Nataly von Eschstruth

Aus vollem Leben


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Modell.

      Nora wohnte den ersten Sitzungen bei, und ihr treues, redliches Auge weilte voll Entzücken auf dem Köpfchen der Freundin, das mit geisterhaft grossen Augen aus dem bleichen Schleiergewebe hervorträumte.

      Ein paarmal überkam es sie wie ein leichtes Grauen. Es lag so etwas Überirdisches, Schattenhaftes in diesem Geistergesichtchen — und wenn sie hustete ...

      Raoul lachte über ihre Befürchtungen. „Fräulein Otty ist kerngesund! Zart und ätherisch, vielleicht ein bisschen bleichsüchtig ... das wird sich alles schnell geben, wenn sie sich auf der Badereise erholen und pflegen kann. Ihr Vater ist ja ein schwerreicher Mann, der kann wohl alles thun, um seiner Einzigen eine kleine Erkältung wegzuschaffen!“

      Die nächsten Tage war Nora viel im Hause beschäftigt, und wenn sie einmal einen flüchtigen Blick in das „Reich der Proserpina“ warf, so war sie meist so eilig, dass ihr die eigentümlich beklommene Stimmung, die wortkarge Verlegenheit der beiden kaum auffiel.

      Sie fand auch keine Gelegenheit, viel mit Raoul zu plaudern oder einen Blick und Händedruck mit ihm zu wechseln, es schien, als ob er selber jede Gelegenheit dazu vermeide! Sein Wesen war plötzlich zerstreut, nervös und unruhig, und dabei klagte er über Muskelschmerzen im Arm, die ihm das Malen zur Zeit sehr erschwerten.

      Er glaubte, es sei wohl besser, eine Pause zu machen.

      Das „Ingeborgbild“ sei ja nicht so eilig, er könne fürerst noch eine kleine Studienreise machen und es später vollenden.

      Auch Otty überraschte die Freundin mit dem Entschluss, dass sie sich unbedingt schon in den nächsten Tagen mit ihrem Vater treffen müsse; er sei jetzt am besten daheim abkömmlich, und die Badereise dürfe aus diesem Grunde nicht länger hinausgeschoben werden! —

      Da Otty zuvor stets versichert hatte, sie sei an keinerlei Zeit gebunden, wunderte sich Nora wohl über die plötzliche Eile; da sie aber annahm, dass der Gutsbesitzer in der That mit den Tagen rechnen musste, so nahm sie voll unverändert grosser Herzlichkeit Abschied von ihrem kleinen Liebling.

      Otty schien wieder sehr unter der Trennung zu leiden, sie sah ganz verstört aus, war einsilbig oder von einer ganz unmotiviert überschwenglichen Zärtlichkeit, weinte sogar und sagte den Eltern ihrer Freundin in so überstürzter Weise Lebewohl, dass sie wie ein helles Sommerwölkchen davongeflattert war, ehe man recht zum Bewusstsein dessen gekommen war.

      Noras Blicken wich sie beharrlich aus.

      „Schreibst du bald?“ bat Fräulein von Rastatt mit treuem Händedruck.

      Da grub Otty die spitzen Zähnchen in die Lippe und nickte hastig: „Du wirst bald von mir hören, — Gutes, viel Gutes!“ — Und dann warf sie sich noch einmal jählings an die Brust der Freundin und lachte hell auf: „Nicht wahr, Nora, die Mädchen, die an gebrochenem Herzen sterben, sind Närrinnen? — Um Gottes willen nicht hinter einem Manne hertrauern —! Es giebt ein so hübsches Lied — kennst du es:

      Ich hab mir Rosmarin gepflanzt,

      Er wollte nicht treiben, —

      Ich hab mit einem Bursch getanzt —

      Der wollte nicht bleiben!

      Die Strasse ist frei!

      Und mag er mich nicht — —

      So lässt er’s bleiben!

      Nicht wahr, Nora, so vernünftig muss man sein? Und Gott sei Dank, du bist ja so ein gutes, vernünftiges Mädchen!“

      Überrascht starrte Nora die Sprecherin an. Sie wusste nicht, was Ottys frivole Worte bedeuten sollten, aber ehe sie fragen konnte, setzten sich die Räder des Zuges in Bewegung, und wie eine Vision entschwand ihr das aufgeregte Gesichtchen ihrer so sehr geliebten Gefährtin, die heissgeröteten Wangen und die fieberisch glänzenden Augen.

      „Wie schön sah sie doch aus, die kleine Seele aus dem Reich der Proserpina!“ lächelte Nora tief in Gedanken und schritt langsam nach Hause zurück, wo es plötzlich so still und einsam geworden war.

