Will Berthold

Operation Führerhauptquartier


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      In der Tür des rosenbewachsenen Gebäudes steht ein Bilderbuch-Butler mit dunklem Anzug und weißen Handschuhen. Die Landarbeiter liefern ihren Gefangenen bei ihm ab und bleiben abwartend stehen.

      »Wen darf ich seiner Lordschaft melden, Sir?« fragt der Butler höflich.

      »Beg pardon?« antwortet Fabian.

      Der Mann wiederholt seine Frage.

      »Hauptmann Fabian from the German Luftwaffe«, erwidert der Zwangsgast; er muß direkt vom Krieg in eine Narrenposse geraten sein.

      Er steht allein vor dem Portal. Seine drei Bewacher warten diskret im Hintergrund. Im Übereifer haben sie vergessen, ihm die Pistole abzunehmen, aber das würde wohl wenig an seiner Demobilisierung ändern.

      Der Butler kommt zurück: »Ich darf vorausgehen«, sagt er höflich und führt den ungebetenen Gast in den Bibliotheksraum im ersten Stock.

      »Ich bin hier der Hausherr«, stellt sich der XIII. Lord Markham vor, stocksteif, doch mit der Andeutung einer Verbeugung.

      »Hauptmann Fabian«, erwidert der Gefangene.

      »Tut mir leid, daß Sie unsere Insel nicht von einer freundlicheren Seite kennengelernt haben.« Der Zufallsgastgeber, seinem Aussehen nach weit über 70, wirkt rüstig und würdig. Schlohweiße Haare umrahmen ein zerklüftetes Gesicht mit hellen, klaren Augen.

      »Das«, antwortet Fabian, »liegt wohl in der Natur der Sache.« Sie lächeln beide. Lord Markham kann etwa soviel Deutsch wie Fabian Englisch, und so kommt der sprachlich alternierende Dialog kaum ins Stocken.

      »Sind Sie verletzt, Captain?«

      »Nicht weiter schlimm.«

      »Soll ich einen Arzt –«

      »Nein, danke.«

      »Würden Sie mir bitte Ihre Waffe geben?«

      Der PoW schnallt das Koppel ab und überreicht es dem Hausherrn. Dann serviert der Butler Tee. Ganz in der Nähe flammt der Kampflärm wieder auf. Es wird geschossen, getötet und gestorben, und einen Moment lang sorgt sich Fabian, daß eine deutsche Bombe hier einschlagen könnte, nicht, weil sie vermutlich ihn oder diesen freundlichen Kauz auslöschen würde, sondern weil ein so behaglich-stilvolles Haus einfach nicht zerstört werden sollte.

      »Ein heißer Sommer«, sagt Lord Markham und klingelt seinem Butler.

      »Anthony«, ordnet er an: »Stellen Sie mir eine Verbindung mit Cockfosters her. Versuchen Sie Major Gardner zu bekommen. Wenn er nicht da ist, dann seinen Vertreter.«

      »Sehr wohl, Mylord.«

      »Eigentlich müßte ich Sie jetzt der Home-Guard übergeben«, sagt der Gastgeber zu seinem Gefangenen. »Aber ich will Ihnen die Prozedur bei der Besenstielarmee ersparen, wiewohl ich einer ihrer Ehrenkommandeure bin.« Er lächelt fein.

      »Cockfosters ruft in wenigen Minuten zurück, Mylord«, meldete sich der Butler.

      Es bedarf keiner Erklärung, daß an einem Großkampftag wie heute alle Leitungen im R.A.F.-Intelligence-Center belegt sind. Sie sitzen und warten. Die Zeit ist stehengeblieben, wiewohl sie ihnen eine geschwätzige Tudor-Standuhr vorrechnet. Fabian spürt, wie ihn diese idyllisch-unwirkliche Atmosphäre zunehmend entwaffnet, und so ist er jetzt fast erleichtert, als ihm britisches Flak-Sperrfeuer und deutsche Teppichbombenwürfe wieder gewaltsam in eine Gegenwart zurückholen, auf die er sich versteht.

      Schließlich setzt sich die Telefonklingel gegen den abflauenden Gefechtslärm durch. Als der Aristokrat zurückkommt, wirkt er verändert, mehr gespannt als urban.

      »Sie sind Mr. Martin Fabian?« fragt er.

      Der PoW-Offizier nickt.

