war schon fast Mitternacht, als sich die Freunde und Gäste in Pans Ranch erhoben. Peter Sattler trat noch einmal vor die Ranch-Hütte, nachdenklich wanderte er einige Minuten am See entlang.
Gegen Norden hin stand immer noch ein grüner Tagesschein, und die Sterne flimmerten am mondlosen Himmel in lebhaftem Feuer.
Fast unbewußt war Peter Sattler in dieses große Abenteuer hineingeschlittert. Heute noch hätte er umkehren, auf zwar schlechten, aber gebahnten Straßen, und wieder zurück in den gewohnten Tageslauf der Cowboys gehen können. Morgen verließ er den letzten vorgeschobenen Posten der Zivilisation, und es ging unwiderruflich in die leere Einsamkeit hinaus. Irgendwo in den Bergen würden sie noch eine letzte Ranch finden, dann aber war für viele hundert Kilometer des weißen Mannes Land zu Ende.
Wenn Peter Sattler die Augen schloß, dann sah er vor sich zwischen Wäldern, die noch kein Weißer durchschritten hatte, grünes, blühendes Weideland bis an den Horizont wogen. Ein Bach lief aus dem Wald, ein stiller See füllte eine Bucht, und am Rand stand, umgeben von einem weiten Zaungehege, das Blockhaus am Tetachuk-See.
Peter Sattlers Gedanken kehrten wieder in die Wirklichkeit zurück. Morgen mußte der letzte Einkauf getätigt werden: Reit- und Tragpferde, Rinder und Stiere, die den Anfang einer großen, wachsenden Herde bilden sollten. Ob auch die Dollars reichten? Er hatte schon nach den Preisen gefragt. Diese lagen um fast die Hälfte niedriger als unten im Süden. Aber sie durften auch nicht die letzten Dollars ausgeben, ein Jahr lang würden alle Einkünfte fehlen!
„Hallo, Peter, was träumst du?“ kam Mac Lean hinter ihm hergeschritten. „Es ist Zeit zu schlafen, morgen müssen wir ein tüchtiges Stück Weg hinter uns bringen!“
„Und der Einkauf?“ fragte Peter langsam.
„Ist schon so gut wie abgeschlossen. Zweitausend Dollar für acht Pferde und sieben Rinder. Wir müssen morgen nur das Rechte wählen.“
Morgen – morgen – morgen. Allmählich glitt Peter Sattlers Denken hinüber in den Schlaf, in den Traum.
Am Morgen des 5. Juli herrschte in der Anahim-Ranch ein großer Trubel. Cowboys jagten die Weidepferde in das umplankte Gehege, drüben bei den Kühen schritt Mac Lean mit einigen Ranchers hin und her.
„Ich will den gekauften Rindern gleich unser neues Brandzeichen geben lassen, damit wir sie wiederfinden, wenn uns einmal etliche durchgehen und zurück bis nach Anahim traben sollten!“ lachte Mac Lean zu seinem neuen Plan. Peter Sattler, Bill und Peer aber waren mit den neuen Tragtieren und den Reitpferden beschäftigt. Sie paßten ihnen sorgfältig die neuen Reit- und Tragsättel auf. Wer sich auf den Weg in die Wildnis begab, für den gab es nichts Wichtigeres als gut sitzende Pferdesättel. Hatten sich die Tiere einmal an einem Sattel wundgescheuert, dann dauerte es manchmal Wochen, bis sie wieder die volle Last tragen konnten.
Bis zum Mittag waren alle Lasten aus den Autos den Tragtieren aufgeladen. Allerdings hatte Mac Lean zu den acht Pferden noch zwei weitere dazukaufen müssen, damit alles untergebracht werden konnte, was man in die Wildnis mitnahm.
Mac Lean hatte die Listen an sich genommen und Stück um Stück der Ausrüstung abgehakt. Zuletzt faltete er sie zusammen und schob sie in eine seiner tiefen Taschen. „Nichts ist vergessen. Nun aber vorwärts! Auf die Pferde!“
Mit Überlegung hatte Mac Lean nur ein paar zahme Stuten und einige alte Wallache ausgewählt. So geschah es auch, daß keines der Pferde ausbrach oder bockte, als sich der lange Zug in Bewegung setzte. Es gab ein lautes Abschiedrufen und fröhliche Wünsche hin und her, als der Treck langsam aus dem Hofplatz der Anahim-Ranch hinaustrieb. Mac Lean und Bill ritten an der Spitze des Zuges, Peter Sattler und Peer beschlossen ihn, Bärbi und Rossy Sattler durften ungehindert im Zug reiten, aber sie hielten sich stets neben den zahmen Rindern auf.
Noch liefen eine Strecke weit Wagengleise nach Norden und zeigten den Reitenden die Richtung. Später mußten sie sich nach anderen Zeichen richten, nach ausgeschlagenen Waldschneisen, nach kurzen Ästen und Aststücken, die in der Pfadrichtung an alte Bäume geheftet waren, nach Spuren auf dem Boden, nach der Himmelsrichtung und den Sternen.
