gerade in die Augen.
»Wenn damals auf ihrer Seite eine Hinderung bestand, so war diese durch die starke Wirkung eines blendenden Äußeren herbeigeführt worden«, fuhr Oblonski fort. »Dieses vollendete aristokratische Wesen, weißt du, und die zukünftige glänzende Stellung in der Gesellschaft sind zwar nicht bei ihr, wohl aber bei der Mutter stark in die Waagschale gefallen.«
Ljewin machte ein finsteres Gesicht. Das Gefühl der Kränkung über die ihm widerfahrene Abweisung fing wie eine frische, soeben empfangene Wunde von neuem in seinem Herzen an zu brennen. Aber er war bei sich zu Hause, und man pflegt zu sagen: ›Zu Hause helfen einem die Wände.‹
»Halt, warte mal«, unterbrach er Oblonski. »Du sagst: aristokratisches Wesen; aber gestatte mir die Frage: Worin besteht dieses aristokratische Wesen bei Wronski oder bei sonst jemandem, ich meine ein aristokratisches Wesen von der Art, daß es dem Betreffenden ein Recht gäbe, mich gering zu achten? Du hältst Wronski für einen Aristokraten, ich bin anderer Ansicht. Ein Mensch, dessen Vater aus unbedeutender Lebensstellung durch Ränke und Schliche emporgestiegen ist, dessen Mutter, Gott weiß, mit wem, Liebschaften gehabt hat, – Nein, nimm mir's nicht übel, für einen Aristokraten halte ich mich selbst und Leute von meiner Art, die auf drei, vier ehrenhafte Generationen von Vorfahren in der Vergangenheit zurückweisen können, von Vorfahren, die sich auf der höchsten Stufe der Bildung ihrer Zeit befunden haben (Begabung und Verstand, das ist eine andere Sache), sich nie vor jemand erniedrigt haben und sich nie auf anderer Leute Hilfe angewiesen sahen, so wie mein Vater und mein Großvater gelebt haben. Und solcher Männer kenne ich viele. Dir erscheint es unwürdig, daß ich die Bäume im Walde zähle, und du schenkst an diesen Rjabinin sechzigtausend Rubel weg; aber du empfängst ein Gehalt, und ich weiß nicht, was sonst noch alles, und ich empfange dergleichen nicht, und darum schätze ich das, was ich ererbt und das, was ich mit meiner Arbeit erworben habe. – Wir sind die wahren Aristokraten und nicht jene Leute, die nur von den Gnadengeschenken leben können, die ihnen die Mächtigen dieser Welt zukommen lassen, jene Leute, die für ein Zwanzigkopekenstück käuflich sind.«
»Aber gegen wen kämpfst du eigentlich an? Ich für meine Person bin ja ganz mit dir einverstanden«, erwiderte Stepan Arkadjewitsch durchaus aufrichtig und höchst vergnügt, obwohl er herausfühlte, daß Ljewin unter den Leuten, die für ein Zwanzigkopekenstück käuflich seien, auch ihn selbst mit verstand. Ljewins Lebhaftigkeit hatte ihm wirklich gefallen. »Mit wem streitest du? Es ist zwar von dem, was du über Wronski gesagt hast, vieles nicht zutreffend, aber darüber will ich jetzt nicht reden. Ich sage dir nur geradeheraus: Ich an deiner Stelle würde jetzt mit nach Moskau fahren und . . . «
»Nein, ich weiß nicht, ob es dir bekannt ist oder nicht; aber meinetwegen magst du es wissen, mir ganz gleich, und ich will es dir selbst sagen: Ich habe einen Antrag gemacht und einen Korb bekommen, und Katerina Alexandrowna ist für mich jetzt weiter nichts mehr als eine schmerzliche, peinliche Erinnerung.«
»Wieso denn? Dummes Zeug!«
»Wir wollen nicht weiter darüber sprechen. Bitte, entschuldige, wenn ich grob gegen dich gewesen bin«, sagte Ljewin. Jetzt, nachdem er sich alles vom Herzen geredet hatte, wurde er wieder derselbe, der er am Morgen gewesen war. »Du bist doch nicht böse auf mich, Stiwa? Bitte, sei mir nicht böse!« bat er und ergriff lächelnd des anderen Hand.
»Aber nein, ganz und gar nicht; dazu wäre ja auch gar kein Grund. Ich freue mich, daß wir uns miteinander ausgesprochen haben. Und weißt du, morgens pflegt der Schnepfenstrich gut zu sein. Wollen wir nicht noch einmal hinfahren? Ich würde dann eben auf den Morgenschlaf verzichten und gleich von der Jagd nach der Station fahren.«
»Ausgezeichnet!«
18
Unaufhaltsam in dem früheren gewohnten Geleise der gesellschaftlichen und kameradschaftlichen Beziehungen und Interessen dahin. Die kameradschaftlichen Interessen nahmen in Wronskis Leben eine wichtige Stelle ein, erstens, weil er sein Regiment liebte, und zweitens in noch höherem Grade deswegen, weil er im Regiment sehr beliebt war. Und Wronski war im Regiment nicht nur beliebt, sondern seine Kameraden schätzten ihn auch hoch und waren stolz darauf, daß dieser Mann, der über einen gewaltigen Reichtum verfügte und eine vorzügliche Bildung und ausgezeichnete Fähigkeiten besaß und auf jedem Gebiete, mochte er es nun auf Befriedigung des Ehrgeizes oder auf Befriedigung der Eitelkeit anlegen, den Weg zum Erfolge frei und unbehindert vor sich liegen sah, – daß dieser Mann das alles hintansetzte und von allen Lebensinteressen den Interessen des Regiments und der Kameraden in seinem Herzen den weitesten Raum gönnte. Wronski wußte, daß die Kameraden so über ihn dachten, und abgesehen davon, daß ihm dieses Leben zusagte, fühlte er sich verpflichtet, die über ihn bestehende Meinung durch sein Verhalten zu rechtfertigen.
