Carmen von Lindenau

Die neue Praxis Dr. Norden Staffel 1 – Arztserie


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      »Geben Sie mir Ihre Tochter«, forderte Danny Ursel Doldinger auf, die nur ein paar Häuser von der Praxis entfernt wohnte, nachdem er sich auf den Boden gekniet hatte.

      »Anni, es wird alles wieder gut«, sprach Ursel tröstend auf die Kleine ein, die mittlerweile schon ganz rot anlief.

      Danny nahm das Kind, stellte es vor sich hin und beugte es sanft nach vorn. Schließlich umfasste er den kleinen Körper zwischen Bauch und Brustbein und drückte ein paar Mal kräftig zu, bis die Kleine eine Spielfigur ausspuckte. »Sieh mal, ein Hahn«, sagte er, als das Kind wieder normal atmete, nachdem es ein paar Mal gehustet hatte.

      »Der Hahn ist in meinen Mund geflogen«, erzählte Anni, nachdem Danny aufgestanden war und sie auf den Tresen gesetzt hatte.

      »Da gehört er aber nicht hin.«

      »Hm«, machte das Kind und nickte.

      »Ich verstehe das gar nicht, sie weiß schon lange, dass sie Spielzeug nicht in den Mund nehmen soll, und jetzt ist sie drei geworden und fängt wieder damit an?«, zeigte sich Annis Mutter ratlos.

      »Der Hahn sollte doch fliegen, Mami. Ich habe ihn dahin gesetzt und dann Wind gemacht.« Anni öffnete ihren Mund, deutete auf die Unterlippe, pustete zuerst und holte dann tief Luft.

      »Ich denke, es ist Zeit für ihre erste Physikstunde, welche Folgen das Ein- und das Ausatmen haben können«, wandte sich Danny Ursel zu, die noch immer vor Aufregung zitterte.

      »Ich werde ihr das noch heute erklären«, versicherte ihm Ursel.

      »Bravo, Doktor!«, rief Gusti, und gemeinsam mit den anderen Patienten applaudierte sie Danny. »Das war doch dieser Griff, dieser Heimig-Griff, richtig?«

      »Heimlich-Griff«, wurde sie von Franziska verbessert.

      »Dass Sie es wieder besser wissen, war doch klar«, entgegnete Gusti beleidigt.

      »Heimlich-Griff, benannt nach dem amerikanischen Arzt Henry J. Heimlich, der diesen Notfallgriff erfunden hat. Den Körper zwischen Bauchnabel und Brustbein umfassen, einige Male ruckartig zudrücken, bis das, was auch immer in der Luftröhre steckt, wieder herauskatapultiert wird«, klärte Lydia Gusti und die anderen auf. Seitdem sie Rettungssanitäterin bei der Feuerwehr war, hatte sie diesen Griff schon einige Male anwenden müssen.

      »Kommen Sie bitte mit ins Sprechzimmer. Ich will mich davon überzeugen, dass Anni sich nicht verletzt hat«, bat Danny die junge Mutter, die ihre Tochter wieder auf den Arm nahm, nachdem sie den Spielzeughahn eingesteckt hatte.

      »Willst du mir mit einer Taschenlampe in den Hals gucken?«, fragte Anni und sah Danny mit ihren großen braunen Augen an.

      »Genau, das will ich machen, und dann erzähle ich dir, was ich sehe. In Ordnung?«

      »Ja, können wir machen«, antwortete das Mädchen.

      »Die Show ist zu Ende, nehmen Sie bitte wieder im Wartezimmer Platz«, bat Sophia die Patienten.

      »Ich warte hier, eigentlich war ich ja schon dran«, weigerte sich Gusti, den Empfangsbereich zu verlassen.

      »Meinetwegen, dann müssen Sie halt so lange stehen«, sagte Sophia und zuckte die Achseln, während sie einen kurzen Blick mit Lydia tauschte.

      »Ich habe alles ausgefüllt, ich warte dann auf Ihren Anruf«, verabschiedete sich Franziska von Lydia, nachdem die kleine Anni mit ihrer Mutter ins Sprechzimmer gegangen war.

      »Sie sollten diesen Kerl anzeigen«, riet ihr Lydia, die sie noch zur Tür begleitete, um sie für sie aufzuhalten.

