hat mich durstig gemacht. Ich werde das Mädchen bitten, noch einmal Tee zu kochen. Für Sie auch?«
»Nein, danke«, wehrte Jutta ab.
»Aber Sie leisten mir doch Gesellschaft?« Fritz Lüscher neigte unterwürfig den Kopf. Seine Frage sollte eine Bitte sein, aber sie wirkte mehr wie ein Befehl.
Jutta stimmte ergeben zu. Vielleicht kann ich ihn bei dieser Gelegenheit nach dem Schimmel fragen, dachte sie.
Die beiden gingen ins Esszimmer. Fritz Lüscher rückte für Jutta den Stuhl zurecht. Als das Mädchen mit dem Tee eintrat, nahm er ihr das Tablett ab.
Unwillig schaute das junge Mädchen zu Jutta Rauscher hinüber. Er benimmt sich, als sei er schon der Herr auf Gut Riederau, dachte es. Und Frau Rauscher scheint überhaupt nichts zu merken.
Jutta merkte tatsächlich nichts. Sie ließ zu, dass der Verwalter den Tee einschenkte und ihr eine Tasse reichte. »Das warme Getränk wird Ihnen guttun, Frau Rauscher. Sie sehen ein wenig blass aus heute Morgen.«
»Vielen Dank für Ihre Fürsorge«, erwiderte Jutta kühl. »Aber ich fühle mich ausgezeichnet.«
Das war eine Lüge, aber nie und nimmer hätte Jutta dem Verwalter gestanden, wie schwach sie sich fühlte. Das ging ihn nichts an, fand sie.
Jutta trank einen Schluck Tee. Dann schaute sie Fritz Lüscher an. »Woher kommt eigentlich der Schimmel, der seit einer Woche in unserem Stall steht?«
Mit einem leisen Knall setzte Fritz Lüscher seine Teetasse zurück auf die Untertasse. »Wie kommen Sie plötzlich auf den Schimmel?«, fragte er zurück.
Wäre Jutta im Vollbesitz ihrer Kräfte gewesen, hätte sie ihn zurechtgewiesen und ihm befohlen, ihre Frage zu beantworten, statt ihr eine Gegenfrage zu stellen. Aber in ihrer kränklichen Verfassung fühlte sie sich einer Auseinandersetzung nicht gewachsen. Deshalb sagte sie ihm ganz schlicht die Wahrheit. »Zwei kleine Mädchen waren heute hier.«
»Die waren gestern schon da«, fiel er ihr ungehörig und respektlos ins Wort.
»Ja, und Sie haben die Kinder sehr grob und unhöflich behandelt.«
»Natürlich. Schließlich ist das hier kein Kindergarten, sondern ein Gut«, erwiderte er gereizt.
Jutta fühlte, dass sie viel zu nachgiebig war. Deshalb überging sie seine grobe Antwort einfach. »Diese Mädchen behaupteten, der Schimmel in unserem Stall heiße Pedro und sei auf Gut Schoeneich gestohlen worden.«
Mit einem lauten Poltern fiel der Stuhl des Verwalters um. Fritz Lüscher war aufgesprungen. »Diese verdammten Gören!«
»Bitte, wählen Sie Ihre Ausdrücke etwas sorgfältiger«, verlangte Jutta.
Fritz Lüscher achtete nicht auf diesen Einwand. »Ich habe das Pferd auf einer Auktion ganz reell ersteigert«, erklärte er mit allem Nachdruck und mit einem Gesichtsausdruck, dass Jutta wieder unsicher wurde. Sie kannte ja nur die Version der beiden Mädchen.
»Am liebsten würde ich den beiden Gören nachfahren und ihnen eine gehörige Tracht Prügel verpassen«, fuhr der Verwalter erregt fort. »So eine Räubergeschichte hier zu erzählen! Wahrscheinlich lesen sie zu viele Krimis.«
Jutta wusste nicht mehr, was sie sagen sollte. Wenn Lüscher den Schimmel ganz offiziell gekauft hatte, dann konnte er das Pferd zumindest nicht gestohlen haben. »Können Sie mir den Namen des Verkäufers nennen?«, fragte sie.
Einen Moment lang schien es, als zögere der Verwalter. »Natürlich kann ich das«, sagte er dann. »Er heißt Übler. Hermann Übler.«
Der Name machte Jutta stutzig. Sie kannte diesen Mann, aber sie mochte ihn nicht. Er kam immer heimlich zu ihrem Verwalter, murmelte, wenn Jutta ihm zufällig einmal begegnete, einen flüchtigen Gruß und verschwand danach schleunigst. Er benahm sich immer so, als sei er vor irgendjemandem auf der Flucht.
»Ich habe Ihnen schon einmal gesagt, dass ich diesen Übler nicht mag und ihn hier nicht sehen will«, sagte Jutta. Doch es geschah ohne Nachdruck.
