mag kreissen.“
3. Summula
Ein Reisegefährte
Wider alle Erwartung meldete sich am Vorabend der Abreise ein Fremder zur Mitbelehnschaft des Wagens.
Während der Doktor in seinem Missgeburtenkabinette einiges abstäubte von ausgestopften Tierleichen, durch Räuchern die Motten (die Teufel derselben) vertrieb und den Embryonen in ihren Gläschen Spiritus zu trinken gab: trat ein fremder feingekleideter und feingesitteter Herr in die Wohnstube ein, nannte sich Herr von Niess und überreichte der Tochter des Doktors, nach der Frage, ob sie Theoda heisse, ein blaneingeschlagenes Briefchen an sie; es sei von seinem Freunde, dem Bühnendichter Theudobach, sagte er. Das Mädchen entglühte hochrot und riss Zitternd mit dem Umschlag in den Brief hinein (die Liebe und der Hass zerreissen den Brief, so wie beide den Menschen verschlingen wollen) und durchlas hastig die Buchstaben, ohne ein anderes Wort daraus zu verstehen und zu behalten als den Namen Theudobach. Herr von Niess schaute unter ihrem Lesen scharf und ruhig auf ihrem geistreichen, beweglichen Gesicht und in ihren braunen Feueraugen dem Entzücken zu, das wie ein weinendes Lächeln aussah; einige Pockengruben legten dem beseelten und wie Frühlingsbüsche zart- und glänzend-durchsichtigen Angesicht noch einige Reize zu, um welche der Doktor Jenner die künftigen Schönen bringt. „Ich reise“, sagte der Edelmann darauf, „eben nach dem Badorte, um da mit einer kleinen deklamierenden und musikalischen Akademie von einigen Schauspielen meines Freundes auf seine Ankunft selber vorzubereiten.“ Sie blieb unter der schweren Freude kaum aufrecht; den zarten, nur an leichte Blüten gewohnten Zweig wollte fast das Fruchtgehänge niederbrechen. Sie zuckte mit einer Bewegung nach Niessens Hand, als wollte sie die Überbringerin solcher Schätze küssen, streckte ihre aber — heiss und rot über ihren, wie sie hoffte, unerratenen Fehlgriff — schnell nach der entfernten Türe des Missgeburtenkabinettes aus und sagte: „Da drin ist mein Vater, der sich freuen wird.“
Er fuhr fort: ,er wünsche eben ihn mehr kennenzulernen, da er dessen treffliche Werke, wiewohl als Laie, gelesen‘. Sie sprang nach der Türe. „Sie hörten mich nicht aus“, sagte er lächelnd. „Da ich nun im Wochenblatte die schöne Möglichkeit gelesen, zugleich mit einer Freundin meines Freundes und mit einem grossen Gelehrten zu reisen: —“ Hier aber setzte sie ins Kabinett hinein und zog den räuchernden Katzenberger mit einem ausgestopften Säbelschnäbler in der Hand ins Zimmer. Sie selber entlief ohne Schal über die Gasse, um ihrer schwangern Freundin Bona die schönste Neuigkeit und den Abschied zu sagen.
Sie musste aber jubeln und stürmen. Denn sie hatte vor einiger Zeit an den grossen Bühnendichter Theudobach — der bekanntlich mit Schiller und Kotzebue die drei deutschen Horazier ausmacht, die wir den drei tragischen Kuriaziern Frankreichs und Griechenlands entgegensetzen — in der Kühnheit des langen geistigen Liebestrankes der Jugendzeit unter ihrem Namen geschrieben, ohne Vater und Freundin zu fragen, und hatte ihm gleichsam in einem warmen Gewitterregen ihres Herzens alle Tränen und Blitze gezeigt, die er wie ein Sonnengott in ihr geschaffen und gesammelt hatte. Selig, wer bewundert und den unbekannten Gott schon auf der Erde als bekannten antrifft! — Im Briefchen hatte sie noch über ein umlaufendes Gerücht seiner Badreise nach Maulbronn gefragt und die seinige unter die Antriebe der ihrigen gefetzt. Alle ihre schönsten Wünsche hatte nun sein Blatt erfüllt.
