zu sehen.
„Ich glaube, es ist fort!“ sagte er; aber weg war es nicht. Es war eins von den Glaskörnern, welches vom Spiegel gesprungen war. Der arme Kerl hatte auch ein Korn gerade in das Herz hinein bekommen. Das wird nun bald ein Eisklumpen werden. Nun tat es nicht mehr wehe, aber es war da.
,,Weshalb weinst du?“ fragte er. „So siehst du hässlich aus! Mir fehlt ja nichts! Pfui!“ rief er auf einmal, „die Rose dort hat einen Wurmstich! und sieh, diese da ist ja ganz schief! Im Grunde sind es hässliche Rosen! sie gleichen dem Kasten, in welchem sie stehen!“ und dann stiess er mit dem Fusse gegen den Kasten und riss die beiden Rosen ab.
„Karl, was machst du?“ rief das kleine Mädchen; und als er ihren Schreck gewahr wurde, riss er noch eine Rose ab und lief dann in sein Fenster hinein von dem kleinen, lieblichen Gretchen fort.
Wenn sie später mit dem Bilderbuche kam, dann sagte er, dass das für ganz kleine Kinder sei, und erzählte die Grossmutter Geschichten, so kam er immer mit einem Aber; ja, konnte er dazu gelangen, dann ging er hinter ihr her, setzte eine Brille auf und sprach ebenso wie sie. Das machte er ganz treffend, und dann lachten die Leute über ihn. Bald konnte er allen Menschen in der ganzen Strasse nachsprechen und nachgehen. Alles, was ihnen eigen und unschön war, das wusste Karl nachzumachen, und dann sagten die Leute: ,,Das ist sicher ein ausgezeichneter Kopf, den der Knabe hat!“ Aber das war das Glas, das ihm im Herzen sass; daher kam es, dass er selbst das kleine Gretchen neckte, die ihm von ganzem Herzen gut war.
Seine Spiele wurden nun ganz anders als früher, sie wurden ganz verständig! An einem Wintertage, als es schneite, kam er mit einem grossen Brennglase, hielt seinen blauen Rockzipfel hinaus und liess die Schneeflocken darauf fallen.
,,Sieh nun in das Glas, Gretchen!“ sagte er, und jede Schneeflocke wurde viel grösser und sah aus wie eine prächtige Blume oder ein sechseckiger Stern; es war schön anzusehen. ,,Siehst du, wie künstlich!“ sagte Karl. „Das ist weit hübscher als die wirklichen Blumen, und es ist kein einziger Fehler daran, sie sind ganz regelmässig, wenn sie nur nicht schmelzen würden!“
Bald darauf kam Karl mit grossen Handschuhen und seinem Schlitten auf dem Rücken und rief Gretchen in die Ohren: ,,Ich habe Erlaubnis erhalten, auf den grossen Platz zu fahren, wo die andern Knaben spielen!“ und weg war er.
Dort auf dem Platze banden oft die kecksten Knaben ihre Schlitten an die Wagen der Landleute fest und dann führen sie ein gutes Stück Weges mit. Das ging prächtig. Als sie im besten Spielen waren, kam ein grosser Schlitten, der war ganz weiss angestrichen, und darin sass jemand in einen rauhen, weissen Pelz gehüllt und mit einer weissen, rauhen Müsse. Der Schlitten fuhr zweimal herum um den Platz, und Karl band seinen kleinen Schlitten schnell daran fest, und nun fuhr er mit. Es ging rascher und rascher, gerade hinein in die nächste Strasse; der, welcher fuhr, wendete das Haupt und nickte freundlich zu, es war gerade, als ob sie einander kannten. Jedesmal, wenn Karl seinen kleinen Schlitten ablösen wollte, nickte die Person wieder, und dann blieb Karl sitzen. Sie fuhren endlich zum Stadttor hinaus, da begann der Schnee so stark hernieder zu fallen, dass der kleine Knabe keine Hand vor sich erblicken konnte, aber er fuhr davon. Da liess er schnell die Schnur fallen, um von dem grossen Schlitten loszukommen, aber das half nichts, sein kleines Fahrzeug hing fest und es ging mit Windeseile. Da rief er ganz laut, aber niemand hörte ihn, der Schnee trieb, und der Schlitten flog von dannen; mitunter gab es einen Sprung, es war, als führe er über Gräben und Hecken. Er war ganz erschrocken.
Die Schneeflocken wurden grösser und grösser, zuletzt sahen sie aus wie grosse, weisse Hühner; auf einmal sprangen sie zur Seite, der grosse Schlitten hielt, und die Person, die ihn fuhr, erhob sich. Pelz und müsse waren ganz und gar von Schnee, es war eine Dame, hoch und schlank, glänzend weiss, es war die Schneekönigin.
„Wir sind gut gefahren!“ sagte sie, „aber wer wird frieren! Krieche in meinen Bärenpelz!“ und sie setzte ihn neben sich in den Schlitten, schlug den Pelz um ihn, und es war, als versinke er in einem Schneetreiben.
„Friert dich noch?“ fragte sie, und dann küsste sie ihn auf die Stirn. O! das war kälter als Eis, das ging ihm gerade hinein bis an sein Herz, welches ja doch zur Hälfte ein Eisklumpen war. Es war, als sollte er sterben, aber nur einen Augenblick, dann tat es ihm gerade recht wohl; er spürte nichts mehr von der Kälte ringsumher.
,,Meinen Schlitten! vergiss nicht meinen Schlitten!“ daran dachte er zuerst, und der wurde an eines der weissen Hühner festgebunden, und dieses flog hinterher mit dem Schlitten auf dem Rücken. Die Schneekönigin küsste Karl nochmals, und dann hatte er das kleine Gretchen, die Grossmutter und alle daheim vergessen.
,,Nun bekommst du keine Küsse mehr,“ sagte sie, ,,denn sonst küsse ich dich tot!“
Karl sah sie an, sie war sehr schön, ein klügeres, lieblicheres Antlitz konnte er sich nicht denken. Sie erschien ihm nun nicht von Eis, wie damals, als sie draussen vor dem Fenster sass und ihm winkte; in seinen Augen war sie vollkommen, er fühlte gar keine Furcht; er erzählte ihr, dass er im Kopfe rechnen könnte, und zwar mit Brüchen, er wisse die Grösse des Landes und die Einwohnerzahl, und sie lächelte immer. Das kam ihm vor, als wäre es noch nicht genug, was er wisse, und er blickte hinauf in den grossen, grossen Luftraum und sie flog mit ihm, flog hoch hinauf in die schwarze Wolke, und der Sturm sauste und brauste, es war, als sänge er alte Lieder. Sie flogen über Wälder und Seen, über Meere und Länder; unter ihnen sauste der kalte Wind, die Wölfe heulten, der Schnee funkelte, über demselben slogen die schwarzen, schreienden Krähen dahin; aber hoch oben schien der Mond gross und klar, und den betrachtete Karl die lange, lange Winternacht. Am Tage schlief er zu den Füssen der Schneekönigin.
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