Nataly von Eschstruth

Von Gottes Gnaden - Band I


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erzählte er Erika, dass er eine Menge frischer Hasenfährten entdeckt habe und morgen für einen Sonntagsbraten sorgen werde, auch treibe sich ein Flug Feldtauben um die Kornmiethen herum, unter denen er aufräumen wolle.

      „Max, schiess’ nicht! ich bin die weisse Taube!“ hatte sie lachend erwidert, aber trotzdem eifrige Pläne gemacht, wie die Jagdbeute als höchst delikates Fricassee verarbeitet werden solle! —

      Die jungen Leute verkehrten äusserst harmlos und heiter zusammen, mit einer Vertraulichkeit, wie sie zwischen Bruder und Schwester herrscht. Wigands Blick weilte voll warmer Herzlichkeit auf dem anmutigen Bäschen und in Erikas Wesen drückte sich die Achtung vor seiner Vortrefflichkeit und die Dankbarkeit aus, welche die ganze Familie Koltitz dem Manne zollte, der Ellerndörp in so ausgezeichneter Weise verwaltete.

      Die Hagelkörner prasselten gegen das Fenster und der Sturm pfiff um den Giebel.

      „Tolles Wetter! Wohl dem, der hinter dem warmen Ofen sitzt“, schmunzelte der Oberst, sich die Hände reibend, gleicherzeit horchte er hoch auf. Die Klingel der Hausthür rasselte, Wodan meldete mit durchdringendem Organ irgend etwas Aussergewöhnliches; Modder Dörtens und eine fremde Stimme wurden laut. Die Augen des alten Herrn wurden starr, die finstere Falte, welche sich zwischen die Brauen senkte, das nervöse Zittern der Nasenflügel prophezeiten die krankhafte Erregung, in welche ihn alles versetzte, was nicht auf dem tagtäglichen Programm des Hauses stand.

      „Es wird wohl einer von den Knechten sein. Gewiss will er sich bei Wigand noch irgend welchen Befehl holen“, sagte Erika gleichmütig, aber sie wechselte einen schnellen Blick mit dem Vetter, dessen Mahnung derselbe auch sofort verstand und sich hastig erhob.

      Zu spät. Schon stand Liesing in der Thür und meldete in sichtbarer Erregung über den absonderlichen Fall, dass der Briefträger da sei und absolut den Herrn selber sprechen wolle.

      Die Hand des Obersten zitterte, dass der Kaffeelöffel, welchen er hielt, gegen die Tasse klirrte. Die braungelbe Färbung seines Gesichtes kündete Sturm. „Himmelschockbombenelement, werft den verfluchten Kerl zum Haus hinaus, ich will keine Briefe, ich verlange keine Briefe — ich schiesse auf jeden, der es wagt, hier meinen Frieden zu stören!“

      „Aber Maus, sei doch nicht so niedlich, es ist ja vielleicht ein Geldbrief“, ängstigte sich Frau Jettchen. „Der Brief ist an den Herrn Obersten gerichtet, Liesing?“

      „Nee, der Warnke seggt, ’s is för’n Baron.“

      „Ah, also für mich?“

      „Siehst du, Väterchen, er will ja nur zu Wigand.“ — Erika schlang beide Arme um den aufgeregten alten Herrn und zog ihn sanft auf den Stuhl zurück.

      „Wigand, Junge, willst du etwa solch Teufelszeug von Papier und Tinte annehmen?“ fuhr Koltitz auf.

      „Gewiss, lieber Onkel. Der Brief kann ja äusserst wichtige Nachrichten enthalten.“

      Die ruhige Bestimmtheit des Sprechers wirkte.

      „In Gottes Namen, hole ihn dir, mein Junge, ich alter Narr vergesse immer, dass du noch keine Tonsur auf dem Kopfe trägst.“ Er stützte die Stirn auf die Hand und starrte vor sich hin, aber er schaute doch jählings auf, als Wigand nach einer Minute zurückkam, eilig an den Schreibtisch trat und einen Postschein unterzeichnete.

      „Eingeschriebener Brief?“

      „Ja, lieber Onkel.“

      „Hm.“ Man sah es dem runzligen Gesicht an, dass der alte Herr begann, neugierig zu werden. „Der Kerl soll in die Küche gehen und sich wärmen, gebt ihm einen Schnaps und was zu essen.“

      „Gewiss, Papachen, ich will selber dafür sorgen.“ Erika sprang mit kaum unterdrücktem Jubel auf und eilte hinaus. Ihr lustiges Lachen und eine sehr eifrige Unterhaltung mit Warnke schallten in das Zimmer zurück.

      „Nun lässt sie sich natürlich wieder tausenderlei Neuigkeiten von dem verfluchten Kerl erzählen“, grollte der Oberst.

