braver Kerl — habe die Wahrheit gesagt und nicht überlegt, ob’s vorteilhaft sei oder nicht. — Nun gar heute! Hatte ja meine Sache ausgezeichnet gemacht, hatte vor aller Welt gezeigt, was ich konnte, — wie sollte es mir nun noch fehlen! Als wir ins Quartier zurückritten, überlegte ich mir, welches Regiment man mir geben werde. Das liebe, alte, in welchem ich mir vor Metz das eiserne Kreuz erkämpfte, wurde frei; sicher bekam ich es nun als Kommandeur — und dieser Gedanke ... Teufel ja — ’s war immer mein höchster Wunsch gewesen — der machte mich wie besoffen vor Freude! — Wir lagen in einem Schloss, zusammen mit dem Höchstkommandierenden und seinem Stab. Das Diner war gut, der Sekt floss in Strömen ... und ich — in meiner Aufregung — ich that, was ich jahrelang vermieden hatte, ich begoss mir gründlich die Nase. — Da kam’s. Am andern Tag lag ich, rasend vor Schmerz — hilflos und jammervoll wie ein räudiger Hund. — Narrheit, kein Mensch ist gefeit gegen solch eine verdammte Krankheit, — wäre vorüber gegangen wie alle andern Anfälle auch, — aber ... nun war’s an der grossen Glocke ... und wenn für die Rangliste das Schlachtefest hereinbricht, wenn erst der Stuhl mit der weissen Schürze draussen hängt, dann kommt alles zur Strecke, was Ärgernis gibt.“ —
Der Sprecher liess das Haupt tief zur Brust sinken, das hagere Gesicht sah erschreckend aus unter den Seelenqualen, welche es spiegelte. — „Vierzehn Tage später — — hatte ich meinen Abschied im Haus.“ — — — Einen Augenblick herrschte tiefe Stille. Die Bauern von Ellerndörp konnten es wohl nicht recht begreifen und verstehen, warum der alte kranke Mann so gewaltig nach einem Regiment gestrebt, — er war doch reich, konnte sich ein Gut kaufen und ein Haus bauen, — er hätte sollen zufrieden sein, die Plagerei endlich los zu werden ... aber ... es sieht eben anders in einem Herrenkopfe wie unter einem Bauernschädel aus. Sie empfanden es instinktiv, dass dem Obersten ein herbes Leid widerfahren und das ehrten sie. Stumm sass die kleine Runde am Schenktisch. Nur ein ernsthaftes Nicken mit dem Kopf, mächtig gepaffte Dampfwolken und ein Schlurren mit den Holzschuhen waren die äusseren Anzeichen ihrer Teilnahme.
Endlich kraute sich der Schulz in dem blonden Haar. „Nu laten’s man gaud sin, Herr, dat sin olle Kamellen, die vergeten’s bal, wenn’s von dat infamigte Snack nix mehr seihn un hüren!“
Koltitz wischte mit dem Taschentuch über Stirn und Kopf. Der Zug krankhafter Erbitterung trat stärker wie je in dem faltigen Gesicht hervor. Er lachte herb auf: „Ja, ja! vergessen! wenn ich von der ganzen Welt nichts mehr sehe und höre! Darum komme ich ja zu euch, Kinder! Hier, in eurer weltlichen Einsamkeit, will ich die Wunde ausbluten lassen, — hier sitzt sie! hier in der Brust, — ah — und das schmerzt tausendmal mehr wie die französische Kugel! ... Die Löcher, welche deutscher Undank in Herz und Seele reisst, die heilen und vernarben nicht, — nie, — niemals.“
Ein Aufstöhnen rang sich aus der Brust des Sprechers, dann hob er jäh den Kopf und sein Blick blitzte voll leidenschaftlichen Hasses durch das niedere Fenster, über die stille, sonnegoldene Ebene hinaus. „Hier ist’s am Ende der Welt, weiter hinaus konnte ich nicht, das Meer setzt die Grenze. Bis hierher bin ich vor den Menschen gelaufen, wie ein Paria, wie ein Geächteter, dem es auf der Stirn steht, dass man dem invaliden, abständigen Kerl kein Regiment geben konnte! — Bah, vielleicht erzählt man sich auch: Der Alte war ja ein zu dummes Luder — taugte nichts, drum hat man ihn weggejagt!“
„Nee, nee, Herr, so wat seggt keen Minschenseel’ nich! —
„Und warum nicht! Heute „Hosianna“ und morgen „Steinigt ihn!“ — wer den Rock ausgezogen hat, ist nur noch eine Vogelscheuche, mit welcher selbst die Spatzen auf dem Dach Schindluder treiben. — Will ihnen aber keine Gelegenheit dazu geben. Hier gefällt es mir, Kinder, ich bleibe bei euch. Bin ein guter, verträglicher Kerl, der keinem Menschen was in den Weg legt, nur die Uniformen machen mich rasend! Ich kann keine Uniform mehr sehen! ’s ist wie ein Stich durchs Hirn und lässt mich toll werden!“ —
Und Koltitz blickte so wild um sich, als fürchte er sich, solch eine verhasste Uniform möchte ihm auch hier wie ein Unglückshase über den Weg laufen!
