Nataly von Eschstruth
Aus vollem Leben
Novellen und Erzählungen
Saga
Aus vollem Leben
German
© 1900 Nataly von Eschstruth
Alle Rechte der Ebookausgabe: © 2016 SAGA Egmont, an imprint of Lindhardt og Ringhof A/S Copenhagen
All rights reserved
ISBN: 9788711470022
1. Ebook-Auflage, 2016
Format: EPUB 3.0
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Rosen unterm Schnee.
Es war eine milde, mondhelle Frühlingsnacht.
Silbern verschleiert tauchten die gewaltigen Berghäupter aus den tiefen Thalschatten empor, die Wellen des Flusses, welche so eilig und geschwätzig zwischen den hohen Ufern dahin schäumten, glitzerten in zauberhafter Schöne, wie ein breites Silberband, welches Feenhände um die Stirn der schlafenden Erde geschlungen, und aus dem nahen Wald wogte duftiger Lenzesodem, köstlich rein und frisch, durchduftet von den Blüten, welche im Garten die jungen Gesichtchen dem Vollmond zuwandten.
Die Nachtigallen jubelten und klagten aus dem blühenden Flieder empor, und die beiden jungen Mädchen, die an dem offenen Fenster des altehrwürdigen Hauses lehnten und voll schweigenden Entzückens in dieses Maienparadies hinausträumten, umschlangen sich fester und inniger und schmiegten die rosigen Wangen aneinander, wie zwei Menschenkinder, die in Liebe und Treue Eins geworden sind.
Nora und Otty waren Pensionsgenossinnen und hatten in dem grauen Hause, das so heimlich und versteckt wie ein Dornröschen in seinem Blütengarten lag, drei glückselige Jugendjahre verlebt.
Sie hatten sich sogleich vom ersten Blick an gefunden, als die zierliche kleine Otty mit den kecken, dunkelblitzenden Augen, welche freilich in diesem Moment recht verweint und schüchtern blickten, zum erstenmal in den Kreis der Pensionärinnen geführt wurde.
Da sah sie, wie die jungen Mädchen ihr recht neugierig, prüfend und musternd entgegenblickten, wie sie spöttisch die Näschen über ihre thränenfeuchten Wangen rümpften, ihren altmodischen Mantel und Hut heimlich verspotteten und sich unmerkliche Zeichen machten, die ein allgemeines Lippenbeissen und unterdrücktes Kichern zur Folge hatten. Nur ein paar grosse, ernste, leuchtend blaue Mädchenaugen richteten sich voll herzlicher Teilnahme auf die Neuangekommene, und die schlanke, blonde Nora trat freundlich neben die kleine Otty, legte den Arm um sie und küsste sie auf die Wange.
„Wir wollen gute Kameradschaft halten, Otty Florenzius!“ sagte sie herzlich; „wir werden in einem Zimmer wohnen, und ich hoffe, dass wir viele schöne Jahre miteinander darin verleben!“ —
„Natürlich, Nora bekommt stets die Neulinge zum Eindressieren!“ lachte eine Stimme aus der Schar der anderen jungen Mädchen, und abermals erhob sich ein allgemeines Kichern und Prusten; Otty aber umklammerte jählings die Hand ihrer schlanken Beschützerin und lächelte unter Thränen zu ihr auf: „Wie freue ich mich, dass gerade du mit mir zusammen wohnen sollst! Ich bin von daheim so viel Liebe gewöhnt, Grossmama war Tag und Nacht um mich, und mein guter Vater verzog und verwöhnte mich so sehr! Nun Grossmutterchen tot ist, ward es notwendig, dass ich in eine Pension kam, — ach ... und du glaubst nicht, Nora, wie schwer es ist, wenn man zum erstenmal von Hause fortkommt!“
„Ihr wohnt auf dem Lande, Otty?“
„Ja, Papa besitzt ein schönes, grosses Gut, aber es ist einsam gelegen, und weil Grossmama kränklich war und Vater sehr still und wortkarg ist, so hatten wir keinen Verkehr. Du musst also schon Geduld mit mir haben, liebe Nora, wenn ich in erster Zeit allzu scheu und sonderbar bin, — ich denke, ich überwinde es aber bald.“ — Nora nickte ihr lächelnd zu und hatte viel Geduld und viele Liebe zu dem armen, jungen Kind, welches gar bald Qualen des Heimwehs litt und zu niemand Vertrauen fasste, als zu der stillen, ernsten Nora mit dem Madonnengesicht und den Veilchenaugen.
Eine innige, grosse Freundschaft entwickelte sich aus diesem täglichen Verkehr, und als ein paar Monate vergangen waren, da hatten die beiden jungen Mädchen ahnungslos die Stellen getauscht.