      Jetzt erst, wo auch Otty gegangen, empfand sie voll und ganz das Wehe, welches ihr der Abschied des Geliebten geschaffen.

      Über acht Tage waren vergangen, da traf ein dicker Brief aus Wiesbaden ein.

      Er trug die Schriftzüge Raouls.

      Wie hatte sie voll Sehnsucht und Herzeleid auf Nachricht von ihm gewartet!

      Nun jauchzte ihr Herz auf! Mit bebenden Fingern erbrach sie den Umschlag. Ein kurzer Brief von ihm — ein steifes Kartonpapier mit Goldrand — —

      Erstaunt starrt Nora es an, — neigt sich näher und liest ...

      Ein leiser Weheschrei, — ein Blick namenlosen Entsetzens — — der Rittergutsbesitzer Florenzius zeigt die Verlobung seiner einzigen Tochter Ottilie mit Herrn Raoul von Glärnisch an! Träumt sie? Ist sie bei Sinnen? Quält sie nicht ein entsetzlicher Fieberwahn?

      Otty und Raoul verlobt! — Sie, die beiden Menschen, die sie so unsagbar liebt, denen sie vertraut hat — an deren Treue sie geglaubt wie an sich selbst — sie haben ihr Leben vergiftet und sie betrogen? O, so erbärmlich — so schnöde verraten und hintergangen! —

      Ihr Blick irrt über Raouls Zeilen.

      Sie enthalten die alten Phrasen von Übereilung, von nicht zusammenpassen und harmonieren, sie flehen um Nachsicht und grossmütiges Entsagen: „Ich lernte mich selbst und mein Herz erst verstehen, seit ich Otty begegnete. Wie ein Rausch des Entzückens, wie ein Traum der Leidenschaft kam es über mich. — Glaube mir, Nora, ich habe dagegen angekämpft wie ein Held, mit dem ehernen Willen und der Verzweiflung eines Mannes, der fest entschlossen ist, seiner Ehre und Pflicht zu genügen. Aber die Liebe war stärker als ich. Vergieb mir, Nora! Ich weiss, wie unrecht ich handle, und dieses Bewusstsein ist der Gifttropfen in dem Becher des Glückes, ich werde es nie verwinden. Und dennoch sündige ich gegen dich und dein treues Herz! Ist das zu verstehen? Nur wer liebt, kann es begreifen, denn die Liebe ist eine Krankheit, ein Wahnsinn, welcher uns zu willenlosen Spielbällen unserer Gefühle macht!“ —

      Thränen stürzten aus Noras Augen.

      „Nein, das ist die Liebe nicht!“ schrie es in ihrem Herzen auf: „Die wahre und echte Liebe ist weder Krankheit noch Wahnsinn — und das, was dich an Otty fesselt, hat nichts mit diesem heiligen Gefühl gemein! — Wehe der Liebe, wenn sie so hilflos in der Sünde Sold stünde! — — Und hier am Schluss noch ein paar Worte von Otty: ‚Verzeih mir, Nora, — ich konnte nicht anders! Ich liebe ihn! — Mehr als alles, mehr selbst als dich! — Und wenn du mir fluchst und zürnst in Ewigkeit — ich kann nicht anders, ich sterbe ohne ihn!‘“ —

      Mit einem Ausdruck des Ekels schleuderte Nora den Brief von sich, schlug die Hände vor das leichenblasse Antlitz und verharrte regungslos.

      Anfänglich hatte der unverhoffte, namenlose Schmerz sie völlig gebeugt.

      Tagelang wankte sie schattenhaft bleich, stumm und thränenlos durch das stille Haus, den einsamen Garten.

      Ihre Eltern befanden sich auf einer kleinen Reise, sie war ganz allein, ganz verlassen in dein unaussprechlichen Weh, an welchem ihr Herz tropfenweise verblutete.

      Eine grenzenlose Verachtung für die beiden Verräter erfüllte sie, und dieses Gefühl der herbsten Nichtachtung gegen Menschen, die man früher über alles geliebt, quälte sie mehr als der Gedanke an ihr gemordetes Glück, an ihre einsame, trostlose Zukunft.

      Allmählich begann sie ruhiger zu denken. Die Erbitterung wich einem tiefen, schmerzlichen Mitleid.

      Können zwei Menschen, die ihr Glück auf Verrat und Treubruch, auf dem vernichteten Dasein einer anderen erbauten, können die jemals glücklich sein?

      Gewiss nicht.

      Das, was sie zusammenführte, war keine Liebe, sondern ein kurzer Rausch, eine Verblendung, die über kurz oder lang ihre Macht verlieren muss.

      Dann werden die Augen, die zuvor mit Blindheit geschlagen,