target="_blank" rel="nofollow" href="#ub1a6b33d-7310-5a21-a341-1ee1ad352a4e">Teil 2 sucht nach Antworten, reflektiert, überlegt. Er ist eine Sammlung dessen, was mich beeinflusst und mir das Überleben ermöglicht hat.
Was immer noch bleibt: Kann ich das überhaupt?
Schreiben? Erzählen?
Es ist ein Versuch.
Für mich und meine Wegbegleiter. Meine Familie und Freunde.
Für meine Tochter Hannah, damit sie nicht dieselben Fehler begeht wie ihr Papa.
Für Lukas.
Die Personen in diesem Buch sind nicht fiktiv. Diese Geschichte ist nicht fiktiv, sie ist tatsächlich passiert. Sie muss erzählt werden. Sie kann nur von mir erzählt werden.
Prolog – Der Gaisberg-Aufstieg
Aufgeben ist das Letzte, was man sich erlauben darf.
Hannelore Kohl
Der Gaisberg. Mein Hausberg. Salzburgs Hausberg. Hier bist du nie allein. Wenn du auf der Suche nach einem Trainingspartner bist, zieh deine Sportsachen an und fahr zum Einstieg. Bergläufer, noch mehr Radfahrer und unzählige Wanderer zu jeder Tageszeit machen meinen Hausberg zum sportlichen Mittelpunkt unserer Stadt. Egal, ob ich Gesellschaft oder Mitstreiter für meine sportliche Besteigung des Berges suche, immer finde ich die passenden Menschen. Vom Gipfel aus hat man eine unfassbar erhabene Aussicht auf die Stadt. Ich erkenne jedes Mal wieder die einzigartige Perfektion, die unsere Stadt von oben betrachtet ausstrahlt. Im Norden glänzen die Seen des Alpenvorlandes, im Süden stauen sich die Gebirge der Nordalpen auf, die meist schneebedeckten Gipfel ruhen majestätisch vor den Toren unserer Stadt, die durch die drei Stadtberge geteilt und gleichzeitig vereint wirkt. Der Gipfel ist der Lohn für den meist mehr als einstündigen steilen Anstieg.
Der Gaisberg ist 1287 Meter hoch, liegt am nördlichen Stadtrand Salzburgs und ist mit dem Rad, zu Fuß, auf Skiern, mit dem Auto, Bus oder mit Rollerskates von allen Seiten zu besteigen. Es gibt unzählige Wege, Pfade, Straßen oder Routen. Um von der Stadt aus auf den Gipfel zu kommen, muss man 863 Höhenmeter überwinden. Ein Naherholungsort für viele Salzburger, für mich jedoch immer mein idealer Trainingsberg. Ich wandere an regnerischen Tagen mit meiner Frau zum Luftschnappen und Durchbewegen meiner Knochen über den Büffelpfad zum Gipfel, laufe häufig mit meinen Freunden und Sportlern aus Parsch kommend bis zur Zistelalm, die auf gut 1000 Metern liegt, oder fahre den Gaisberg mit dem Rennrad auf und ab, oft mehrmals hintereinander.
Für einen Rennradfahrer zeichnet sich der Gaisberg ab der Zistelalm durch seine finale Steilheit auf den beiden letzten Geraden aus, die rund 250 Höhenmeter bis zum Gipfel ausmachen. Diese beiden Geraden sind meist der Scharfrichter für alle ehrgeizigen Rennradfahrer. Tief über den Lenker gebeugt, schwer atmend, versuche ich immer, auf diesen beiden letzten Geraden den Anschluss an meinen Vordermann herzustellen. Den Blick starr auf sein Hinterrad gerichtet, nehme ich die Welt um mich nicht mehr wahr. Schweißtropfen laufen mir über die Stirn in die Augen, der Rücken schmerzt von der Steilheit des Anstiegs, meine Atemfrequenz ist so hoch, dass ich nicht einmal einen – dringend benötigten – Schluck aus meiner Wasserflasche trinken kann. Die einzige Rettung ist der Vordermann.
Nur nicht abreißen lassen!
Nur nicht zurückfallen!
Koste es, was es wolle!
Die beiden Geraden werden von einer Kehre unterbrochen, für 20 Meter flacht die Steigung hier ab, um sich einem anschließend nochmals für 100 Höhenmeter entgegenzustemmen. Genau in dieser Kehre, die alle zum kurzen Durchschnaufen nutzen, forciere ich meine Attacke. Dort, wo alle eine kurze Pause einlegen, langsamer werden, die Beine kurz durchschütteln, genau dort schalte ich zwei Gänge höher und beschleunige aus der Kehre hinaus in den letzten Anstieg. Das Laktat schmecke ich auf dem Gaumen, selbst meine Nasenhaare schmerzen durch die gierige Atmung, meine Füße folgen nur mehr dem Kommando meines Ziels, bloß nicht eingeholt zu werden. Meist halte ich meinen Vorsprung aus der Kehre hinauf bis zum Gipfel, selten breche ich ein, doch immer finde ich wieder Anschluss an einen Vordermann oder halte an schlechten Tagen Kontakt zum Hinterrad eines mich überholenden Kameraden.