Aus der schüchternen, etwas altmodisch erzogenen Otty war ein lebenslustiges, elegantes und bildhübsches Mädchen geworden, das bald im Kreise der Gefährtinnen tonangebend war. Es war bald bekannt geworden, dass Otty eine reiche Erbin war, — ihr Vater versorgte sie in ausgiebigster Weise mit Geld, — und da die Pension keine allzu strenge war, sondern den jungen Mädchen hauptsächlich Umgangsformen und eine Ausbildung in schönen Künsten, Musik, Malerei und Gesang geben sollte, so konnte Otty nach Herzenslust in den Magazinen der Stadt einkaufen, um sich modern und elegant zu kleiden, oder sich und ihre Mitschülerinnen durch allerhand Näschereien zu erfreuen.
Aus dem ehemals so unscheinbar aussehenden Mädchen entwickelte sich in der Stadtluft gar bald ein recht elegantes, allerliebstes kleines Fräulein, dessen sprudelnde Laune und Lebhaftigkeit ihr alle Herzen gewann. Nora sah oft ein wenig besorgt in die kecken, lustblitzenden Augen, welche das Leben so gar nicht ernst nehmen wollten, und sie musste oft ihren ruhigen, gesitteten Einfluss geltend machen, wenn die leichtsinnige kleine Freundin trotz aller Vorstellungen die rosa Briefchen aufhob und mit leisem Gelächter las, die ihre Verehrer heimlich über den Gartenzaun warfen.
Nora war sehr ärgerlich, wenn ihre Freundin während der Spaziergänge mit den Primanern und Fähnrichen kokettierte und sich in den Tanzstunden allzu sehr den Hof machen liess: aber wenn sie ihre Ermahnungen anhub, schlang Otty stürmisch den Arm um ihren Nacken, blickte ihr mit den blitzend dunklen Augen so voll Übermut und strahlender Heiterkeit in das Antlitz und jubelte so herzgewinnend froh und kindlich heiter: „Nora vergieb mir! — ach es ist ja so schön, sich zu amüsieren, sich anbeten zu lassen, du weisst, Nora, dass ich es nicht böse meine, wenn ich lache und tanze!“ — dass die ernste Freundin wohl oder übel sich drein finden musste.
„Ja, Otty, ich weiss es, dass du nicht die Absicht hast, kokett zu sein, — dein Wesen hat nur leicht diesen Anschein, und darum solltest du alles vermeiden, was es auffällig macht! Ich begreife nicht, wie du Menschen, die dir gleichgültig sind, ja über die du heimlich deine Witze machst, so anmutig anlächeln und sie mit so bezaubernden Augen ansehen kannst! Ich wäre dies gar nicht imstande, denn es ist doch immer ein bisschen Falschheit, den Menschen Empfindungen zu zeigen, die man nicht für sie fühlt!“
Otty lachte hell auf: „Ja du! Du liebe Heilige! Du nimmst alles so furchtbar ernst und solide wie eine Nonne! Wo sollte dann die Fröhlichkeit herkommen, wenn wir alle Leute nach unseren ehrlichsten Gefühlen behandeln wollten! Da würden wir das Lachen bald verlernen! Dass ich recht in diesem Punkte habe, kannst du schon an den Erfolgen sehen! Du bildhübsches, grosses, schlankes Mädchen mit dem ewig ernsten, stillen Wesen stehst unbeachtet beiseite, weil du es in deiner Redlichkeit nicht fertig bringst, den Menschen ein X für ein U zu machen! Ich garstiger kleiner Sprühteufel hingegen bin umschwärmt und verehrt wie ein Götzenbild, warum? Weil ich es mit der Aufrichtigkeit nicht allzu genau nehme, sondern die Menschen in meinem Interesse ausnutze. Du nennst das unedel — und egoistisch — und Gott weiss wie noch! Aber du musst mir zugeben, dass es trotz alledem praktisch und weltklug ist, und dass ich sehr viel bessere Geschäfte im Leben machen werde, als du, mein Liebling!“ —
Nora schüttelte traurig den Kopf — und doch konnte sie der kleinen Schelmin nicht zürnen, im Gegenteil, gerade die grossen Gegensätze ihrer Charaktere berührten sich sympathisch, und wenn Otty auch in allen anderen Dingen wankelmütig und selbstsüchtig erschien, — in ihrer Freundschaft war sie es nicht, — im Gegenteil, sie kannte keine grössere Freude, als Nora Beweise ihrer Liebe und Zärtlichkeit zu geben, sie überschüttete sie mit Geschenken und fand gar nicht genug Worte, um die Freundin ihrer Liebe und Treue zu versichern.