      »Dann sind Sie ein berühmter deutscher Jagdflieger.«

      »Sehr schmeichelhaft, Sir«, erwidert Fabian. »Schätzen Sie mich so ein wegen der« – er deutet auf sein Ritterkreuz im Kragenausschnitt: »Blechkrawatte?«

      »Ich lasse Ihnen einen kleinen Lunch richten«, umgeht Lord Markham eine Antwort: »Ich bitte Sie, sich noch eine Weile zu gedulden – Major Gardner möchte Sie persönlich in Empfang nehmen.« Mit einem schnellen Lächeln setzt er hinzu: »Das dürfte in jedem Fall bequemer für Sie sein.«

      »Besten Dank, Sir, aber wer bitte ist Major Gardner?«

      »Der Chef von Cockfosters.«

      »Und was ist Cockfosters, Mylord?«

      Lord Markham zögert kurz: »Eine Art Durchgangsstation für Offiziere Ihrer Waffengattung.« Er erhebt sich: »Sie entschuldigen mich jetzt bitte.«

      Er läßt seinen Zwangsgast allein, aber Fabian hat keinen Zweifel, daß er unauffällig bewacht wird und daß er für die vorzüglichen Snacks, die ihm der Butler serviert, irgendwie zu bezahlen hat.

      Nach 80 Minuten kommt der Gastgeber zurück, begleitet von einem Offizier, dessen Uniform aus der Saville Row stammen dürfte, Londons feudaler Gasse feiner Herrenschneider. Mehr aber als Einzelheiten der Garderobe – die Major Gardner den Spitznamen Dandy eingebracht haben – fällt Fabian das exzellente Deutsch des R.A.F.-Majors auf.

      »Glücklich gelandet, Herr Fabian?« fragt er bei der Begrüßung.

      »Unglücklich, Sir.«

      »Ihr Pech unser Glück«, versetzt der Major. »Ich kann Ihnen nicht verhehlen, daß ich mich außerordentlich über Ihre Ankunft freue.« Er betrachtet seinen Gefangenen, sieht in das gespannte Gesicht mit der ledrigen Haut: Die Ähnlichkeit dieses Deutschen mit Captain Dunhill ist so umwerfend, daß er sich gewaltsam darauf konzentrieren muß, Fabian nicht mit dem Namen des Engländers anzusprechen. »Wie fühlen Sie sich, Herr Fabian?«

      »Den Umständen entsprechend bestens«, erwiderte der PoW und grinst.

      »Das ›Puma‹-Geschwader hat heute nach Ihnen noch einen Piloten verloren«, berichtet der Major wie beiläufig: »Feldwebel Frommleben. Er hat nicht einmal eine Schramme abbekommen.«

      Fabian hält sich an die Belehrung über Verhalten im Feindesland und schweigt.

      »Sein Bezwinger ist übrigens direkt neben ihm auf einer Wiese gelandet«, sagt der Major lachend, »und hat sich von seinem Opfer den Luftsieg gleich schriftlich bestätigen lassen.«

      »Nicht sehr diszipliniert«, erwidert Fabian.

      »Ihre Tennisschuhe doch wohl auch nicht?« kontert Gardner.

      Sie lachen alle drei. Der Butler serviert Drinks. Sie nehmen sie im Stehen, mit dem Anstand und der Distanz dreier Gentlemen, die sich zufällig in einer feudalen Hotelhalle kennengelernt haben.

      »Würden Sie bitte mitkommen, Herr Fabian?« beendet der Offizier aus Cockfosters die Cocktailstunde.

      »Mir bleibt wohl keine andere Wahl«, entgegnet der abgeschossene Pilot und wendet sich höflich an seinen Gastgeber: »Thanks for your hospitality, Mylord«, sagt er zum Abschied, und Lord Markham wie Major Gardner stellen übereinstimmend fest, daß sich die Sitten bei den Hunnen inzwischen erheblich gebessert haben müssen.

      Sie gehen zwanglos nebeneinander her, erreichen den Ausgang. Der Major deutet auf seinen betagten Austin, öffnet den Wagenschlag und bedeutet Fabian, vorne links einzusteigen.

      »Keine Handschellen?« fragt der PoW belustigt.

      »Sie sind doch kein Dummkopf, Fabian«, erwidert der Major. »Übrigens ist Ihre Tür verriegelt.«

      Er will losfahren und sieht in diesem Moment den Butler, der Fabians Pistole bringt.

      Der Major wirft sie achtlos in den Fond, startet, bietet seinem Mitfahrer eine Zigarette an.

      »Beinahe hätte ich es vergessen«, behauptet er: »Ich soll Ihnen Grüße bestellen von zwei Ihrer Geschwaderkameraden, die sich schon seit längerer Zeit auf der Insel befinden.«

      Unbeteiligter,