Der Gaisberg stellt meinen Willen jedes Mal wieder auf die Probe.
Der Gaisberg ist meine Lebensschule: Er hat mich gelehrt, nie aufzugeben.
Nie!
Tanzen
Do you remember, when we were kings,
Float like a butterfly, sting like a bee.
Brian McKnight, Diana King, When We Were Kings
In der Leidenschaft der Bewegung voll und ganz aufzugehen, tief in die Selbstverständlichkeit des Handelns einzutauchen und dabei die Leichtigkeit zu leben, alles rundherum auszublenden, den Moment zu genießen – ein gutes Gefühl.
Früh begann ich, diesem Drang nachzugeben. Als eines von drei Kindern, meine Schwester Monika war die Älteste, mein Bruder Philipp der Jüngste, faszinierte mich immer schon das Außergewöhnliche. Das fand ich rasch im Sport. Fußball, Tennis, Turnen, Tischtennis, Handball, zunehmend auch Ausdauersportarten wie Laufen und Schwimmen – ich wollte alles ausprobieren. Ich liebte das Gefühl der Schwerelosigkeit während einer Bewegung, ich tanzte wie von meinem Innersten gesteuert in dem Rhythmus einer Bewegung und genoss dabei das Ergebnis, das ich selbst produzieren konnte. Es passierte einfach, es fühlte sich in dem Moment nach meiner Bestimmung an, ich war ich, und das zu 100 Prozent. Bewegungen zu durchleben, Bewegungen zu beobachten, faszinierte mich.
Ich fühlte mich wie ein König in seinem Reich.
Als Kind konnte ich meine Leidenschaft nur selten mit meiner Familie teilen. Mein Bruder Philipp schielte, sein linkes Auge war oft zugeklebt, bevor er im Alter von wenigen Jahren eine dicke Brille bekam. Sport war für ihn eine echte Herausforderung, er konnte nicht Ball spielen, da er schlicht nicht sah, wann der Ball zu fangen war, ihm fehlte das dreidimensionale Sehen. Philipp faszinierte alles Handwerkliche, er liebte seine Modelleisenbahn und war unser Bob, der Baumeister. Auch wenn ich als kleines Kind immer meiner Schwester nacheiferte, so blieb ich mit meiner Sportfaszination rasch allein in meiner Familie. Meine Mutter lehnte jede Form von Leistungssport ab, verstand auch meine Begeisterung nicht. Nur mein Vater, ein erfolgreicher Handballer, später auch Trainer, nahm mich immer wieder zu seinen Handballspielen mit. Ich liebte es, am Spielfeldrand zu sitzen, das teils aggressive Treiben des Spiels zu beobachten, die Stärken und Schwächen einer Mannschaft zu entdecken. Am meisten jedoch inspirierte mich das Talent mancher Spieler, die Begabung, die sie von anderen unterschied. Unorthodoxe – jedoch erfolgreiche – Wurfmanöver, die über Sieg und Niederlage entschieden, fingen meinen Blick. Sofort erkannte ich die Leitfiguren eines Spiels, war begeistert von ihrem Auftreten und ihrer Präsenz. Ich träumte in jungen Jahren selbst davon, mitzuspielen, die Leidenschaft, mit der sich die Sportler engagierten, faszinierte mich. Doch ich sprach nicht über meine Begeisterung, auch nicht mit meinem Vater, der die Welt des Sports ebenso sehr liebte wie ich. Als Geschäftsführer und Eigentümer unserer Rupertus Buchhandlung hatte er wenig Zeit, war zudem ein introvertierter Mensch – auch das ein Grund, warum wir der gemeinsamen Faszination für Sport wenig nachgingen.
Also beobachtete ich allein.
Beobachten bedurfte der Ruhe und Zeit. Ich konzentrierte mich mit all meinen Sinnen auf ein Geschehen, versank darin und nahm nichts um mich herum wahr. Ich liebte den Zustand der Beobachtung, er stellte für mich den Beginn eines spannenden Lernprozesses dar, den Start in eine Reise, die ich am Ende des Weges immer selbst durchlebte. Nahm mich mein Vater nicht zum Handball mit, verfolgte ich an einem Sonntagnachmittag ein Fußballspiel der lokalen Mannschaften in unserem Stadtteil Nonntal. Das Ergebnis war sekundär, die Namen der Teams ebenso, ich war kein Fan einer Mannschaft, ich war Fan des Spiels. Der Spielverlauf, die Kommunikation,