Falte schon glätten!“
Erika hob erst jetzt das Köpfchen von ihrer Arbeit und lächelte wunderlich vor sich hin, hastig schob Wigand ihr das Bildchen zu, als wolle er sie durch diese stumme Geste bitten, weitere Fürsprache einzulegen.
Sie ignorierte die Bewegung, fuhr aber unbeirrt fort: „Einen Charakter allein nach dem Anblick einer Photographie zu beurteilen, ist doch recht riskiert, Väterchen, und darum schlage ich vor, du lässest den vielbesprochenen Liebling der Musen in persona hier antreten, damit wir uns überzeugen können, dass er à la Maria Stuart — besser ist, als sein Ruf!“
Koltitz griff nach den Zeitungen. „Mir ist es in hohem Grade gleichgültig, ob der Hansnarr hierher kommt oder nicht. Wigand hat die Schererei und ihr Frauensleute die Last mit ihm; ich werde wenig von ihm sehen, denn mich zu seinem Gouverneur machen — da soll sich der Herr Geheimrat gefälligst das Maul wischen —“
„Maus — —!!“
Wigand schaute noch immer ganz verblüfft auf Erika. „Willst du denn das Bild gar nicht ansehen, Cousinchen?“ fragte er vorwurfsvoll und schob es abermals näher.
Nun streckte sie ihre kleine, weisse Hand danach aus. „Ich kenne das Bild ja!“ sagte sie.
„Du kennst es?“
Sie neigte das Köpfchen noch tiefer, aber in ihre Wangen stieg heisse Glut. „Gewiss, ich durchblätterte ja dein ganzes Album, als du uns die Bilder deiner Eltern zeigtest.“
„Ach so, und du entsinnst dich noch auf Joël?“
Sie lachte, es klang ein wenig verlegen. „Das versteht sich! Es fiel mir auf, weil er so hübsch ist.“
Und dabei sah sie abermals auf das Bild nieder.
Seltsam, es lag plötzlich ein Ausdruck in ihren Augen, welchen er zuvor nicht darin gekannt. Wie verklärt schauten sie darein, regungslos, gleichsam gebannt von dem schönen Antlitz, welches siegesgewiss zu ihr emporlächelt!
Und langsam steigt die rote Glut von den Wangen in die Schläfen empor — und je länger das junge Mädchen die Photographie betrachtet, desto mehr erbebt die Hand, welche sie hält.
Wigand steht und beobachtet das alles — und ihm ist es plötzlich zu Mut, als lege sich etwas schwer auf sein Herz.
Er wendet sich und tritt an das Fenster.
Der Mond leuchtet wie eine mattrote Scheibe durch das dunstige Schneegewölk und der Wind schüttelt die Tannen vor dem Haus, dass es aussieht, als wollten sie sich, gleich wegemüden Wanderern, auf die weissflockige Erde niederwerfen.—
Landen starrt geradeaus. Seine Gedanken wirbeln wie die Schneesternchen draussen, er wird sich seiner Empfindung nicht klar bewusst, aber er hat das Gefühl, als thue ihm plötzlich das Herz weh.
Sein ruhiges, wunschloses Herz.
Wie kommt das? — Erikas Augen haben voll Entzücken gestrahlt, als sie Joëls Bild geschaut. — Warum das?
Warum stieg ihr das Blut dabei so heiss in die Wangen? und warum hat sie sein Bild das sie nur ein einziges Mal geschaut, nicht vergessen?
Weil er so hübsch ist, so hübsch und so interessant.
Wie glücklich, wie beneidenswert müssen die Menschen sein, welche nur ihr schönes Angesicht der Welt zu zeigen brauchen, um im Sturm die Herzen zu gewinnen!
Wigand ist niemals im Leben neidisch gewesen, er hat den andern alles von Herzen gegönnt, ihr Geld, ihren Ruhm, ihre Schönheit, — aber heute? — Seltsam. Er ist auch heute nicht neidisch auf den Jugendfreund, aber er drückt die Stirn gegen die kalten Scheiben und denkt: Warum bist du nicht auch so schön?
Zum erstenmal im Leben denkt er’s. — Warum? Er sieht Erikas heissgerötetes, bewunderndes Gesichtchen noch immer vor sich. Er blickt zwar in den nächtlichen Schneesturm hinaus, aber er sieht doch nur Erikas Augen.
Und jetzt entdeckt er, dass sich die Lampe in der Fensterscheibe spiegelt, dass ein Bild wie Zauberspuk in der kalten Winterluft vor ihm schwebt, — das Bild am Kaffeetisch.