Das merkte Fritz Lüscher genau. Er kam zu ihr, stützte sich auf dem Tischrand und auf ihrer Stuhllehne ab und beugte sich über sie. »Sie misstrauen mir doch nicht etwa, Frau Rauscher?«
Jutta gab keine Antwort, und sein Lächeln wurde breiter. »Ich würde niemals etwas tun, was Sie in Misskredit bringen könnte. Auf mich können Sie sich voll und ganz verlassen.«
»Dann ist es ja gut.« Jutta stand abrupt auf, sodass er zurücktreten musste.
»Ist die Sache damit erledigt?«, fragte er.
Sie nickte. »Falls keine weiteren Beschwerden kommen, ja.«
Jutta verließ das Zimmer mit dem unguten Gefühl, dass sie die Sache nicht richtig angepackt hatte. Aber sie fühlte sich einer weiteren Auseinandersetzung mit Fritz Lüscher einfach nicht gewachsen.
Müde ging sie in ihr Zimmer. Inzwischen war es Mittag geworden. Die Sonne stand direkt über dem Gutshaus. Jutta schloss die Fensterläden. In dem dämmrigen kühlen Zimmer legte sie sich so, wie sie war, aufs Bett. Wieder meldeten sich die ziehenden Schmerzen in der Magengegend. In der letzten Zeit kamen sie immer häufiger. Meist nach Aufregungen. Sie presste beide Hände auf den Leib. Doch erst nach einer halben Stunde ließ der Schmerz nach. Dann schlief sie ein.
*
Müde und erhitzt erreichten Pünktchen und Vicky Sophienlust gerade noch rechtzeitig zum Abendessen. Im Speisesaal erzählten sie dann die große Neuigkeit.
»Hört einmal alle her!« Pünktchen legte ihren Löffel aus der Hand.
Augenblicklich hörten auch alle anderen Kinder zu essen auf.
»Wir haben Pedro gefunden«, verkündete Pünktchen.
Sekundenlang herrschte Schweigen. Doch dann redeten alle auf einmal. »Glaub ich nicht! Wo denn? Wie?« Unzählige Fragen erklangen, und alle auf einmal. »Ruhe!« Alle schauten zur Tür. Dort stand Nick. Er war mit dem Fahrrad von Schoeneich herübergeradelt, ging jetzt zu Pünktchen und setzte sich neben sie. »Erzähl einmal. Ich denke, ihr habt nur einen Radausflug gemacht? Und dabei wollt ihr zufällig Pedro gefunden haben?« Seine Stimme klang ein wenig zweifelnd, obwohl er Pünktchen sonst alles glaubte.
»Wir haben ihn nicht zufällig gefunden«, widersprach Vicky ihm.
»Sie haben ihn auf Gut Riederau gesucht, weil ich sie dorthin geschickt habe«, mischte sich Peggy ein.
Nick schüttelte den Kopf. »Jetzt verstehe ich überhaupt nichts mehr.« Er wandte sich an Pünktchen. »Erzähl einmal genau. Aber bitte der Reihe nach.«
Peggy mischte sich jedoch schon wieder ein. »Den Anfang muss ich erzählen, weil ich Pedro zuerst gesehen habe. Als ich mit Onkel Luchs von Stuttgart zurückfuhr, da haben sie einen weißen Schimmel eingeladen und weggebracht. Und das war Pedro.«
»Warum hast du das nicht gleich erzählt?«, fragte Nick.
Peggy zog einen Flunsch. »Habe ich ja. Aber alle haben mich ausgelacht. Nicht einmal Onkel Luchs hat mir geglaubt. Jetzt laufe ich aber gleich zu ihm und erzähle ihm das.«
»Jetzt bleibst du erst einmal hier«, befahl Schwester Regine. Alle Kinder hatten aufgehört zu essen und scharten sich nun um Pünktchen und Vicky. Normalerweise hätte die Kinderschwester das nicht erlaubt. Aber diesmal machte sie eine Ausnahme. Vor lauter Neugier und Aufregung hätten die Kinder jetzt ohnehin nichts gegessen. Erst mussten sie die ganze Geschichte erfahren. Und die erzählte ihnen Pünktchen jetzt. Mit allen Einzelheiten.
»Und es war wirklich Pedro?«, fragte Nick. »Seid ihr ganz sicher?«
Vicky und Pünktchen nickten. »Absolut. Er hat ja sogar gewiehert, als wir seinen Namen riefen.«
»Und die Ohren gespitzt«, fügte Vicky hinzu. »Außerdem hat er auch den kleinen dunklen Fleck hinterm Ohr.«
»Dann war es Pedro.« Nick sprang auf. »Das muss ich sofort Vati erzählen.«