Nataly von Eschstruth

Von Gottes Gnaden - Band I


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      Nataly von Eschstruth

      Von Gottes Gnaden

      I

      Roman

      Mit Illustrationen von A. Mandlick

      Saga

      Ebook-Kolophon

      Nataly von Eschstruth: Von Gottes Gnaden - Band I. © 1894 Nataly von Eschstruth. Alle Rechte der Ebookausgabe: © 2016 SAGA Egmont, an imprint of Lindhardt og Ringhof A/S Copenhagen 2016 All rights reserved.

      ISBN: 9788711469972

      1. Ebook-Auflage, 2016

      Format: EPUB 3.0

      Dieses Buch ist urheberrechtlich geschützt. Kopieren für andere als persönliche Nutzung ist nur nach Absprache mit Lindhardt und Ringhof und Autors nicht gestattet.

      SAGA Egmont www.saga-books.com - a part of Egmont, www.egmont.com.

      I.

      Es bildet ein Talent sich in der Stille ...

      Still, friedlich, einsam im Sonnenglanze liegt das Flachland. Der Himmel ruht wie eine mächtige, hochgewölbte Kuppel von Saphir über der Welt, die Sonne ist die strahlende Münsterrose tausend jubelnde Vöglein sind der Domchor, welcher Gottes Lieb’ und Lob dem weiten All verkündet.

      Ja, es ist Sonntag, — so feierlich und festlich geschmückt wie heute hat die Heide lange nicht ausgeschaut.

      Die Erika blüht wie ein zartroter Schleier liegt’s duftig über dem braunen Land; die Ginsterbüsche schwanken graziös im Lufthauche, wie zarte Reiherbüsche auf schönem Frauenhaupt, und sobald sich die Halme regen, funkeln Milliarden von Tautropfen, gleich köstlichstem Geschmeide, soweit das Auge blickt!

      Die Gegend ist weder interessant, noch schön oder wechselreich, — verwöhnte Menschen finden sie sogar trostlos und begreifen es nicht, wie man hier Jahr aus, Jahr ein leben kann. Die aber, welche hier geboren sind oder welche sich aus der lauten, leichtsinnigen Welt voll Undank, Falsch und Treulosigkeit geflüchtet haben, um hier zu vergessen, dass sie im neunzehnten Jahrhundert leben, sie schütteln die Köpfe über jene Blinden, deren Hasten und Treiben viel zu nervös und überreizt ist, um die Schönheit des Friedens noch begreifen und würdigen zu können!

      Die Sonntagsruhe, welche draussen in dem Jahrmarktsgewühl der Städte, alle acht Tage einmal, scheu und zaghaft anklopft, welche nur in verhängten Schaufenstern ihr mattes Bild spiegelt und schnell verjagt wird von dem wüsten Lärm der Schenken und Vergnügungslokale, — — hier wohnt sie ständig! Hier hat sie ihren Tempel errichtet, hier wogt ihr Odem segnend durch die klare Luft, welche noch keine qualmende Fabrikesse mit den Bacillen des Zeitgeistes verseuchte. —

      Der ganze Charakter der Landschaft ist Ruhe. Die Heide beherrscht sie, — kein Acker, kein Feld gräbt die Furchen des Fleisses durch sie hin, nur die Biene allein arbeitet in rastloser Emsigkeit, sammelt goldene Schätze aus den Kelchen der Heideblümlein und trägt sie zu Hauf in die Körbe des Imkers. Wer bemerkt es und wen stört es? — Leise, ganz leise surrt und summt es in der schwülen Sommerluft, nur die Blumenstengel nicken und wiegen sich, wenn die kleine Sammlerin trunken an der Dolde hängt, nur wie Goldfunken stiebt es durch den Sonnenschein, wenn die tausend Flügel sich regen. —

      Alles andere Leben der Heide pflegt behaglich der Sonntagsruhe. —

      Regungslos sonnt sich die harmlose Natter im Sande, Eidechsen huschen hervor und lassen es sich im warmen Lichte wohl sein und die Kaninchen blinzeln schlaftrunken durch Halm und Rispe.

      Der dunkle Strich am Horizont ist Nadelwald. Der Himmel hinter ihm trägt schwefelgelbe Färbung, so leuchtend und grell, dass es aussieht, als habe man die schwarzen Kiefernspitzen auf Goldpapier geklebt. —

      Dort wirbeln auch feine, zartblaue Dampfwölkchen in die Höhe, und tief herabhängende Strohdächer heben sich wie grosse Ameisenhügel von der Erde ab. —

      Ein Dorf am Saum der Heide, — der Übergang der Einsamkeit zu Welt und Leben.