      »Aber ich habe doch nichts, womit die Polizei etwas anfangen könnte.«

      »Manchmal hilft schon ein winziger Hinweis. Sollten Sie sich zu einer Anzeige entschließen, fragen Sie auf dem Revier nach meiner Mutter Thea Seeger. Für sie ist Fahrerflucht, auch wenn es nur um Sachschaden geht, alles andere als ein Kavaliersdelikt.«

      »Falls ich zur Polizei gehe, werde ich mich an Ihre Mutter wenden. Vielen Dank für den Tipp und für die freundliche Aufnahme in Ihrer Praxis. Ich wünsche Ihnen noch einen schönen Tag.« Franziska hatte jetzt nur noch einen Wunsch, nach Hause zu gehen und die Beine hochzulegen. Sie war von der Wahl ihres neuen Arztes restlos überzeugt. Nicht nur wegen der Art, wie er auf ihre Probleme eingegangen war, sie bewunderte auch die Ruhe, die er ausstrahlte, als die kleine Anni seine Hilfe brauchte.

      Glücklicherweise hatte sich Anni nicht ernsthaft verletzt. Nachdem Ursel Doldinger sich herzlich bei Danny bedankt hatte, verließen sie und ihre Tochter die Praxis, und Gusti Meier war die nächste Patientin, die sein Sprechzimmer betrat.

      »Was kann ich für Sie tun, Frau Meier?«, fragte Danny, als sie auf dem Stuhl vor seinem Schreibtisch Platz genommen hatte.

      »Ich muss mich erst einmal von dieser Aufregung um die kleine Anni erholen«, seufzte sie und atmete tief durch. »Und dann die Begegnung mit dieser Lehrerin. Diese Frau tut meiner Gesundheit nicht gut. Es ist halt so, dass manche Leute recht schnell neidisch werden, Herr Doktor, auf alles und jeden, wenn sie selbst aus ärmlichen Verhältnissen stammen, so wie die gute Frau Kern. Einen kleinen Bauernhof im Allgäu haben die Eltern, der reicht gerade so zum Leben, wissen Sie. Wenn es so jemand dann mit Leuten wie uns, die es zu einem gewissen Wohlstand gebracht haben, zu tun bekommt, dann setzt es halt manchmal aus«, lenkte sie das Gespräch auf Franziska.

      »Warum sind Sie denn hier, Frau Meier?«, fragte Danny höflich nach und tat, als hätte er Gustis Vortrag über Franziska nicht gehört. Er hatte absolut keine Lust, sich während der Sprechstunde auf eine Auseinandersetzung mit dieser Frau einzulassen.

      »Es ist wieder der Magen, er drückt halt recht oft. Vielleicht ist es ja doch etwas Schlimmes«, seufzte Gusti.

      »Wir haben vor zwei Wochen eine Spiegelung gemacht, Frau Meier. Mit Ihrem Magen ist alles in Ordnung«, versicherte er ihr.

      »Und warum drückt es dann immer so?«, fragte Gusti und sah ihn herausfordernd an. So als würde sie nur darauf warten, dass er keine Antwort darauf wusste.

      »Vielleicht schlucken Sie beim Essen zu viel Luft.« So wie er sie einschätzte, war ihr aufgeregter Redefluss niemals zu bremsen, sicher auch nicht während des Essens.

      »Und das heißt?«

      »Holen Sie sich diesen Tee aus der Apotheke. Er wird Ihnen helfen«, sagte er und reichte ihr ein Rezept.

      »Das ist ein Privatrezept«, wunderte sich Gusti.

      »Diesen Tee kann ich leider nur Privatpatienten verschreiben.«

      »Kein Problem, ich kann es mir leisten«, antwortete Gusti mit einem zufriedenen Lächeln. »Danke, Herr Doktor.«

      »Gern, gute Besserung, Frau Meier«, sagte Danny und atmete erleichtert auf, als sie gegangen war. Dass dieser Tee von keiner Krankenkasse bezahlt wurde, musste sie nicht wissen.

      »Sie ist mit Vorsicht zu genießen. Sie nimmt sich jeden vor, der ihr nicht passt«, sagte Lydia, die kurz zu ihm hereinschaute, nachdem Gusti außer Hörweite war.

      »Wovon wir uns aber nicht provozieren lassen«, entgegnete Danny.

      »Auf keinen Fall, Herr Doktor«, stimmte sie ihm lächelnd zu. »Allerdings finde ich, dass das, was Sie mit Frau Kern macht, bereits an Verleumdung grenzt. Vielleicht bitte ich meine Mutter, der guten Frau Meier mal die Rechtslage klar zu machen.«

      »Das könnte eine gute Idee sein«, entgegnete Danny schmunzelnd.

      *

      Der Unfall vor der Praxis und die Rettung der kleinen Anni waren seit zwei Tagen beliebte Gesprächsthemen im Viertel. Valentina versicherte Danny, dass seine ohnehin schon große Beliebtheit durch dieses Ereignis noch enorm gestiegen war.

      »Die Leute reden wirklich nur in den höchsten Tönen von Ihnen«, hatte sie ihm schon mehrfach versichert.

      »Sie wissen aber schon, dass ich kein Wunder vollbracht habe. Jeder mit einer medizinischen Ausbildung hätte das tun