Es versteht sich von selbst, daß er mit keinem seiner Kameraden von seiner Liebe sprach, ja selbst bei den ärgsten Zechgelagen ließ er sich kein Wort darüber entschlüpfen (übrigens betrank er sich überhaupt nie so, daß er die Herrschaft über sich selbst verloren hätte) und stopfte denen seiner leichtsinnigen Kameraden den Mund, die sich erlaubten, Anspielungen auf sein Verhältnis zu machen. Aber trotzdem war seine Liebe in der ganzen Stadt bekannt; alle errieten mehr oder weniger genau die Natur seiner Beziehungen zu Frau Karenina; die meisten jungen Männer beneideten ihn gerade um das, was ihm bei dieser Liebe das Peinlichste war: daß Karenin eine so hohe amtliche Stellung bekleidete und daher diese Liebschaft den Blicken aller ausgesetzt war.
Von den jungen Frauen hatten sehr viele Anna von jeher beneidet, und es hatte sie schon lange verdrossen, daß Anna in der Gesellschaft als eine ›durchaus anständige Frau‹ bezeichnet zu werden pflegte; diese freuten sich nun in der Voraussetzung, daß ihre Vermutungen richtig seien, und warteten nur auf den endgültigen Umschwung der öffentlichen Meinung, um mit der ganzen Wucht ihrer Verachtung über Anna herzufallen. Sie hielten bereits die Schmutzklumpen in Bereitschaft, mit denen sie sie bewerfen wollten, sobald der rechte Augenblick gekommen wäre. Dagegen waren die meisten Leute, die sich in höherem Lebensalter und in höherer Stellung befanden, sehr mißvergnügt über dieses sich vorbereitende gesellschaftliche Ärgernis.
Wronskis Mutter war, als sie von dieser Liebschaft gehört hatte, anfangs damit zufrieden gewesen, erstens, weil ihrer Meinung nach nichts so geeignet war, einem jungen Manne in glänzender Lebensstellung den letzten Schliff zu geben, wie ein Liebesverhältnis in den höchsten Schichten der Gesellschaft, und zweitens, weil Frau Karenina, die ihr so gut gefallen und ihr so viel von ihrem kleinen Sohne erzählt hatte, nun doch – nach der Auffassung der Gräfin Wronskaja – von ganz demselben Schlage war wie alle schönen, vornehmen Frauen. Aber neuerdings hatte sie erfahren, daß ihr Sohn eine ihm angebotene, für seine ganze Laufbahn wichtige Stellung nur deswegen abgelehnt habe, um im Regiment in Petersburg zu bleiben, wo er mit Frau Karenina zusammentreffen konnte; sie hatte erfahren, daß hochgestellte Persönlichkeiten sein Verhalten stark mißbilligten; so änderte sie denn ihre Meinung. Auch das mißfiel ihr, daß nach allem, was sie über diese Liebschaft hörte, es sich dabei nicht um ein glänzendes, unterhaltsames Verhältnis im Stile der großen Welt handele (dagegen hätte sie nichts gehabt), sondern um eine Art von verzweifelter Werther-Leidenschaft, die ihn zu Torheiten verleiten konnte. Sie hatte ihn seit seiner überraschenden Abreise aus Moskau nicht mehr gesehen und ihn jetzt durch Vermittlung ihres ältesten Sohnes aufgefordert, zu ihr zu kommen.
Auch der ältere Bruder war mit dem jüngeren unzufrieden. Er untersuchte nicht, von welcher Art diese Liebe sei, ob groß oder klein, leidenschaftlich oder nicht leidenschaftlich, lasterhaft oder nicht lasterhaft (er selbst, obwohl er Frau und Kinder hatte, hielt eine Tänzerin aus und urteilte daher über dergleichen nachsichtig); aber er wußte, daß diese Liebe Mißfallen bei Leuten erregte, nach deren Gunst man streben mußte, und daher mißbilligte er das Benehmen seines Bruders.
Außer seiner dienstlichen Tätigkeit und seinem Verkehr in der Gesellschaft hatte Wronski noch eine andere Neigung: die für Pferde; für Pferde hatte er eine große Leidenschaft.
Für dieses Jahr war unter anderen ein Offiziersrennen mit Hindernissen angesetzt. Wronski hatte sich für dieses Rennen eingeschrieben, sich eine englische Vollblutstute gekauft und war nun trotz seiner Liebe mit Leib und Seele, wiewohl nicht