Maria Czigler Bianca

Fürstenkrone Box 15 – Adelsroman


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Dienste doch allzusehr gewöhnt und wußten sie doch nicht, welcher Art Personal sie auf Rothenstein erwartete. Immerhin hielt Christina es nicht für gänzlich ausgeschlossen, daß man sie nicht gerade mit offenen Armen empfangen würde.

      »Was ist sonderbar?« fragte Christina ein wenig abwesend.

      Sie hatte am Abend zuvor noch einmal das große Album durchgesehen und die vielen Fotos von Rothenstein und seinen Bewohnern sehr aufmerksam betrachtet, ja, sich gewissermaßen jedes einzelne Gesicht und jedes einzelne Zimmer eingeprägt. Dann hatte sie stundenlang über einem alten Bauplan des gewaltigen Schlosses von Rothenstein gebrütet und war schließlich völlig übermüdet schlafen gegangen.

      »Daß ich mir meinen Großvater, den Fürsten Leopold von Rothenstein, so gar nicht vorstellen kann.«

      »Du hast ihn stets nur auf Bildern gesehen. Da ist es sehr schwer, sich von einem Menschen eine lebendige Vorstellung zu machen.«

      »Das mag wahr sein. Was war er für ein Mensch? Erzähle mir von ihm, Mama, bitte.«

      »Nun, er war ein sehr aufrechter Mann von großer Willensstärke. Seine hervorstechendsten Wesenszüge waren wohl sein unbändiger Stolz und sein übersteigertes Ehrgefühl. Eine Beleidigung vergaß er niemals. Seine Ehre war ihm heilig und bedeutete ihm mehr als alles andere auf der Welt. Im übrigen aber galt er als warmherziger und edler Charakter.«

      »Wie eigenartig du das sagst, Mama. Er galt… Es klingt, als hättest du deinen eigenen Vater gar nicht persönlich gekannt. «

      Christina schoß eine tiefe Röte in die Wangen, ihr erschrockener Blick traf sich mit dem mahnenden von Helene de Ravoux, die unbehaglich hin und her zu rutschen begann.

      »O nein«, sagte Christina da rasch. »Aber es ist für eine Tochter wohl immer schwer, den Vater objektiv zu beschreiben. Man greift unwillkürlich auf die Urteile der Umwelt zurück. Es geschieht ganz unbewußt und hat nichts zu bedeuten.«

      *

      Die Rothensteiner Wagen standen bereits zehn Minuten vor Eintreffen des Zuges am Bahnhof. Da man wußte, daß Christina mit einigem Gefolge kam, hatte man entsprechend vorgesorgt.

      Cäcilie war auf Rothenstein geblieben. Man hatte sich mit allem einigermaßen abgefunden. Am Bahnhof waren Graf Richard und der junge Graf Michael und warteten.

      Fauchend und prustend lief der Zug ein. Abteiltüren öffneten sich. Reisende stiegen aus, von Angehörigen mehr oder weniger stürmisch begrüßt.

      Richard und Michael standen auf dem Bahnsteig und schauten sich die Augen aus nach einer Dame, die dem Bild einer Französin entsprechen mochte, und einem halbwüchsigen Kind.

      Aber kein Kind entstieg dem Wagen Erster Klasse. Die Menschen verliefen sich bereits. Nur an einer Stelle des Bahnsteigs sammelte sich eine Menge Leute. Dort waren ein paar junge Damen aus einem anderen Abteil auf den Wagen der Ersten Klasse zugeeilt, begleitet von einem distinguiert aussehenden Herrn mit sonderbarem Haarschnitt. Koteletten, dachte Michael ein wenig amüsiert, wie altmodisch, und die Zwirnhandschuhe in ihrem schneeigen Weiß erinnern sehr an die Handschuhe des Butlers auf Rothenstein.

      Er sah zu, wie die vier ein paar Damen aus dem Wagen Erster Klasse halfen. Eine grauhaarige Dame erschien zuerst. Ihr folgte eine bezaubernd schöne Frau, deren Alter schwer zu schätzen war. Graziös kam sie die Stufen herunter, gekleidet in ein elegantes marineblaues Kostüm. Ihr Haar schimmerte selbst im Dämmerlicht des überdachten Bahnsteigs golden auf. Michaels Augen hingen wie gebannt an ihr.

      Dann aber schweifte sein Blick ab, gefesselt von einer Erscheinung, wie sie ihm noch nie begegnet war.

      Eine junge Dame war in der Wagentür aufgetaucht, zierlich und anmutig, gekleidet in helles Blau, das zu ihrem fast schwarzen Haar in wunderbarem Kontrast stand. Ihr pikantes Gesichtchen war von unbeschreiblicher Süße und Reinheit. Sie hielt einen Rauhhaardackel im Arm, der alle Anstrengungen machte, ihr zu entwischen.