Als sich bereits ein Waldstück zwischen die Reiter und die Anahim-Leute geschoben hatte, jagte hinter ihnen noch ein Cowboy daher. Peter Sattler und Peer, die am Ende des Zuges ritten, hielten an. Hatten sie etwas Wichtiges vergessen? Der Cowboy schwang ein kleines Paket in der Hand, als er sie atemlos einholte.
„Mister Pan, mein Chef, läßt euch grüßen! Er hat euch Moskitosalbe und Moskitonetze eingepackt, damit euch hinter den Bergen die Mücken nicht fressen!“
An die Mücken hatte selbst Mac Lean nicht gedacht!
Der kleine Trupp ritt an diesem Tag über zwanzig Meilen weit nach Norden. Anfangs waren sie noch an Weideflächen mit Rindern vorbeigekommen, aber allmählich nahm der Wald immer mehr zu, und zuletzt ritt die Truppe in einem langgezogenen, flachen Tal dahin. Hier und da konnten sie in der Ferne den Dean River sehen, der in einem weiten Bogen nach Norden fließt, zuletzt nach Westen und dann in den Pazifik mündet.
Mac Lean hatte sich nach den Auskünften der Cowboys in Anahim-Ranch eine kleine Kartenskizze angefertigt. Irgendwo mußten sie in zwei Tagen Rob Seters Ranch entdeken. Dann sollten sie sich selbst außerhalb des Gebirges zwischen Wald und Sumpf einen Weg nach Norden bahnen. Irgendwo müßten sie einen Übergang über die Berge finden, vielleicht konnten sie dann von einer waldfreien Höhe das Land im Norden überblicken.
Die Sonne stand bereits wieder tief im Westen, als der Trupp auf eine sumpfige Waldwiese hinauskam. Silbern schimmernde Weiden und bärtige Tannen wuchsen ah ihrem Rand.
„Okay, ein Lager, wie für uns geschaffen!“ murmelte Mac Lean und hielt den Trupp an. Sattler und Bill kamen nachgeritten. Auch sie waren mit der Wahl des Lagers gern einverstanden. „Genügend Wasser und Weidefutter. Wer kann sich Besseres wünschen!“ nickte Peter Sattler.
Die Jungen liefen mit den Ledereimern zu einer stehenden Wasserlache und trugen Wasser heran. Nachdem den Pferden die Packen und die Sättel abgenommen waren, goß Peter Sattler jedem der widerstrebenden Tiere einen Eimer Wasser über den Rücken und rieb sie dann kräftig trocken. Dies war das beste Mittel, um ein Wundscheuern unter dem Sattel zu verhüten.
„Die Pferde koppeln wir an, und die Rinder lassen wir auf der Weide frei laufen!“ beschloß Mac Lean. Peter Sattler stimmte ihm bei. Wohin sollten auch die Kühe entweichen, da sie doch rundum dichter Wald umgab. Außerdem hängte Bill zwei Tragpferden noch Schellen um den Hals, damit die Tiere auch in der Dunkelheit sich wiederfinden lassen sollten.
Peter Sattler blickte glücklich auf die Kühe, die sich an dem frischen grünen Gras gütlich taten. Er sah auch, daß sie den offenen Sumpfstellen schnaubend auswichen. Er brauchte keine Angst zu haben, daß eine der Kühe auf der Weide versank.
Zum Abendessen kochte die Frau heute Schinken und Reis. Sie hatten alle eine schmackhafte, kräftige Mahlzeit verdient. Das Teewasser brodelte bald im Kessel, und als die Jungen die Zelte wieder aufgestellt hatten, war alles für den Abend bereit.
„Uah!“ gähnte Mac Lean genußvoll. „Heute nacht kann mich kein Kanonenschuß wecken.“ Nach einem Gang zu den Pferden kroch er in sein Zelt.
Von den Bergen herab fiel ein leise ziehender Abendwind in die Wipfel. Bill und Peer horchten noch eine Weile hinaus, aber dann fielen auch ihnen die Augen zu. Im Zelt der Frauen war längst schon Ruhe eingekehrt.
Peter Sattler kroch am nächsten Morgen als erster aus dem Zelt. Irgendwo hinter den Tannen im Osten mußte schon wieder die Sonne emporgekommen sein. Sie warf lange Morgenschatten über die Weide.
Weide – Weide! Plötzlich erstarrte er.
Die angepflockten Pferde grasten ruhig neben den Bäumen. Wo aber waren die Kühe hingekommen? Im nächsten Augenblick riß er den Vorhang von Mac Leans Zelt auseinander. „Die Kühe sind weg!“
Die drei Schläfer sprangen so rasch empor, daß sie eine Zeltwand einrissen. Als sie sich aus den Hüllen befreit hatten, starrten auch sie auf die leere Weide hinaus.
„Auf