      Dort regen sich Menschenhände, dort beginnt der Kampf ums Dasein, dort ringt die Genügsamkeit dem ärmlichen Boden das tägliche Brot ab. —

      Nur wenige Häuser sind’s. Wie ein Schwarm scheuer Küchlein drängen sie sich um die Glucke, die plumpe, schmucklose Kirche inmitten des Friedhofs. Sie trägt keinen Turm, dazu braust der Sturm allzu verderblich von der See herüber; die Mauern sind stumpf und sonder Zierde aufgeführt wie ein Steinwürfel, in welchen man Bogenfenster eingelassen, hoch und schmal, vom Erdboden bis unter das Dach. Ein niedriger Glockenstuhl trägt das Kreuz, und rechts und links von der Thür stützen Säulen ein Dach, welches den schlichten Steinfiguren der Apostel ein Schutz gegen die Unbill des Wetters sein soll. —

      Der Kirchhof ist so schlicht und prunklos, wie der Sinn derer es gewesen, die auf ihm ihr letztes Kämmerlein bezogen. —

      Erlen und Holderbüsche, ein paar verkümmerte Syringensträucher und wilde Rosen fristen ein kärgliches Dasein im Sande. — Schwarze Kreuze wachen über den Grashügeln und nur dicht an der Kirchmauer leuchtet ein weisses Marmormonument in sauber gepflegtem Gärtchen. Dort ist das Familiengrab der Gutsherrschaft, und unter dem segnenden Christus schläft als Erster, der darein gebettet, der alte Oberst, welcher seinerzeit den „Heidehof“ ausbauen liess. —

      Der Heidehof ist ein bescheidenes Gutshaus, aber die Bauern sind nicht wenig stolz darauf und nennen es „das Schloss.“ — Für ihre Begriffe ist es freilich ein gar prachtvolles Anwesen, es ist aus massiven Steinmauern gefügt, trägt ein Schindeldach und grosse, helle Fenster, hinter welchen schneeweisse Mullgardinen so festlich leuchten, als feiere man alle Tage Hochzeit und Kindtaufe dahinter!

      Gegen die armseligen Lehmhütten, deren Strohdächer beinahe bis auf die Erde niederhängen, sticht es freilich sehr schmuck ab. Die Heidebauern haben sich auch beinahe die Augen aus dem Kopf geguckt, als es dermalen erbaut wurde, und Vater Claasen hat recht prophezeit, als er nach langem Schweigen endlich die Thonpfeife aus dem linken Mundwinkel in den rechten schob, und sprach: „Dat möt ’n närschen Mann sin, der dat Hus opricht. — Riek möt ’r sin, denn so’n Kram talt he nich mit Musdreck, — un’ rechtsaffen möt he sin, denn he geiht nich op Lug un Schien rut, un hät sik sin lüttes Hus onner der Ird ok glieksen bi de Kirch torecht butteln laten, aber’n Quaskopp möt he doch sin, — worüm will’n rieker Mann sik alleen un verlaten hier onner de Imker setten?“ —

      Die andern nickten und schwiegen, sie sprachen niemals viel und Vater Claasens Rede war die längste gewesen, die man nächst denen des Herrn Pfarrers in Ellerndörp gehört.

      Anfänglich sah man nicht viel von dem neuen Gutsherrn. Er kam von Zeit zu Zeit mit der Post herausgefahren, um den Bau des Hauses zu besichtigen, und die einzigen Dorfbewohner, welche ihm alsdann im Verkehr näher traten, war Peter Hagen, welchen er als Gärtner gemietet und dessen Frau, Modder Dörten, welche späterhin im Hause die Stelle der Wirtschafterin bekleiden sollte.

      Mit ihnen schritt der Oberst durch die neuen Gartenanlagen, in seiner kurzen, etwas militärisch rauhen Weise anordnend und befehlend, ohne jedes überflüssige Wort, — auf den ersten Blick als Sonderling zu erkennen.

      Er war ein grosser Herr, hager und verschrumpft, mit zahllosen Falten und Fältchen in dem lederfarbenen Gesicht. Ein grauer Schnurrbart sträubte sich über der Oberlippe, die Nase war scharf gebogen, die Augen blitzten ein Gemisch von Ingrimm und Erbitterung, und wenn der alte Herr seiner Gewohnheit gemäss mit der Hand nervös durch die spärlichen Haare fuhr, hob sich ein Krakehlschopf über der hohen Stirn, welcher ihm vollends ein kampfliches und drohendes Ansehen gab. —

      Oberst Koltitz war allem Anschein nach ein menschenscheuer und menschenfeindlicher Mann, Krankheit und Nervosität standen ihm im Gesicht geschrieben, und als er mit hastigen Schritten, den Kopf vorgeschoben, die Hände auf dem Rücken, die ersten Male die Dorfstrasse entlang schritt, ohne rechts und links zu blicken, da nickten die Heidebauern bedenklich vor sich hin und flüsterten einander zu: „De Kierl is all dösig