Will Berthold

Operation Führerhauptquartier


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mein Herr«, antwortete der Offizier betont arrogant, um das Gespräch zu ersticken.

      Fabian mußte beim Einsteigen auch von anderen erkannt worden sein. Es sprach sich wie ein Lauffeuer herum, daß der verwegene Globetrotter im Zug sei. Auffällig viele Mitreisende schoben sich über den Gang und starrten ihn an: Heldenverehrung als Zeitvertreib.

      Kettenhunde mit Stahlhelmen räumten den Offizierswaggon, trieben die Neugierigen hinaus und betraten das Abteil. »Die Marschpapiere!« sagte ihr Anführer. »Sie haben hier nichts zu suchen«, bellte er den Zivilisten an.

      »Meinen Sie?« erwiderte der Mann und präsentierte seinen Ausweis.

      »Entschuldigung«, entgegnete der Oberfeldwebel erschrokken und nahm Haltung an: »Bitte Herrn Oberst eine gute Fahrt wünschen zu dürfen.« Er dienerte sich aus dem Abteil, ohne den Hauptmann kontrolliert zu haben.

      »Schön, wenn man so berühmt ist, wie Sie, Herr Fabian«, sagte der Oberst lächelnd. »Offiziere wie Sie bräuchten wir mehr. Zigarette?« fragte er und kramte ein Päckchen aus der Tasche.

      Der Hauptmann sah sofort, daß es sich um »Player’s Navy Cut« handelte. Er griff ohne Eile, ohne Überraschung und ohne Gier nach dem Produkt made in Great Britain, gab sich Feuer, blies in langen Zügen den Rauch aus.

      »Wie kommen Sie an diese Glimmstengel, Herr Oberst?« fragte er beiläufig.

      »Beuteware«, entgegnete der Mann in Zivil. »Mögen Sie englische Zigaretten?«

      »Hab’ so viel geraucht, wie ich in Gefangenschaft bekommen konnte.«

      »Dann stecken Sie das Päckchen ein. Ich bevorzuge ohnedies Orienttabake.«

      »Danke verbindlichst, Herr Oberst.« Der Hauptmann wollte damit das Gespräch beenden, doch der Graue ließ ihn nicht aus.

      »Sie müssen sich jetzt einfach daran gewöhnen, daß sie als Prominenter im Blickpunkt der Öffentlichkeit stehen. Krieg braucht Reklame.« Der Oberst lächelte giftig. »Vor allem, wenn der Vormarsch vor Moskau liegenbleibt und die Soldaten bei fünfzig Grad minus türmen müssen.« Seine Augen suchten den Hauptmann. »Was würden Sie vorziehen, Fabian, verhungern oder erfrieren?«

      »Ihre Zigaretten sind ausgezeichnet, Herr Oberst«, erwiderte der Hauptmann, gähnte, ohne die Hand aus der Hosentasche zu nehmen, als wolle er durch Unhöflichkeit seine Mißbilligung ausdrücken. »Wer sind Sie eigentlich?« brach sein Groll durch.

      »Winter, mein Name, Winter wie Sommer, bloß umgedreht. Nie gehört – meinen Namen?«

      »Defätist?« fragte der Hauptmann scharf.

      »Das würde Sie doch am wenigsten stören, Fabian. Oder?«

      Der Hauptmann blieb lässig. Er kontrollierte seine Reaktionen. Sein Puls war ein wenig schneller als normal, den Adrenalinstoß konnte auch die härteste Ausbildung nicht abschaffen. »Soll ich Ihnen mal etwas über Sie erzählen?« Der hintergründige Zivilist wartete keine Antwort ab. »Sie fahren bis Freilassing. Wenn der Zug die Verspätung nicht aufholt, werden Sie gegen achtzehn Uhr dreißig dort ankommen. Vom Obersalzberg wird Ihnen ein Wagen entgegengeschickt, der Sie zum Berghof hinaufbringt. Vermutlich hält sich dort auch der Reichsmarschall auf.« Oberst Winters Mund platzte wie eine faule Schote. »Keine Feier ohne Meier.«

      »Wie witzig«, erwiderte Fabian spöttisch.

      »Der Führer überreicht Ihnen dann feierlich das Eichenlaub zum Ritterkreuz. Die Scheinwerfer der Wochenschau sind eingeschaltet. Die Kameras surren.« Winter beugte sich vor. Seine Augen wirkten dunkel und drohend wie die Mündung eines Zwillingslaufs. »Und dann knallen Sie Ihre Kugel zwischen des Führers magnetisch blaue Augen. Wie ich Sie einschätze, genau in die Mitte und keinen Millimeter daneben.«

      Fabian sah gleichgültig zum Fenster hinaus. Er sah die kahlen Äste, die trostlos ins Leere griffen, aber für eine Schlinge bestens geeignet waren. Er wußte, daß sie ihn nicht hängen würden. Zunächst ginge es wohl in den Folterkeller, um aus ihm herauszuprügeln, was er wußte. Dann verschwände er formlos, aber dazu würde er es nicht kommen lassen. Lieber erst diesen Oberst erschießen und dann sich selbst, notfalls hier im Abteil und im nächsten Moment.