      Michael wandte keinen Blick von der Erscheinung; er hatte seine Umwelt vollständig vergessen und wußte nicht mehr, weshalb er überhaupt hierhergekommen war.

      Statt dessen zermarterte er sich das Gehirn, wie er die Bekanntschaft dieses zauberhaften Wesens dort drüben machen konnte, ohne aufdringlich zu erscheinen; denn daß sie der ersten Gesellschaft angehörte, stand außer Zweifel.

      Durch seinen Vater wurde Michael unsanft aus seinen Träumen gerissen.

      »Christina scheint nicht gekommen zu sein«, bemerkte er. »Das ist mehr als unangenehm. Wir können hier nicht gut die nächsten Züge abwarten.«

      »Es wird uns kaum etwas anderes übrigbleiben, Vater«, meinte Michael ein wenig abwesend.

      Von der Menschengruppe drangen fremde Laute zu ihnen herüber.

      Ein wilder Verdacht durchzuckte Michael. Ein wenig atemlos fragte er: »Wie alt ist Prinzessin Angelika eigentlich, Vater?«

      Dieser hob die Schultern. »Was weiß ich? Wir erfuhren ja erst ziemlich spät von ihrer Existenz, woher soll ich da wissen, wann sie geboren ist.«

      Michael sah wieder zu den Menschen hinüber, die nun ein wenig unschlüssig dastanden und die Blicke suchend umherschweifen ließen. Gerade wollte er seinen Verdacht dem Vater gegenüber aussprechen, als Puck ihm zuvorkam. Es war ihm endlich gelungen, sich aus Angelikas Armen zu befreien, und nun schoß er mit Freudengekläff davon. Angelika eilte aufgeregt hinter ihm her.

      Amüsiert beobachtete Graf Michael die Szene. Es war, als spiele der kleine Hund mit dem jungen Mädchen. Stets flitzte er einige Meter weiter, wenn seine bezaubernde Verfolgerin glaubte, ihn endlich greifen zu können.

      Doch Puck gab nicht genügend acht. In seiner wilden Freude an der herrlichen Verfolgungsjagd kam er Michael zu nahe und wandte gleichzeitig den Kopf nach seiner Herrin.

      Und schon hatte Michael das nun wild zappelnde und kläffende Etwas beim Genick gepackt und hob es zu sich empor.

      Atemlos kam die junge Dame heran. Michael verneigte sich.

      »Hier haben Sie den Ausreißer zurück, gnädiges Fräulein«, sagte er lächelnd, »es war mir ein Vergnügen, Ihnen behilflich zu sein. Erlauben Sie mir, daß ich mich vorstelle: Michael von Seebach.«

      »Doch nicht Graf von Seebach?«

      »Eben der.«

      »Mein Gott! Und Mama glaubte schon, es sei niemand erschienen, um uns abzuholen. Ich bin Angelika de Roussillon.«

      »Es ist mir ein Vergnügen.«

      Michael wollte sich über die Hand Angelikas beugen, doch Puck machte seine Bemühungen zunichte, indem er auf Angelikas Armen wild zu zappeln begann, während er ein heftiges Knurren ausstieß und Michael sein durchaus nicht harmloses Gebiß präsentierte.

      »Aber Puck«, sagte Angelika erschrocken, »benimm dich! Ich weiß gar nicht, was er hat. Er ist sonst nicht so unfreundlich Fremden gegenüber. Das sind Sie ja noch für ihn.«

      »Wahrscheinlich nimmt er mir übel, daß ich ihn eingefangen habe. Er hätte Sie sicherlich noch gern über den ganzen Bahnsteig gehetzt.«

      »Und wie gern«, gab Angelika lachend zu. Sie sah jetzt zu Michael auf. Dabei mußte sie den Kopf ein wenig in den Nacken legen, denn er überragte sie um Haupteslänge.

      Was sie sah, gefiel ihr. Er schaute gut aus und war natürlich und unbefangen. Seine Gesichtsfarbe war frisch, wie sie nur Leuten zu eigen ist, die häufig an der freien Luft sind. Seine Augen blickten hell und klar, und Wärme lag in ihnen. Das Gesicht war schmal und männlich, und sein ein wenig vorstehendes Kinn zeugte von Energie.

      Das alles nahm Angelika keineswegs bewußt wahr, dazu fehlte ihr die Erfahrung und die Menschenkenntnis. Sie fand ihn nur ungemein sympathisch und glaubte sogleich, sich gut mit ihm zu verstehen.

      So lächelte sie also freundlich.

      Michael aber fiel in eben jenem Augenblick der Vater ein und weshalb sie hergekommen waren.

      Rasch