sehen, mein Lieber.« Sie lächelte freundlich. »Ich habe sie vorhin bei Frau Berger gesehen. Wohin soll ich sie schicken?«
Matthias Weigand dachte nach. Sophie zusammen mit Jakob? Diesen Anblick konnte er sich wahrlich ersparen.
»Schicke sie bitte in die Notaufnahme. Ich habe einen Job für sie.«
»Wird gemacht«, versprach Elena. Ihr engelsgleiches Lächeln begleitete den Internisten hinaus. Es erstarb in dem Moment, in dem er den Schritt über die Schwelle gesetzt hatte. Elena wartete noch kurz. Dann machte sie sich auf den Weg zu Jakob. Gehwagen und Rollstuhl warteten auf dem Flur vor seinem Zimmer darauf, abgeholt und im Lager verstaut zu werden.
»Was fällt euch eigentlich ein?«, herrschte sie den Pfleger an, kaum dass sie ins Zimmer gestürzt war.
Erschrocken riss er die Hände hoch.
»Gnade! Ich bin unschuldig.«
Trotz ihres Ärgers musste Elena lachen. Ihre Blicke flogen durch den Raum. Bevor sie die Tür schloss, sah sie links und rechts den Flur hinunter. Von den beiden Klatschbasen war nichts zu sehen.
»Du hast Glück, dass Sophie nicht hier ist. Sonst hättest du keinen Grund mehr zum Lachen.« Elena trat ans Bett und überprüfte Inhalt und Fließgeschwindigkeit der Infusion. Nur der Schlauch an Jakobs Hand und die ansehnliche Narbe am Kopf zeugten von der schweren Zeit, die er hinter sich hatte. »Was denkt ihr euch eigentlich dabei?«
»Ich verstehe nicht. Was meinst du?«
»Die ganze Klinik zerreißt sich das Maul über euch. Und du stellst solche Fragen?« Elena steckte die Hände in die Kitteltaschen und musterte den Pfleger eingehend. »Na ja, solange ihr hier die Nächte nicht gemeinsam verbringt, geht es mich nichts an. Ansonsten müsste ich die Sache dem Chef melden. Das wäre mir sehr unangenehm. Gutes Personal ist rar.«
Jakob senkte den Blick und knibbelte an einem Hautfetzen am Nagelbett.
»Botschaft angekommen«, murmelte er.
Elena seufzte.
»Dann kannst du mir jetzt vielleicht verraten, wo Sophie steckt. Matthias Weigand sucht sie.«
»Ehrlich, ich habe keine Ahnung. Seit heute früh habe ich sie nicht mehr zu Gesicht bekommen.«
Er schien die Wahrheit zu sagen, und Schwester Elena blieb nichts anderes übrig, als unverrichteter Dinge ins Schwesternzimmer zurückzukehren. Auf halbem Weg kam sie am Ruheraum der Ärzte vorbei. Einer Eingebung folgend drückte sie die Klinke herunter. Wie Milch ergoss sich das Licht über den schwarzen Zimmerboden. Ein feines Geräusch, als ob an einem Stuhlbein gesägt würde, erfüllte die Luft. Es dauerte einen Moment, bis sich Elenas Augen an die Dunkelheit gewöhnt hatten. Tatsächlich. Zusammengerollt wie ein Eichhörnchen lag die Assistenzärztin unten im Stockbett und schnarchte leise vor sich hin. Elena schloss die Tür und trat ans Bett.
»Frau Dr. Petzold!« Ein Seufzen, dann ging das Schnarchen weiter. Elena beugt sich hinunter. Diesmal verstellte sie die Stimme. »Hallo! Frau Petzold.« Sie klang fast wie Dr. Weigand.
Sophie fuhr hoch und knallte mit dem Kopf an den Lattenrost des oberen Bettes.
»Aua!«, quietschte sie und rieb sich das Horn, das blitzschnell auf ihrer Stirn wuchs.
Elena richtet sich auf.
»Guten Mittag, Frau Dr. Petzold. Wenn ich jetzt der Kollege Weigand wäre, wären Sie einen Kopf kürzer.«
»Und hätte keine Beule.«
Schwester Elena lachte.
»Wenigstens haben Sie Ihren Humor noch nicht verloren.« Sophie rappelte sich hoch. Sie schaltete das Licht ein und trat an den Spiegel, der über dem Waschbecken in der Ecke des ansonsten schmucklosen Raumes hing. Sie klopfte mit den Handflächen auf die blassen Wangen, dass es nur so klatschte. Die Schmerzen hätte sie sich sparen können.
