Hans Leip

Die Blondjäger


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entgegnete er. „Weiter oben. Vor einer halben Stunde kam ein Afrikaner auf.“

      Sie schrie, unwillig, indianerhaft. Ihr Vater habe dann also entweder geflunkert oder keine Ahnung gehabt. Und die Beamten hier auch, die nichts könnten, als mit ihr wie mit einem lächerlichen Küken zu schäkern! Ob sie denn nicht ernsthaft genug aussehe. Sie werde sich eine Brille zulegen müssen. Sie sei zweiundzwanzig und ein Mammut an Erfahrung. Und deswegen nur habe sie hier herumgestanden, um den berühmten Ehrwürden Burn von Bord kommen zu sehen. Der sei nämlich auf Besuch bei den schwarzen Brüdern gewesen. Ja, mit dem ersten Transport der Schwarzen Sonne.

      Tamp fand, daß sie dichtbei lange nicht so niedlich aussehe wie aus der Entfernung. Sie hatte ein etwas spitzes Gesicht, wie ein tatsächliches Mäuschen, und eine bräunlichgelbe Haut, aber der Ausdruck war es, der machte es ganz und gar kindlich und einnehmend. Und jedenfalls war sie eine Dame. Sie trug einen kostbaren Schwarzfuchskragen. Ihr Vater hatte übrigens nicht farbig ausgesehen.

      Sie gingen durch den Zoll und auf die Straße.

      „Rasch! rasch!“ zwitscherte sie laut.

      Einen zufälligen Augenblick lang verstärkte sich draußen das Tuten großer Dampfer. Sie riß vor Aufregung an seinem Arm.

      Im gleichen Zuck fuhr ein geschlossenes Auto an ihnen vorbei, das in dem gewöhnlichen, heute allerdings besonders lebhaften Verkehr durch seine Schnittigkeit und vor allem durch zwei weiße, um das Kutschendach herumlaufende Streifen auffallen mußte.

      Die kleine Maklerstochter warf beide Arme zu Tamps Schulter hoch und klammerte sich fest.

      „Das war er!“ brachte sie mit einem Aufschrei hervor.

      „Hoho!“ sagte Tamp, von der Erregung des seltsamen Mädchens ohne viel Behagen angesteckt. In dem Wagen, hinter dem in Khakigelb gekleideten schwarzen Fahrer hatte ein Schwarzer in Pelzmantel und Seidenhut gesessen. Ein Weißer mit schwarzem Vollbart daneben.

      „Ja, das war er!“ sagte sie noch einmal, und das voller Andacht und fast verzückt. „Josua Burn war das! Der größte Prediger des Jahrhunderts! Und der neben ihm, das war Pjoff, unser Hausmeister.“ Ein Mann mit Vollbart! dachte Tamp. Er begriff ihre Begeisterung nicht. „Ob wir ihn auf der Fähre noch erreichen?“ erflammte sie plötzlich wieder und zog den Steuermann, der sich nie so schwerfällig vorgekommen war, kurzerhand mit sich fort. Aber es ging durchaus nicht sehr rasch, mitten in der von allen Seiten anstauenden Menge auf das Fährboot zu gelangen. Und dort wieder war es so gestopft voll, daß es ihnen nicht möglich war, trotz Tamps rücksichtsloser Schulter, vor dem andern Ufer in den Wagengang hinunter zu kommen. Der schwarze Wagen entwischte ihnen lautlos.

      Dafür jedoch — und Tamp empfand eine Erleichterung — trafen sie den Koch, der trübsinnig dastand und der verlassenen „Merryland“ nachpeilte, die da ziemlich unansehnlich hinter den Schuppen und größeren Dampfern versank.

      Tamp machte sich bemerkbar.

      „Dies ist die Tochter unseres Hafenmaklers“, sagte er, ein wenig unsicher betreffs des Tonfalls.

      „O weh!“ antwortete der Koch, und sein Gesicht wurde einen Strich heller. „Ihr habt unsere alte Dampfnudel gefrühstückt, und wir stehen da mit ausgepumptem Magen.“

      Sie lachte zuvorkommend, aber ihre Züge blieben auf einer anderen Gedankenstrecke stecken. Sie erwiderte: „Ich heiße Hishwa, Schwester Hishwa, und bin unschuldig daran.“ Nein, fügte sie, zu dem zurückkehrend, was ihre Seele bewegte, hinzu, sie habe keine Lust, hinter Burns Wagen herzutigern; er hätte sie taktvollerweise erkennen und mitnehmen sollen, sie, eine der besten Strahlen der Schwarzen Sonne.

      Sie sah flüchtig über die beiden Männer empor, die ohne rechte Ahnung ihr zuhörten.

      „Strahl? Das ist ein Titel bei uns. Zuerst ist man nur Funke“, erklärte sie sanft in das auflebende Drängeln, welches das nahende Ufer anzeigte.

      „Und Burn, das ist so eine Art Missionar, so einer mit Vollbart“, setzte Tamp die Erläuterung dem Koch gegenüber fort.

