchen auf. »Ohne Fleiß kein Preis«, erklärte der Arzt. »Also komm!«

      Innerhalb weniger Minuten hatte Franzl den Rucksack und dessen Inhalt vergessen. Vergnügt rannte er Eric voraus zum Wald. Er wußte zwar, daß dort seine Freiheit ein Ende hatte, weil er in der Nähe seines Herrchens bleiben mußte, doch das tat seiner Freude keinen Abbruch.

      Eric spürte, wie die Anspannung der letzten Tage von ihm abfiel. So sehr er seinen Beruf liebte, es gab Situationen, da fragte er sich, weshalb er um alles auf der Welt Arzt geworden war. Erst am Vormittag hatte er einer jungen Mutter sagen müssen, daß sie an Darmkrebs litt, und am Vortag war es seine Pflicht gewesen, einem Elternpaar zu erklären, daß ihr kleiner Sohn an akuter Leukämie litt und es sehr schlecht um ihn stand.

      Plötzlich stoppte Franzl. Er stemmte die Vorderpfoten in den Waldboden und kläffte einen Mann an, der aus dem Unterholz kam. Erschrocken blieb der Mann stehen, traute sich kaum, sich zu rühren.

      »Franzl, was soll das?« fragte Dr. Baumann unwillig. An und für sich war es nicht die Art seines Hundes, fremde Leute anzubellen. Er griff nach Franzls Halsband. »Entschuldigen Sie bitte«, bat er und sah den Fremden an. Im Grunde genommen wunderte ihn Franzls Reaktion nicht. Der Mann wirkte wenig vertrauenerweckend. Er schien seit Tagen nicht aus seinen Kleidern gekommen zu sein. Trotz des warmen Wetters trug er eine schmuddelige Pudelmütze. Sein Gesicht wurde zum großen Teil von einem stoppeligen Bart bedeckt.

      »Schon gut«, antwortete der Fremde.

      Eric stutzte. Er hatte diese Stimme schon einmal gehört, da war er ganz sicher. »Kennen wir uns?« fragte er und versuchte, das Gesicht des Mannes mit einem der Menschen in Verbindung zu bringen, die ihm im Laufe der letzten Jahre begegnet waren.

      Der Mann holte tief Luft. »Ja, wir kennen uns, Eric«, antwortete er widerwillig. »Allerdings ist es schon lange her.« Er zögerte einen Moment, dann streckte er dem Arzt die Hand entgegen.

      Franzl begann mit hochgezogenen Lefzen zu knurren.

      »Franzl, jetzt reicht’s!« Eric ergriff die Hand des Mannes. »Tut mir leid, ich…«

      Der Mann fuhr mit der linken über seinen Bart. »Vielleicht sollte ich mich mal rasieren. Andererseits…« Er hob die Schultern. »Ich bin Martin Hellwert. Wir haben zusammen studiert.«

      »Martin?« Eric konnte es nicht fassen. Er schaute seinem ehemaligen Kommilitonen erneut ins Gesicht. Ja, jetzt konnte er eine gewisse Ähnlichkeit mit dem Martin von früher erkennen. »Bist du auf Urlaub, oder lebst du am Tegernsee?« fragte er.

      »Ich lebe hier«, antwortete Dr. Martin Hellwert. »Allerdings nicht direkt am See. Ich habe von einem Herrn Vögele aus Rottach-Egern eine Berghütte in Richtung Neureuth gemietet.«

      »Arno Vögele?«

      »Du kennst ihn?«

      »Ja, er gehört zu meinen Patienten.«

      »Stimmt, du hast die Praxis deines Vaters übernommen.«

      »Und du? Praktizierst du noch in München?«

      Martin Hellwert erstarrte. »Momentan nicht«, erklärte er. »Aber das ist eine lange Geschichte,

      Eric.« Er beugte sich zu Franzl hinunter und hielt ihm die Hand hin. Der Hund begann, mißtrauisch an ihr zu schnüffeln, schließlich ließ er sich bewegen, einige Male mit der Rute zu wedeln. So ganz traute er dem Frieden immer noch nicht.

      »Hast du etwas Besonderes vor, Martin?« erkundigte sich Eric. »Ich will noch ein Stückchen laufen und mich dann zum Vespern niederlassen. Wenn du Lust hast…«

      »Ich wollte zum nächsten Bauernhof, um mich mit allem Notwendigen einzudecken«, fiel ihm Martin ins Wort.