Er kann es deutlich sehen, wie Erika dicht neben die Mutter gerückt ist, wie beide das Bild besehen. Die Kleine plaudert lebhaft, ihre Wangen glühen wie zuvor — und jetzt ... jetzt hebt Frau Koltitz den Finger und droht neckend dem Töchterchen.
Was mag der rosige Mnnd gesagt haben?
Wie ein Frösteln geht es plötzlich durch Wigands Glieder. Ihm ist es, als zerreisse jählings ein Schleier vor seinen Augen, als schaue er ein Menschenherz, aus welchem urplötzlich grelle Flammen schlagen. Sein eigenes.
Was ficht ihn, den stillen, besonnenen, kaltblütigen Mann, plötzlich an? — Er ist doch den Jahren entwachsen, wo eine Primanerleidenschaft über den Jüngling kommt, wie der Dieb in der Nacht, — er ist ein Mann von sechsundzwanzig Jahren, ein Mann, dessen Vernunft stets grösser war, wie all seine Passionen, — und nun lodert es plötzlich auf in seiner Brust und droht Leib und Seele in Feuerglut zu tauchen.
Soll ein momentaner Rausch grösser sein, wie sein Verstand? Soll er sich zum Sklaven unsinniger Empfindungen machen?
Hat er nicht gestern, vorgestern, alle Tage zuvor, so ruhig und sonder Begehren in Erikas rosiges Gesichtchen geschaut?
Warum packt es ihn plötzlich mit unheimlicher Gewalt, dass er wild aufschreien möchte, weil sie dem Bild eines andern mit strahlenden Augen zulächelt? — Ein armer, armer Thor ist er.
Was hat er mit Erika zu schaffen? Er, der nichts auf der Welt sein eigen nennt, als das, was er im Schweisse seines Angesichts verdient!
Er ist nicht dazu angethan, eines reichen, schönen Mädchens Freier zu sein, und sollte er sie lieben bis zum Wahnwitz. — Er ist hässlich, hat nichts, wie sein treues, ehrliches Herz.
Ist es auch in diesem Augenblick redlich? — Es pocht und hämmert zum Zerspringen, es mahnt in zitternder Angst: „Halte den Adler fern von deinem Taubenschlag, lass den Marder nicht herzu, dass er dein Nest beschleiche!
Warum willst du dir selber deinen Frieden stören? Kannst du sie nicht selber besitzen, — gut, so soll sie auch keines andern sein.
Schreib! schreib! wehre ihn ab, auf dass er nicht komme! Noch ist’s Zeit!“ —
Und wieder blickt er hinaus, auf das Spiegelbild der Fensterscheibe.
Erika hat sich zurückgelehnt in den Sessel vor dem Kamin. Ihre Händchen liegen verschlungen im Schoss und die Augen blicken, glückselig träumend, einem blütenduftreichen Frühling entgegen. Sie lächelt. — So hat sie noch nie dreingeschaut; Wigand ist kein Poet, aber ihm ist’s als sei das junge Mädchen in diesem Augenblick ein Stück heiliger, verkörperter Poesie.
Glühend heiss schiesst es in die Augen des ernsten Mannes. Ihm ist’s als wolle sein Herzblut in bittern Thränentropfen durch die Wimpern dringen und in seiner Brust krampft es sich zusammen, als litte er Todesweh. — Kurze, qualvolle Minuten.
Soll er wirklich an seinem Pflegebruder zum Schalk werden, an ihm und an ihr? Soll er wirklich dazwischen treten, mit roher Hand die Blüten ihres Traumes zu zerknicken?
Nein, tausendmal nein. — Die Entsagung ist von Kindesbeinen an sein Los gewesen, sie hat ihn begleitet bis zu diesem Augenblick, und sie wird ihm zur Seite schreiten bis an seines Lebens Ende.
Warum soll er seinem lieben Joël ein Glück missgönnen, welches er selber ja doch nie und nimmermehr erringen kann? Er ist hässlich, talentlos, arm, sein Pflegebruder aber hat alles, was Mädchenherzen höher schlagen lässt; er, der Gottbegnadete, pflückt die Rosen und Wigand pflegt als treuer Gärtner die Dornen, daran sie blühen. —
Er schrickt empor.
Der Oberst hat seinen Namen gerufen.
„Du befiehlst, lieber Onkel?“
„Potz Wetter, da bist du ja noch, mein Junge! ich dachte, du sässest bereits und liessest den Antwortsbrief vom Stapel?“