Helle Stangerup

Prinzessin Christine


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flatterte am Großmast. Die Flotte stach in See und segelte nach Norden.

      Als eine der letzten Zuschauer an Land traf Maren ein. Sie war so übereilt von zu Hause losgelaufen, daß sie vergessen hatte, den Holzlöffel liegenzulassen. Und während sie mit dem Löffel in der Hand da stand, verlautete, daß Sigbrit ebenfalls mitfuhr. Einige behaupteten, man habe sie in einer der Kisten an Bord geschmuggelt. Als Sigbrits Name genannt wurde, hoben manche drohend die Faust. Sie gehöre auf den Scheiterhaufen, diese Hexe, sie gehöre dorthin, wo Didrik Slagheck und all die andern waren, die meinten, den König führen zu müssen. Aber der Zorn verebbte rasch, überstieg einfach ihre Kräfte. Schuld waren Sigbrit und die Adeligen und die hinterhältigen Schweden, doch das war jetzt zu spät, und wer glaubte schon daran, daß der König wie versprochen zurückkehrte? Ein paar, vielleicht viele, Kopenhagen mußte jedenfalls verteidigt werden. Sie wollten die Lübecker und die Holsteiner in Schach halten, und in drei, vier Monaten würde der König mit einem neuen Heer und der Hilfe des Kaisers wiederkommen.

      Aber während sie da stand und den Holzlöffel umklammerte, wußte Maren in ihrer einfachen Denkweise, daß es nicht so sein würde. Die Tränen liefen ihr über das Gesicht. Wenn die Königin, diese edle Frau, Christian treu blieb, konnte sie, Maren, das auch. Sie heulte so verzweifelt, heulte aus Angst, aber auch vor Kummer. Es war, als würde man seine Familie verlieren, und mittendrin fiel ihr ein, daß sie nun niemals Fräulein Christine sehen würde, dieses Mädchen, das etwas Besonderes sein sollte.

      Wie würde es der armen Prinzessin und Königin ergehen, und wie würde es ihr und Mads und den Kindern und allen anderen in Klædeboderne und der ganzen Stadt ergehen?

      Die Schiffe wurden kleiner, und eines nach dem anderen verschwanden die hellen Segel hinter der Landspitze oben bei Skovshoved.

      Die Leute blieben noch ein bißchen stehen, verdrossen und ratlos. Irgendwann gingen die Bürger Kopenhagens still nach Hause.

Niederlande

      2. Kapitel

      In den frühen Morgenstunden trieb ein dichter Winternebel nach Flandern hinein. Er kam vom Meer, wälzte sich über Grachten und Kanäle, überzog die Felder und breitete kurz nach dem Morgengrauen seinen kalten Schleier über Gent.

      Das hinderte die Einwohner der Stadt nicht daran, am frühen Nachmittag an den Straßen, die zur St. Pieters Kirche führten, Aufstellung zu nehmen. Es kündigte sich etwas an. Die Leute stampften mit den Füßen, um sich aufzuwärmen, man hörte unablässig das Husten der Schwindsüchtigen in der Menge, worüber die sich ärgerten, die sich die Wartezeit damit vertreiben wollten, Neuigkeiten, Meinungen und Tratsch auszutauschen. Über ganz Gent läuteten die Kirchenglocken. Von St. Baafs mächtigen Türmen, von der St. Jakobskirche, der St. Elisabeth Kirche, sogar von der kleinen Johannes-der-Täufer Kirche dröhnte es in den Nebel, der in Schichten zwischen den spitzen Giebeln der Häuserreihen lag und auf das grüne Wasser der Kanäle sank.

      Königin Elisabeth von Dänemark sollte begraben werden, jeden Augenblick war ein Aufzug zu erwarten, und die Ungeduld wuchs.

      Aber würde überhaupt etwas zu sehen sein? Wer sollte bezahlen? Der König von Dänemark besaß keinen ehrlichen Gulden. Wahrscheinlich aber hatte der Kaiser für einen anständigen Leichenzug gesorgt. Schließlich war die Tote seine Schwester, und er konnte es sich leisten.

      »Warum mußte sie auch diesen verrückten Barbaren heiraten«, rief ein Seemann und drängte sich in die vorderste Reihe.

      »Weil eine Prinzessin aus dem Hause Habsburg nur Könige heiraten darf, alles andere ist nicht fein genug«, erwiderte eine alte Frau hinter ihm und fügte hinzu: »Und die anderen Könige hatten schon ’ne Frau.«

      Das brachte den Seemann jedoch nicht zum Schweigen. Er erzählte von dem Land, in das Elisabeth geschickt worden war. Er war mit einer Ladung Salzheringen nach Helsingør gesegelt, das lag in einem der Reiche König Christians, und er wußte seltsame Dinge zu berichten. Die Leute in Dänemark könnten weder lesen noch schreiben, wüschen sich nie, im Bettstroh gebe es Mäuse- und Schlangennester, und man könne keine Versammlung nach acht Uhr morgens einberufen, denn dann seien alle so besoffen, daß man von keinem mehr eine vernünftige Antwort bekomme.