»Gegen die Schlafstörungen rate ich Ihnen, die Nächte in Zukunft wieder im eigenen Bett zu verbringen.«
Im Bruchteil einer Sekunde brannten Sophies Wangen wie Feuer.
»Das liegt nicht daran. Ich bleibe doch nur bei Jakob, weil ich eh nicht schlafen kann.« Sie schickte Elena einen hilflosen Blick. »Dabei bin ich ständig müde.«
»Kommen Sie nachher zu mir, dann messe ich Ihren Blutdruck. Und jetzt sollten Sie schleunigst zu Dr. Weigand gehen. Er hat einen Job für Sie.«
Sophie Petzold schüttelte den Kopf.
»Geht nicht. Bestimmt sind die Bilder von Frau Berger fertig. Die muss ich dem Chef bringen. Er geht vor.« Sie wandte sich ab und tappte durch das Zimmer. An der Tür drehte sie sich noch einmal um.
»Und danke, Elena.«
Die stand mit den Händen in den Kitteltaschen da und sah der Assistenzärztin nach. Elena machte sich ihre ganz eigenen Gedanken zu Sophies Verfassung. Aber im Gegensatz zu ihren schwatzhaften Kolleginnen dachte sie nicht daran, auch nur ein Sterbenswörtchen darüber zu verlieren.
*
»Der Mittelfuß ist gebrochen?«
»Genauer gesagt die Knochen eins bis drei«, korrigierte Dr. Witt seine Kollegin Fee Norden am Telefon. »Ich schicke Ihnen die Aufnahmen rüber. Dann können Sie sich selbst ein Bild machen.«
»Danke.« Fee legte auf und ließ das Telefon zurück in die Kitteltasche gleiten. Sie stand in Lammers’ Büro und begutachtete den Unglücksort. »Ich möchte mal wissen, wie er das angestellt hat.«
Daniel stand zwischen Kiste und Schreibtisch.
Genau dort, wo Felicitas ihren Stellvertreter gefunden hatte. In Zeitlupentempo stellte er den Sturz nach. Fee stützte ihn dabei, so gut es ging. Am Ende lagen beide lachend auf dem Boden.
»Ein Glück, dass der gute Volker uns nicht sehen kann«, japste Felicitas. Sie stützte sich auf der Kiste auf und rappelte sich hoch. »Er würde mich bis ans Ende meiner Tage hassen.«
»Keine Sorge, das tut er ohnehin schon.« Daniel klopfte sich den Staub von der Hose. »Wenigstens wissen wir jetzt, dass er beim Rückwärtsfallen mit dem Fußrücken gegen die Schreibtischkante geknallt sein muss. Eine andere Erklärung gibt es nicht.«
Fee umrundete das Paket.
»Ich frage mich nur, wie dieses Ding dorthin gekommen ist. Ich habe es auf den Schreibtisch gestellt.«
»Sicher?«
»Ich leide noch nicht unter Alzheimer, falls du das denkst.« Sie musterte ihn aus schmalen Augen.
»Nicht sauer sein, Feelein.« Daniel streichelte ihr über die Wange. »Ich kümmere mich persönlich um unser Sorgenkind.«
»DAS willst du dir antun?«
»Habe ich eine Wahl?« Er küsste seine Frau, ehe sie das Zimmer verließen.
Fee sah ihm nach, wie er den Flur entlang Richtung Radiologie ging. Wie eine Friedensfahne wehte sein Kittel hinter ihm her. Der letzte Zipfel verschwand erst, als er schon um die Ecke gebogen war.
Dr. Norden suchte und fand den Kollegen in einem Behandlungszimmer der Orthopädie. Wie ein Platzregen trommelten Lammers‘ Finger auf der mit Plastik bezogenen Liege. Das Donnerwetter folgte auf den Fuß.
»Was wollen Sie denn hier? Ich warte auf den Kollegen Witt«, schnaubte Volker. Eine dreieckige Falte stand zwischen seinen Augen. Zwei grauschwarze Gewitterwolken hatten sich darüber zusammengebraut.
»Bis er Zeit für Sie hat, kann ich mir die Sache doch schon einmal ansehen.«
»Da gibt es nichts zu sehen.«
»Sie wissen doch selbst, dass Sie operiert werden müssen. Warum machen Sie sich und uns das Leben so schwer?«
Lammers verschränkte die Arme und starrte demonstrativ in die andere Richtung.
Wie seine kleinen Patienten!, ging es Daniel durch