„Nee, Herr, ok nich! — Soldatens hevven wi nich in Dorpe. De swart Lening ihr Hinnrich deint all in Hamburg, awerst he kümmt nich als Urlauber, he hätt keen Fenning op Reisen tau gahn!“
Wieder eine kurze Stille, der Oberst schien weit ab mit seinen Gedanken und die Bauern gafften schweigsam vor sich hin, wie Wiederkäuer, welche die ungewohnt viele geistige Nahrung, die man ihnen aufgetischt, erst verdauen müssen.
Endlich räusperte sich Peter Claasen. Er hatte die Empfindung, den alten Mann erst auf bessere Gedanken bringen zu müssen, ehe er in die gelbe Postschaise zurückstieg.
„Is ’n smuckes Hus, wat he but, Herr, rinklich grot förn einsamten ollen Mann wie he is.“ —
Koltitz schüttelte den Kopf. „Ich bin nicht einsam, ich habe Frau und Kind.“ —
„All Dunnershagel!“ — Die Überraschung der kleinen Tafelrunde war so perfekt, dass dem Schulzen, ohne dass er’s wollte, der despektierliche Ausdruck entfuhr. Und dann starrten sich alle sprachlos an und wussten nicht, wie sie diese Neuigkeit schnell genug in sich verarbeiten sollten. Das Gerücht hatte den Obersten als alten Junggesellen verschrieen, man hatte es im Dorf als Thatsache genommen und sich damit abgefunden; nun kam’s wie ein Wirbelwind und riss den ganzen, mühseligen Aufbau Ellerndörper Phantasie wieder zusammen.
Jochen fasste sich zuerst. „Mit Respekt tau fragen, Herr, will de gnä’ Fru ok hier rut, an’s Enne der Welt komm’?“—
Koltitz sah plötzlich vergnügt aus. „Das versteht sich, Kinnings! Meine Frau und meine Tochter werden mich doch nicht allein hier sitzen lassen? Sind, Gott sei Dank beide sehr raisonnabele Frauenzimmer, pfeifen auch den Teufel auf die ganze miserable Welt! Aber gut sind sie, gut wie die lieben Engel im Himmel. Meine Alte war vielleicht zu gut zu mir, hat niemals den Pantoffel geschwungen — und das taugt auch nichts. Einem Wesen auf der Welt muss der Mann sich fügen können, in Liebe und Freundschaft und mit aller Vernunft! — Wenn einer überall nur das Kommandieren gewohnt ist, wenn er im Hause ebenso befiehlt wie in der Kaserne, dann wird er ein Eisenfresser, ein Dickkopf, der dann überall im Leben mit dem Kopf durch die Wand will ... Taugt nichts, taugt nichts. — Aber gut werdet ihr’s bei Mutterchen haben, o und erst die Erika! ja, wenn ich die beiden Frauensleute nicht gehabt hätte! — das Mädel hat mich am besten wieder zur Raison gebracht. — Gott lohn’s ihr und behüte sie vor einem Soldaten, soll nie eine Offiziersfrau werden, mein Lütting, wär’ schade drum.“ —
„Dat gnä’ Frölen is woll noch siehr jung?“ —
Koltitz nickte und griff in die Brusttasche. Er zog eine kleine rotlederne Tasche hervor und klappte sie auf. „Hier! seht’s euch selber an, ’s ist die Erika!“
Wunderlich, die Bauern erkannten den Sprecher kaum wieder. Rührende Zärtlichkeit strahlte auf dem runzligen Gesicht, die scharfen, hasserfüllten Augen leuchteten so weich, als ginge nur ein einziger, grosser Strom von Glück, Liebe und Vaterstolz durch sie hin. Der Schulze nahm die Photographie und hielt sie weit ab von den Augen. „Deiwel ja! Dat is ’n smucket Göhr!“ nickte er voll höchster Anerkennung.
„Un’ wat’n Zopp!!“ staunte Jochen.
„Wie ’n lütten Druvappel!“ stimmte sein Nachbar bei.
„Un Knoken hätt’ se! De arbeit för twee!“
Von Hand zu Hand ging das Bildchen und Jöschen wischte es zuvor an der Hose ab, um noch besser zu erkennen. Alle waren eitel Anerkennung.
Auch der Oberst blickte zum Schluss lange darauf nieder, in das runde, liebliche Gesicht mit den grossen Blauaugen. Die schauten ganz absonderlich drein, so seelenvoll und sinnig, als seien die Gedanken in dem Köpfchen den Jahren und dem stolzen Backfischzopf, welcher es schmückte, weit vorausgewachsen.
„Un siehr kluk is de lütte Dirn woll ok?“ fragte der Schulze nachdenklich.
„Mächtig klug! Hat Mutterwitz und helle Augen! Die schaut nicht blind um sich, und doch sieht ihr reines, ideales Gemüt alles nur gut und veredelt. Ist Zeit, dass sie hier heraus kommt,