Lou Andreas-Salomé

Narzißmus als Doppelrichtung


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– und dies ist interessant – unter keinen Umständen dem vielvermögenden Ik allein zubilligt.

      Gerade wie späterhin unsere Libido bereits bewußte Eigenschaft am Ich geworden, Angst erleidet bei Verdrängen, Hemmen unseres Bemächtigungsbestrebens, so kann sie es vorher erleiden auch infolge noch zögernden Zustimmens zur Herausbildung einer als eng und einzeln betonten Person; auch dies wirkt gleich Verdrängungsschüben, durch die sich in abgegrenztes Flußbett bequemen muß, was sich Meer gewähnt. Entsprechend der letztbemerkten Mission des Mai scheint das am längsten vorzuhalten bei Kindern mit starker Phantasietätigkeit, und ist aus wesentlich späteren Jahren als die des Bübchens mir zur Beobachtung gelangt. Von mir selbst entsinne ich mich eines hergehörigen Vorfalls aus meinem – sehr ungefähr berechnet – siebenten Jahr, den freilich ausnahmsweise Umstände begleiteten, die hier zu erörtern zu weit führen würde, sie fanden statt durch erstmaliges verfrühtes Hinausgeraten aus kindfrommer Gläubigkeit, also aus jener Gottgeborgenheit, die nicht unähnlich einer letzten geistigen Eihaut das Menschenkind umhüllen mag, mit ihrem Zerreißen die Ichgeburt in die Weltfremde(3) in gewissem Sinn erst vollendend. Es betraf einen Eindruck vor dem eigenen Spiegelbild: wie jähes, neuartiges Gewahrwerden dieses Abbildes als eines Ausgeschlossenseins von allem übrigen; nicht wegen etwas am Aussehn (z. B. als eines schöner phantasierten oder aber gewissenweckend infolge der Zweifelsünde jener Zeit), sondern die Tatsache selber, ein Sichabhebendes, Umgrenztes zu sein, überfiel mich wie Entheimatung, Obdachlosigkeit, als hätte sonst alles und jedes mich ohne weiteres mitenthalten, mir freundlich Raum in sich geboten(4). Natürlich erfahren Kinder und Kranke eher von dieser Unheimlichkeit, sich gerade an der Ichschranke zum bloßen Bildspuk, zu äffendem Schein zu werden, als ausgewachsene Normalmenschen, die nur der entgegengesetzte Umstand, diese Schrankensicherheit könne sich verflüchtigen, aus ihrer Fassung würfe. Wie beim Kinde das noch nicht gefestigte Ichbewußtsein, so legt beim psychotisch Erkrankten der Ichzerfall, jene andere Seite am Narzißtischen bloß, wo sich am Narzißmus erweist, daß er sich eben nicht mit »Selbstliebe« ganz deckt: weshalb der Psychot uns so viel darüber aussagt bei und durch Verlust seiner Ichgrenzen; indem er seine Fähigkeit zu Übertragung, zu Objektbesetzung, als nur vom Ich aus mögliche, einbüßt, regrediert er bis dorthin, wo man auf Einzelnes als solches, und so auch auf sich als den einzelnen, nicht mehr überträgt: nur daß ihm, wie dem Säugling, die beide allein diesen Zustand in so reiner Halbheit erfahren, das kennzeichnende Wort dafür fehlt, wir aber mit unsern Bezeichnungen schon stecken bleiben in der Mischung beider Hälften zu ununterscheidbarer Ganzheit, die uns nun bloß vom andern Rande her zu begutachten gegeben ist. Freilich gabs und gibts Leute, denen Namen auch für jenes Wortlose zu Gebote stehn, aber nur solche Namen, die das Unnennbare daran unterstrichen, um daraus das Recht abzuleiten, mit ihren Wörtern wie mit Entiteten umzugehn: das sind die Metaphysiker insbesondere älteren Datums: Doch wie wäre es, wenn wir eben die Nebulosität derartiger Ausdrücke uns zu nutze machten für andersartigen Zweck: für Unterscheidungen praktischer und faktischer Erlebnisseiten an unseren inwendigen Menschen? Nämlich so, wie zweifellos nur des Gläubigen klassische Religionssprache uns über fromme Zustände am deutlichsten belehrt, so auch des Metaphysikers Redewendungen über gewisse Existenzweisen an unserm Erleben, die für die Ichpsychologie, wie Sterne am Tage, unsichtbar werden; der große Fromme, der große Philosoph sind gleichermaßen Ausdrucksmächtige um deswillen, daß sie, wie der Psychoanalytiker ja nur zu gut weiß, ihre heißesten Antriebe aus der narzißtischen Urmacht bewahrten. Sie können den Erforscher menschlicher Seele ebenso beschenken, wie es sogar, hie und da, aus gleichem Grunde, der Psychot tut.

      Ein wenig hat es der Taufpate des Terminus, der Spiegelheld Narziß, auf dem Gewissen, wenn dabei zu einseitig die ichbeglückte Erotik allein herausblickt. Aber man bedenke, daß der Narkißos der Sage nicht vor künstlichem Spiegel steht, sondern vor dem der Natur: vielleicht nicht nur sich im Wasser erblickend, sondern auch sich als alles noch, und vielleicht hätte er sonst nicht davor verweilt, sondern wäre geflohen? Liegt nicht in der Tat über seinem Antlitz von jeher neben der Verzücktheit auch die Schwermut? Wie dies beides sich bindet in eins: Glück und Trauer, das sich selber Entwendete, das auf sich selbst Zurückgeworfene, Hingegebenheit und eigene Behauptung: das würde ganz zum Bild nur dem Poeten(5).

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