      Als er vom Suff sprach, grinsten die Leute, der Seemann hatte nämlich auch seine Schwierigkeiten, gerade auf den Beinen zu stehen.

      »Ist das etwa schön, in so ’nem Land Königin zu sein?« rief er, aber als er von dem vielen Geld erzählte, das Christian dem Kaiser und der Regentin und den deutschen Kurfürsten und den Kaufleuten von Lier schuldete, wollte niemand zuhören. Das wußten alle ohnehin. Und während der Seemann mit einem Selbstgespräch über die Stürme auf der Nordsee fortfuhr, diskutierte man eifrig, wie die Regentin diesen König Christian loswerden könne.

      Die Glocken läuteten, das Gerede ging weiter, aber nicht alle hatten sich aus Interesse an dem dänischen König unter die Menge gemischt: Das Diebesgesindel wußte, daß dort, wo sich viele versammelten, auch viel zu holen war. Einige waren noch Kinder, zerlumpte Bälger, denen der nagende Hunger einen scharfen Blick und flinke Finger verlieh.

      Die Bettler versuchten auf offenere Weise, sich anzueignen, was nicht ihnen gehörte. Einer von ihnen humpelte, die verkrüppelten Beine in Lumpen gewickelt. Er hielt einen Stock mit einem Papier in die Höhe, auf dem stand: »Gib eine milde Gabe zur Freude Gottes.« Ein junger Mann trat nach dem Bettler, der in den Rinnstein fiel, und die Leute lachten, aber er kam rasch wieder hoch.

      Einige standen nur da, hörten zu und schwiegen. Sie grübelten, ob die junge Königin wohl deshalb nur vierundzwanzig Jahre alt geworden war, weil sie so offen zu ihrem evangelischen Glauben gestanden hatte und deshalb ein so elendes Leben führen mußte. Während andere über den Bau des Rathauses und die Wollpreise der Engländer redeten, behielten diese Menschen ihre gefährlichen Meinungen für sich. Es saßen schon genug in Antwerpen und Brüssel im Gefängnis.

      Auf einmal verstummte das Reden, und alle reckten die Hälse.

      Man vernahm Hufgetrappel auf dem Kopfsteinpflaster, und aus dem Nebel zwischen den Häuserreihen tauchten die kaiserlichen Herolde auf. Beim Anblick der schönen Waffenröcke ging ein Raunen durch die Menge, und an Fackelträgern hatte man auch nicht gespart. Die Flammen erhellten den trüben Winternachmittag, und jeder sah, mit welcher Pracht eine Tochter des vornehmsten Fürstenhauses begraben wurde. Das Volk kam auf seine Kosten.

      Der Sarg wurde vorbeigetragen, und alle Blicke gingen rasch zu dem merkwürdigen Mann, der einmal über die Reiche des Nordens geherrscht hatte und geflohen war, obwohl die Flotte, das Heer und die Regierung der Hauptstadt in seiner Hand lagen.

      Der König von Dänemark ritt unmittelbar hinter dem Sarg. Er war sehr groß, ganz in Schwarz, und der Schein der Fackeln blitzte in dem Orden des Goldenen Vlieses, der von seiner Schulter hing. Wie auf Kommando beugten sich die Zuschauer vor, wollten etwas in seinem Gesicht lesen, fanden aber nichts. Sie sahen die kräftige Nase, den Vollbart, die dichten Augenbrauen. Sein Blick war in die Ferne gerichtet, als gingen ihn die Welt und ihre Kümmernisse nichts an.

      An der Seite des Königs ritt Prinz Hans, Erbe der Reiche, die sein Vater verloren hatte. Er war erst sieben Jahre, doch er saß sicher im Sattel. Beim Anblick des schönen Knaben und seiner hinter ihm folgenden zwei kleinen Schwestern erhob sich ein Flüstern in der Menge. Die armen Kinder, was sollte aus ihnen werden? In Fräulein Christines Augen standen Tränen, und unversehens vergaß man den merkwürdigen Mann, der einmal mächtig gewesen war, aber jetzt deutschen Kurfürsten und flämischen Kaufleuten Geld schuldete. Das Mädchen war so klein und sah so unglücklich aus.

      Dahinter folgte der Rest des Aufzuges, Adelige und Geistliche zu Pferd. Man zählte fünf Äbte und zahlreiche Mönche.

      Die Königin von Dänemark, Gemahlin Christian II., wurde umgeben von Vertretern der katholischen Kirche begraben.

      Chorgesang erklang aus Sint Pieter. Das Tageslicht schwand dahin. Der Sarg wurde hineingetragen, und das Diebesgesindel verzog sich in seine Schlupflöcher, um festzustellen, was der Tag gebracht hatte.

      Die Vorstellung war für die normalen Bürger zu Ende, und sie waren zufrieden.