      „Burn?“ wiederholte sie erstaunt. „Dr. Burn ist ein Neger. Und der berühmteste Missionar und nicht nur so eine Art, und er ist bartlos. Und die Schwarze Sonne ist die wichtigste und schönste Afrikamission der ganzen Welt! Wir sind dort alle blond, wir Strahlen und Funken.“

      Sie blickte den Koch strafend an, als habe er den Fehler gemacht.

      „Und ich hab den Nigger für den Portier gehalten!“ murmelte Tamp betreten.

      Aber sie tat, als vernähme sie es nicht, lächelte ihn an und nickte: Es sei wirklich ein blendender Gedanke, ein bißchen zu frühstücken.

      Beide Männer schlugen aufatmend, wie mit einer Zunge, das Goldkorn vor, und sie mußten gestehen, ein anderes Lokal hatten sie ihr lebelang weder recht kennen noch schätzen gelernt.

      Hishwa schob in Hinsicht auf diese berüchtigte Hafenschenke begeistert ihre schmalen Arme links unter den harten Arm Tamps und rechts unter den feisten des Kochs, ungeachtet der Handtasche und der kleinen Flagge und trotz des Gedränges. Beiden Männern war die ungewöhnliche Verknüpfung ihrer Rangstufen nicht ganz behaglich. Aber die Dame ließ nicht locker. Und so betraten sie die Weststraße Manhattans, die große, von Gemüsekörben, Plakaten, Fahnentuch, Lastautos, feiernden Arbeitern, abgemusterten Matrosen und betrunkenen Rekruten brandende Hudsonkante Neuyorks.

      *

      Die Spiegel dieser Welt beweisen jedermann,

      daß links mit rechts vertauscht, an ihm nichts ändern kann.

      IV

      Hishwa Dulborts Eltern bewohnten eine nette Villa beim Botanischen Garten in Bronx, von Neuyorks innerer Stadt günstig in einer halben Stunde erreichbar. Es war eigentlich ein Landhaus, etwas unmodern, aber in dem alten vornehmen Kolonialstil gebaut, mit einer Säulenveranda, weißgrün gestrichener Holzverschalung und dunkelgrünen Fensterläden. Der Garten dabei war geringfügig. Aber Tennis- und Golfplätze lagen ganz in der Nähe. Und Hishwa hatte, solange ihr Bruder lebte, die halben Tage im Sattel verbracht und war durch Veranlagung und Tollkühnheit zu einer hübschen Fertigkeit im Umgange mit Pferden gediehen. Berry, ihr Bruder, drei Jahre älter als sie, ein blonder und großer Mensch, hatte es mit soldatischen Neigungen zu einem gutbezahlten Verwaltungsposten im Polizeidienst gebracht, ohne damit der Achtung seiner Freunde oder seinem eigenen Ehrgeiz zu genügen. Die begehrte Kadettenausbildung zu Westpoint und damit eine einwandfreie und aussichtsvolle militärische Laufbahn war ihm aus Gründen, die ihn zum Sieden bringen konnten, weil sein Blut sich keiner mütterlichen Vererbung teilhaftig fühlte, verschlossen geblieben. Er hatte früh einen versonnen zusammengebissenen Zug um den Mund und nahm jede Gelegenheit wahr, um sich in gefährliche Abenteuer einzulassen, beteiligte sich, ohne daß es sein Amt erforderte, an Verbrecherjagden, aber auch an Schlägereien und Gelagen, und übertraf seine Schwester in seiner Leidenschaft als Reiter, wenngleich nicht an Geschicklichkeit.

      So kam es unglücklicherweise, daß eines schönen Herbstmorgens, als beide in feurigem Wetteifer zugleich über das nicht einmal hohe, aber reichlich enge Gatter einer Viehweide setzen wollten, das Tier des Bruders durch einen im gleichen Augenblick vorbeistürmenden Ochsen erschreckte, mit den Hinterhufen anschlug und stürzte, den Reiter unter sich begrabend, der, durch einen Wirbelbruch wahrscheinlich fürs Leben am vernünftigen Gebrauch der Beine gehindert, seinem ihm nun gänzlich verpfuscht dünkenden Dasein schon wenige Wochen später ein freiwilliges Ende bereitete.

      Hishwa hatte sich danach auf der Columbia-Universität eintragen lassen und mit ziemlichem Eifer, aber ohne Ausdauer nacheinander medizinischen, geschichtlichen und philosophischen Fächern obgelegen. Da sie keine weiteren Geschwister besaß, begann sie ihre Alleinherrschaft daheim mit großer Selbstverständlichkeit und der jungen Generation gemäß ohne Hemmungen auszukosten, zumal sie zur Rechtfertigung des tragischen Geschickes ihres so sehr geliebten Bruders dem Elternhause eine dunkle Schuld beimaß.

      Eines Tages unterbreitete sie etwas Neues. Sie erklärte, sie wolle Missionarin werden Sie machte dabei einen rührend sanften, aber auch unerschütterlichen Eindruck,