      »Schade.« Dr. Baumann dachte nach. »Was würdest du davon halten, mich am Sonntag zu besuchen?« fragte er. »Meine Haushälterin ist eine hervorragende Köchin. Sie würde sich genauso freuen wie ich, wenn du kommen würdest.«

      »Es gibt kaum noch Leute, die sich in meiner Gesellschaft wohl fühlen«, sagte Martin Hellwert und blickte an sich hinunter. »Selbst, wenn ich mich anständig kleide, bin ich nicht mehr der Mann, der ich einst gewesen bin.«

      »Du wirst uns so willkommen sein, wie du bist«, versprach Eric. »Wir erwarten dich also zum Kaffee und zum Abendessen. Am besten, du kommst so gegen drei.« Er fühlte, daß sein früherer Kommilitone dringend Hilfe brauchte. Irgend etwas mußte in Martins Leben total danebengegangen sein. Er konnte sich noch erinnern, wie begeistert sich Martin ins Studium gestürzt hatte. Er war einer der eifrigsten gewesen, wenn es darum ging, Wissen in sich hineinzustopfen.

      »Also, ich komme am Sonntag«, versprach Dr. Hellwert. »Reden wir von alten Zeiten und unseren damaligen Illusionen. Ich dachte, als Arzt müßtest du dich in erster Linie um deine Patienten kümmern, alles andere wäre nebensächlich. Nun, das Leben hat mich eines Besseren belehrt.« Er nickte Eric zu und ging einfach davon, ohne sich mit einem Abschiedsgruß aufzuhalten.

      Dr. Baumann schaute ihm nach. Martin Hellwert drehte sich nicht ein einziges Mal um. Mit hängenden Schultern marschierte er den Berg hinunter.

      Franzl kläffte herausfordernd. Er wollte weiter.

      »Schon gut, mein Freund.« Eric umfaßte mit beiden Händen die Gurte seines Rucksacks. »Machen wir, daß wir weiterkommen. Im Moment können wir Martin ohnehin nicht helfen.« Er drehte sich ein letztes Mal nach seinem früheren Studienkollegen um. Es war nichts mehr von ihm zu sehen. »Womöglich ist uns nur ein Geist begegnet«, sagte er zu Franzl. »Natürlich stellt sich in diesem Fall die Frage, ob ein Geist so verbittert sein kann.«

      Franzl bellte erneut. Dann entdeckte er ein Eichhörnchen, das mitten auf dem Weg saß, wo es seiner Meinung nach überhaupt nichts zu suchen hatte. Also blieb ihm nichts anderes übrig, als Ordnung zu schaffen und es die nächste Kiefer hinaufzujagen. Beifallheischend schaute er sich nach seinem Herrchen um. Statt des erwarteten Lobes zeigte ihm Dr. Baumann die Leine. Erschrocken ließ sich Franzl auf sein Hinterteil fallen und hob eine Vorderpfote, als wollte er um Verzeihung bitten.

      »Du bist und bleibst ein Schauspieler«, sagte der Arzt lachend. »Wenn ich dich nicht an die Leine nehmen soll, benimmst du dich anständig und läßt die armen Eichhörnchen in Ruhe.« Er schlug Franzl leicht auf den Rücken. »Also komm schon. Bevor wir nicht an der nächsten Lichtung sind, gibt es kein Vesper.«

      Seine Worte wirkten wie eine Zauberformel auf Franzl.

      Der Hund sprang auf und rannte unternehmungslustig ein paar Schritte voraus. Mit einem verständnisvollem Herrchen und einen Rucksack, in dem auch ein paar Würstchen für ihn steckten, konnte das Leben wirklich wundervoll sein.

      *

      Jörg Thomson ging zu seinem Sportwagen. Geradezu liebevoll legte er den Rosenstrauß, den er am Morgen eigenhändig geschnitten hatte, auf den Beifahrersitz. Seine Liebe zu Melanie wurde mit jedem Tag größer. Meistens wachte er schon am Morgen mit den Gedanken an sie auf. Daß sie kein Geld besaß, interessierte ihn nicht. Wichtig war einzig und allein, was sie füreinander empfanden.

      »Jörg!«

      Der junge Mann drehte sich um. »Ja, Vater?« fragte er. »Ich fahre ins Krankenhaus. Soll ich irgend etwas besorgen?«

      Gerhard Thomson blieb kurz vor seinem Sohn stehen. »Dich scheint überhaupt nicht zu bekümmern, was wir über diese Frau denken«, bemerkte er. »Du verrennst dich da in eine Geschichte, aus der es später nur schwer ein Entkommen geben wird.«

      Jörg zählte in Gedanken bis zehn. »Erstens handelt es sich bei dieser Frau, wie du Melanie in den letzten Tagen ständig bezeichnest, um meine Freundin, und zweitens will ich aus dieser Geschichte überhaupt nicht herauskommen.«

      Der Hotelier berührte die Schulter seines Sohnes. Er zuckte zusammen, als Jörg seine Hand mit einer flüchtigen