      »Ich gehe davon aus«, sagte der Oberst, »daß Sie Ihren Verstand benutzen und nicht Ihre Pistole.« Er lehnte sich zurück, schlug die Beine übereinander, griff nach einer der bevorzugten Orientzigaretten. »Zunächst einmal«, er stieß kleine Rauchwölkchen aus, »ich bin nicht Ihr Feind, sondern Ihr Förderer.«

      »Sie sind vom Reichssicherheitshauptamt?« frage Fabian.

      »Was wissen Sie von der Prinz-Albrecht-Straße?«

      »Nicht mehr, als daß hier das ›Haus der Flieger‹ liegt«, erwiderte der Hauptmann. »Sie wissen schon, unser bevorzugter Treffpunkt in Berlin.«

      »Ich bin von der Abwehr«, sagte Winter.

      »Entschuldigen Sie, Herr Oberst«, versetzte Fabian mit dezentem Spott. »Ich verstehe nicht viel von diesen delikaten Unterschieden.«

      »Aber ich«, antwortete Winter und schlüpfte aus seinem grauen Anzug, aus seiner grauen Mittelmäßigkeit, aus seinen angegrauten Jahren. »Ich brauche Ihnen nicht zu erklären, daß ich hier eine Begegnung arrangiert habe, bei der ich Ihnen nichts verbaue.« Ein Lächeln lief ihm wie Säure über das Gesicht. »Bei der ich aber auch mich nicht belaste. Also: Abwehr. Berlin. Tirpitzufer. Ich bin ein enger Mitarbeiter von Admiral Canaris und am Ausgang Ihres – Ihres Abenteuers brennend interessiert.«

      »Nun muß ich Ihnen gestehen«, erwiderte der Hauptmann verstiegen, »daß ich mich nie in meinem Leben mit dem Phänomen Hellseherei befaßt habe.«

      Wiewohl ihm ein letzter Absturz drohte, hatter er noch immer die Hände in den Hosentaschen, bis zur Blasiertheit gleichgültig wirkend. Er wußte, daß der angebliche – oder tatsächliche – Oberst vom Fach war und daß die ratternden Räder und scheppernden Achsen es jedem Mikrophon unmöglich machten, das Gespräch zu belauschen.

      »Wir haben noch siebzehn Minuten Zeit«, sagte der Oberst. »In Rosenheim endet unser Zwiegespräch. Ich verlasse den Zug. Bis dahin sollten wir uns einig sein, sonst –« er wischte die Drohung gleich wieder weg. »Nicht zuletzt in Ihrem Interesse. Frage Nummer eins: Wer sind Sie?«

      »Hauptmann Martin Fabian, Gruppenkommandeur im Puma-Jagdgeschwader, neunundzwanzig Jahre und auf dem Weg zum Führer.«

      »Was sind Sie«, unterbrach ihn Winter, »Deutscher oder Ausländer?«

      »Das ist doch wohl absurd«, entgegnete der Mann in der blauen Fliegeruniform.

      »Ich hab’ Sie schon seit New York im Auge, und ich finde Ihre Idee blendend, sich in der Maske eines approbierten deutschen Kriegshelden an Hitler heranzupirschen. Ihr eigener Einfall? Ich habe keine Ahnung, wie Sie es schaffen, echter als echt zu wirken. Ich weiß auch noch nicht, wer Sie sind. Ich weiß nur mit Sicherheit: Hauptmann Fabian sind Sie nicht.«

      »Behalten Sie es bitte bei sich, Herr Oberst«, spottete der Hauptmann. »Ich will mir mal vorstellen, daß Sie meinen, was Sie sagen, Herr Oberst. Ich verstehe nur nicht, was Sie wollen.«

      »Ich könnte in einer Minute beweisen, daß Sie nicht Fabian sind.« Der Oberst lächelte wölfisch. »Wenn ich wollte beziehungsweise müßte.«

      »Und was wollen Sie wirklich?«

      »Ihnen helfen.«

      »Warum?«

      »Gleiche Interessen«, versetzte der Mann in Grau. »Und wenn zwei das gleiche tun, verdoppelt es die Erfolgschance.« Die Augen des Zivilisten schillerten wie schmelzendes Eis. »Ich biete Ihnen eine Möglichkeit, Ihre Reise ohne Wiederkehr vielleicht weniger desperat enden zu lassen.«

      »Wissen Sie auch schon, wie, Herr Oberst?« spottete Fabian.

      »Ja. Auch wir möchten diesen elenden Krieg beenden«, antwortete Winter. »Wir bringen unsere Leute in Hitlers unmittelbare Umgebung zwecks Kooperation, die noch zu besprechen wäre.«