Süßer«, bemerkte sie. »Mein Rücken macht mir heute Abend zu schaffen. Könntest du sie vielleicht für mich reintragen.«
Ihr Rücken machte ihr immer zu schaffen.
»Ja, Ma’am«, sagte er. Die Worte kamen nur mühsam heraus, wie mit der Spitzhacke aus seiner Kehle geschlagen. Er nahm die Kiste und folgte ihr die Treppe hinauf in die parfümierte Höhle. Alles war in rotes Licht getaucht und in Schatten gehüllt. Ein verstecktes Grammofon spielte blechernen Jazz, eine seltsame Begleitung zu den Geräuschen, die aus den Kabuffs drangen. Eine Art gedämpfter Hysterie, wie von Menschen, die am Grund eines Brunnens starben. Nur die spitzesten Schreie erreichten ihn, aber er konnte die anderen, die wie tiefe Bässe in seiner Brust dröhnten, fühlen.
Die Bar befand sich an der Vorderseite. Er humpelte hinter Madam Erma her den langen Gang entlang, wobei die Gläser in der Kiste klirrten. Das Mädchen an der Bar lächelte ihn an. Sie war achtzehn oder neunzehn und hatte einen blutroten Mund und einen Blumenkranz um den Hals. Sie schien zu viele Zähne zu haben, so eng standen sie. Ihre Arme waren überzogen mit blauen Flecken in der Größe von Daumenabdrücken. Rory fragte sich, woher die Flecken stammten, und er musste an seine Mutter und die gesichtslosen Reiter denken, die noch immer im Dunkeln lauerten. An den Einäugigen.
Madam Erma berührte ihn an der Schulter, was ihn zusammenzucken ließ.
»Du siehst aus, als könntest du ’n Drink vertragen.« Sie blickte zu dem Mädchen. »Stimmt’s, Kleine?«
Das Mädchen nickte und zeigte seine eng stehenden Zähne.
»Schenk ihm einen ein, Schätzchen.«
Rory stellte die Kiste Whiskey auf den Tresen.
»Nein, ich brauche nichts.«
Madam Erma kroch mit ihren scharfen Krallen an seinem Nacken hinauf und fuhr ihm über seine Haarwurzeln.
»Komm schon, Schätzchen. Setz dich. Du bist fertig für heute Abend, stimmt’s? Zeit, sich ’n bisschen zu entspannen.«
Rory konnte die lauter werdenden Geräusche durch die dünnen Wände hören, Stöhnen und Knurren und Kreischen. Gewalttätige Geräusche wie von Liebe oder Gemetzel. Sie schienen durch seine Haut zu dringen und seine Knochen zu berühren. Vor Scham lief er rot an und wandte sich ruckartig vom Tresen und dem Drink ab, den man ihm reichte. Er eilte zwischen den Kabinen entlang, und die Vorhänge hoben sich im Vorbeigehen in seine Richtung. Es waren Duschvorhänge, wie er feststellte, bedruckt mit Palmen, Muscheln und Delfinen. Er wollte nicht angefasst werden. Die Tür vor ihm stand einen Spaltbreit offen, unter der nackten Glühbirne schwirrte ein Mottenschwarm. Als er auf die Treppe hinaustrat, erstarrte er wie ein Tier im Scheinwerferlicht. Er versuchte, zurückzuweichen, doch die Tür hinter ihm wurde zugeschlagen und das Schloss verriegelt. Die Tür war aus Metall und fühlte sich kalt am Rücken an.
Sie waren zu dritt, drahtige Kerle, die an seinem Wagen lehnten. Fast noch Kinder. Der auf der Motorhaube hielt eine Schrotflinte auf dem Knie, eine doppelläufige für die Vogeljagd. Die beiden anderen an seiner Seite hatten die Hände in den Hosentaschen. Ihre Mäntel standen offen, um ihm den kreuzgerippten Griff ihrer Pistolen am Hosenbund zu zeigen. Rory erkannte, dass es sich um alte Knarren handelte, aus öligen Tüchern in Grandpas Schreibtischschublade gewickelt. Waffen, mit denen man Schweine oder Schlangen oder streunende Hunde erschoss.
»Haben die Muldoons euch angestiftet?«
Der Junge auf der Motorhaube klopfte eine Zigarette auf den Griff seiner Schrotflinte, steckte sie sich in den Mund und zündete sie mit derselben Hand an, wobei er durch den aufsteigenden Rauch hindurch grinste.
»Es heißt, du bist ein Kriegsheld.«
Rory nahm das Gewicht von seinem Holzbein.
»Ich bin nicht auf Ärger aus«, sagte er.