      „O ja“, nickte Frau Henriette gleichmütig, „erzählen wird er schon können. Es sollen ja kolossale Veränderungen in der Welt vor sich gegangen sein — Bismarck sei thatsächlich von seinem Amte zurückgetreten —“

      Koltitz fuhr jäh empor, stierte seine Frau an, wie ein Gespenst, und wiederholte langsam: „Bismarck? der alte, eiserne Bismarck ... auch beim alten Eisen? Das ist ja Unsinn, undenkbar, Jettchen, ganz unmöglich.“

      „Es ist eine Thatsache, Väterchen. Warnke wird wohl Zeitungen bei sich haben, wenn es dich interessiert, wirf einen Blick hinein und überzeuge dich.“

      Das Haupt des pensionierten Offiziers war tief, tief zur Brust gesunken, die Schatten um seine Augen erweiterten sich. Einen Moment sass er regungslos, dann griff er mit beinahe heftiger Bewegung nach der Schelle und setzte sie stürmisch in Bewegung. „Warnke soll in mein Zimmer kommen, Liesing, bringt ihm das Essen dorthin“, befahl er kurz, erhob sich und schritt, ohne rechts und links zu blicken, durch die Seitenthür.

      „Wigand, Wigand, hast du gehört? Er wird eine Zeitung lesen und alles erfahren!“ rief Frau Koltitz erregt und verschlang die Hände krampfhaft im Schoss.

      Herr von Landen blickte von seinem Brief auf. „Es ist ein Segen, Tantchen. Gott sei Dank haben wir nun wenigstens eine Tatze des Bären aus der Höhle gelockt.“

      „Wenn es nur gut ausschlägt, wenn er sich nicht so furchtbar aufregt! Jede Alteration ist ja Gift für ihn!“

      Erika trat hastig ein. „Mama, ist es kein Irrtum, Warnke soll in Vaters Zimmer kommen?“

      Frau Koltitz wandte sich ihr lebhaft zu. „Ach, Kind, mir ist unbeschreiblich bang, wie es ausfallen wird; er wird über Bismarck lesen!“

      „Gott sei Dank!“

      Das junge Mädchen setzte sich neben die Mutter nieder und zog zwei Briefe aus der Tasche. „Hier, Mutting, von der Generalin von Marburg und der Frau Oberstleutnant! Warnke hat sie heute in der Küche abgegeben, weil er nun doch einmal her musste.“

      Frau Henriette blickte erfreut auf die Adressen nieder. „Wie lieb und freundlich von den Damen. Sie halten treue Freundschaft und nehmen so herzlichen Anteil an Väterchens Ergehen. Könnte Papa nur ein einziges Mal solch einen Brief lesen, er würde sich überzeugen, mit wieviel Zuneigung man im Regiment unserer gedenkt.“

      Wigand trat näher. „Es würde ihn nicht bekehren, Tantchen. Sein Menschenhass ist krankhaft und liegt wohl in der Natur seines Leidens; fixe Ideen sind unheilbar. Wir alle sehen es mit Angst und Sorge, wie krank er ist, nur er selber will es nicht zugeben und behauptet, kerngesund zu sein.“

      „Das ist ja an dem ganzen Elend schuld, Wigand. Ich versichere dir, dass Fritz effektiv nicht mehr auf dem Pferde sitzen konnte, dass es ihm unmöglich war, noch Dienst zu thun, und dennoch wollte er es nicht zugeben, dennoch nahm er es als grösste Ungerechtigkeit, als bitterste Kränkung auf, dass man ihm endlich den Abschied gab, weil er freiwillig nicht gehen wollte. Ach, das war eine furchtbare Zeit, den krankhaft überreizten Mann über diesen Schlag hinauszubringen, sein Hass, sein Ingrimm sind durchaus ungerechtfertigt, aber wehe jedem, der ihn davon überzeugen will. Hörst du nebenan? Jetzt erzählt er dem wildfremden Mann, dem Landbriefträger, die Geschichte seines Abschieds. Mit wahrer Wollust verbeisst er sich nun wieder in seinen Weltschmerz, voll Genugthuung, dass ein Mensch ihm zustimmt. Wer hätte so etwas früher für möglich gehalten.“

      „Er ist krank, Tantchen; das erklärt alles.“

      Frau Koltitz seufzte tief auf und Erika blickte ernst und nachdenklich auf den Teppich vor sich nieder.

      Wigands Blick haftete auf ihrem Antlitz und es lag plötzlich ein wunderlicher Ausdruck in seinem Auge. Ein Gemisch von Spannung und Sorge, ein ängstliches Forschen, als wolle er in ihren tiefsten Gedanken lesen.

      „Es ist euch Damen wohl sehr schwer geworden, euch hier in dieser Einsamkeit zu vergraben?“

      Das junge Mädchen verharrte regungslos, Frau Koltitz aber schüttelte