4. Summula
Bona
Bona — die Frau des Umgelders Mehlhorn — und Theoda blieben zwei Milchschwestern der Freundschaft, welche Katzenberger nicht auseinandertreiben konnte, er mochte an ihnen so viel scheidekünsteln, als er wollte. Theoda nun trug ihr brausendes Saitenspiel der Freude in die Abschiedsstunde zur Freundin; und reichte ihr Theudobachs Brief, zwang sie aber, zu gleicher Zeit dessen Inhalt durchzusehen und von ihr anzuhören. Bona suchte es zu vereinigen und blickte mehrmals zuhorchend zu ihr auf, sobald sie einige Zeilen gelesen: „So nimmst du gewiss einen recht frohen Abschied von hier?“ sagte sie. „Den frohesten“, versetzte Theoda. — „Sei nur deine Ankunft auch so, du springfedriges Wesen! Bringe uns besonders dein beschnittenes, aufgeworfnes Näschen wieder zurück und dein Backenrot! Aber dein deutsches Herz wird ewig französisches Blut umtreiben“, sagte Bona. Theoda hatte in mein Wesenchen hinein!“ sagte Theoda. „Ich tu es schon, denn ich kenne dich“, fuhr jene fort. „Schon ein Mann ist im Ganzen ein halber Schelm, ein abgefeinerter Mann vollends, ein Theaterschreiber aber ist gar ein fünfviertels Dieb; dennoch wirst du, fürchte ich, in Maulbronn vor deinem teuern Dichter mit deinem ganzen Herzen herausbrausen und -platzen und hundert ungestüme Dinge tun, nach denen freilich dein Vater nichts fragt, aber wohl ich.“
„Wie, Bona, fürcht ich denn den grossen Dichter nicht? Kaum ihn anzusehen, geschweige anzureden wag ich!“ sagte sie. „Vor Kotzebue wolltest du dich auch scheuen; und tatest doch dann keck und mausig“, sagte Bona. — „Ach, innerlich nicht“, versetzte sie.
Allerdings nähern die Weiber sich hohen Häuptern und grossen Köpfen — was keine Tautologie ist — mit einer weniger blöden Verworrenheit als die Männer; indes ist hier Schein in allen Ecken; ihre Blödigkeit vor dem Gegenstande verkleidet sich in die gewöhnliche vor dem Geschlecht; — der Gegenstand der Verehrung findet selber etwas zu verehren vor sich — und muss sich zu zeigen suchen, wie die Frau sich zu decken; — und endlich bauet jede auf ihr Gesicht. „Man küsst manchem heiligen Vater den Pantoffel, unter den man ihn zuletzt selber bekommt“, kann jede denken.
„Und was wäre es denn“, fuhr Theoda fort, „wenn ein dichtertolles Mädchen einem Herder oder Goethe öffentlich auf einem Tanzsaale um den Hals fiele?“ —
„Tu es nur deinem Theudobach“, sagte Bona, „so weiss man endlich, wer du heiraten willst!“ „Jeden — versprech ich dir — der nachkommt; hab ich nur einmal meinen männlichen Gott gesehen und ein wenig angebetet: dann spring ich gern nach Hause und verlobe mich in der Kirche mit seinem ersten besten Küster oder Balgtreter und behalte jenen im Herzen, diesen am Halse.“
Bona riet ihr, wenigstens den Herrn von Niess, wenn er mitfahre, unterwegs recht über seinen Freund Theudobach auszuhorchen, und bat sie noch einmal um weibliche Schleichtritte. Sie versprach’s ihr und deshalb noch einen täglichen Bericht ihrer Badreise dazu. Sie schien nach Hause zu trachten, um zu sehen, ob ihr Vater den Edelmann in seine Adoptionsloge der Kutsche aufgenommen. Unter dem langen festen Kusse, wo Tränen aus dem Augen beider Freundinnen drangen, fragte Bona: „Wann kommst du wieder?“ — „Wenn du niederkommst. — Meine Kundschafter sind bestellt. — Dann laufe ich im Notfalle meinem Vater zu Fusse davon, um dich zu pflegen und zu warten. Oh, wie wollt ich noch zehnmal froher reisen, wär alles mit dir vorüber.“ — „Dies ist leicht möglich“, dachte Bona im andern Sinne und zwang sich sehr, die wehmütigen Empfindungen einer Schwangern, die vielleicht zwei Todespforten entgegengeht, und die Gedanken: dies ist vielleicht der Abschied von allen Abschieden, hinter weinende Wünsche zurückzustecken, um ihr das schöne Abendrot ihrer Freude nicht zu verfinstern.
5. Summula
Herr von Niess
Wer war dieser ziemlich unbekannte Herr von Niess? Ich habe vor, noch vor dem Ende dieses Perioden den Leser zu überraschen durch die Nachricht, dass zwischen ihm und dem Dichter Theudobach, von welchem er das Briefchen mitgebracht, eine so innige Freundschaft bestand, dass sie beide nicht bloss eine Seele in zwei Körpern, sondern gar nur in einem Körper ausmachten, kurz eine Person. Nämlich Niess hiess Niess, hatte aber, als auftretender Bühnendichter, um seinen dünnen Alltagsnamen den Festnamen Theudobach wie einen Königsmantel umgeworfen und war daher in vielen Gegenden Deutschlands weit mehr unter dem angenommenen Namen als unter dem eignen bekannt, so wie von dem hier schreibenden Verfasser vielleicht ganze Städte, wenn nicht Weltteile, es nicht wissen, dass er sich Richter schreibt, obgleich es freilich auch andre gibt, die wieder seinen Paradenamen nicht kennen. Gleichwohl gelangten alle Mädchenbriefe leicht unter der Aufschrift Theudobach an der Dichter Niess — bloss durch die Oberzeremonienmeister oder Hofmarschälle der Autoren; man macht nämlich einen Umschlag an die Verleger.
Nun hatte Niess als ein überall berühmter Bühnendichter sich längst vorgelegt, einen Badort zu besuchen, als den schicklichsten Ort, den ein Autor voll Lorbeeren, der gern