Der Junge auf der Motorhaube nickte und zog an seiner Zigarette, wobei sich seine Wangen im Licht der einzelnen Glühbirne verdunkelten. Er zeigte mit der Zigarette auf Rory.
»Tja, hast ihn wohl doch gefunden. Die Frage ist nur, wie viel davon.«
»Was wollt ihr?«
Der Junge zuckte mit den Achseln. »Geld. Whiskey. Geht beides.«
»Whiskey ist alle.«
»Dann weißt du ja, was ich will.«
Rory meinte, Zikaden zu hören. Ihr rhythmisches Rufen im Chor. Als wären sie aufgeschreckt worden. Im einen Moment klang es noch laut und im nächsten nicht mehr. Er bekam ein warmes Gefühl in der Brust, wie nach dem ersten Schluck Whiskey.
»Es steckt in meinem Bein«, sagte er. »Ich verstecke es dort.«
Der Junge lachte, und seine Begleiter auch. Sie glucksten vor sich hin, wippten auf ihren Absätzen und drückten ihre Bäuche gegen die Waffen an ihrem Gürtel. Stolz.
»In deinem Holzbein? Du machst wohl Witze«, sagte der Junge. »Ist ja zum Brüllen.«
»Ja«, sagte Rory.
»Dann zeig mal her.«
Rory stieg die Stufen hinunter. Die schwache Glühbirne über dem Türrahmen erzeugte einen großen Schatten, der sich rasch auf die anderen zubewegte. Unsicher veränderten sie ihre Position, als würde etwas vor ihren Füßen auslaufen. Etwas, mit dem sie nicht in Berührung kommen durften und das so kalt und dunkel wie die von der Sonne unberührten Talkessel war. Eine dunkle Gestalt stand jetzt vor ihnen, die von der nackten Glühbirne von hinten angestrahlt wurde. Sie beugte sich hinunter und begann ihr Hosenbein aufzukrempeln, entblößte Zentimeter um Zentimeter den glänzenden schwarzen Schaft eines Kampfstiefels.
Der Junge ließ sich von der Motorhaube gleiten und betrachtete das Holzbein.
»Wie hat sich das angefühlt, als es dir abgeschossen wurde?«
»Schlimm«, sagte Rory.
»Wie finden die Mädchen das?«
»Ich frag sie nicht.«
Der Junge blickte mit leicht schräg gelegtem Kopf zu ihm hinunter. Er bewegte dabei den Flintenlauf mal hierhin, mal dorthin, und seine Finger spielten an dem Doppelabzug.
»Dafür hat Gott wohl die Huren erschaffen.«
Rory hatte das Hosenbein gerade weit genug über den Stiefel gezogen, dass das polierte Ahornholz da glänzte, wo eigentlich sein Bein sein sollte. Es gab einen Typen in Yelson’s Holler, den Granny kannte und der Holzarbeiten machte. Vor allem Entenattrappen, die er an die reichen Wasservogeljäger an der Küste verkaufte. Mit Zuckerahorn fing er erst so richtig an zu arbeiten, nachdem er Rory kennengelernt hatte. Es war ein 32er Automatik-Colt, ein Pocket Hammerless, der in die Wade des Holzbeins eingelassen war. Eine gebläute Pistole mit geriffeltem Griff und ohne einen Hammer, der das Ziehen verlangsamt hätte. Rory ließ die Hand unter das Hosenbein gleiten und löste sie heraus. Mit einer einzigen Bewegung richtete er sich auf und schoss dem Jungen ins Schienbein.
Die Schrotflinte flog dem Jungen mit einem Schrei aus der Hand, und er fiel gegen den Wagen. Er griff nach dem dunklen Fleck auf seiner Hose, aber seine Hände hielten dicht über der Wunde inne. Ein gezackter roter Mund und gesplitterter Knochen wie weiße Zähne. Er betrachtete sie mit weit aufgerissenen Augen, als hätte er noch nie das Innere eines menschlichen Körpers gesehen. Seine Freunde waren davongestürzt, wie Rory es vorhergesehen hatte. Er humpelte näher zu ihm hin. Der Junge blickte wie ein frisch zum Glauben Bekehrter mit heruntergeklappter Kinnlade zu ihm hinauf.
Die Worte kamen ganz unerwartet aus Rorys Mund.
»Es tut mir leid«, sagte er.
6
Die Jungs waren verschwunden, zusammen mit ihrem Anführer, der jammernd auf dem Rücksitz einer verrosteten Limousine gekauert hatte. Rory hatte die anderen aus dem Dunkel zurückgerufen und ihnen erklärt, wie sie das Bein des Jungen bandagieren mussten, und den Weg zum Tierarzt beschrieben, der ein Säufer