Nataly von Eschstruth

Von Gottes Gnaden - Band I


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des Realismus und der nüchternen Prosa zu Tode gehetzt wird. Ein unverstandenes Streben und Schaffen, — grauenvoll!

      Wigand hatte stets eine treue, zärtliche Liebe für den älteren Vetter empfunden. Er, der nüchterne, talentlose Mann, welchem es wie ein Wunder erschien, wenn Menschenhände einem so unbegreiflichen Instrument wie Klavier und Geige die süssesten Melodien entlockten, der es ganz unfasslich fand, wie man eine Melodie, geschweige eine ganze Oper ersinnen, einen Roman schreiben oder Verse dichten konnte, er bewunderte ehrlichen Herzens die Begabung des Pflegebruders und war entzückt von seinen Leistungen. Er verstand ja nichts davon, aber es gefiel ihm und er lauschte voll andächtiger Verehrung, wenn Joël in seiner leidenschaftlichen, ungeduldig dahinstürmenden Weise am Flügel phantasierte.

      Das ganze selbstbewusste, sichere, weltgewandte Wesen, die Schönheit und Eigenart des jungen Mannes imponierten ihm von der Stunde an, wo er den verwöhnten Knaben zuerst kennen lernte. Er war viel zu bescheiden, viel zu selbstlos, um überhaupt einen Massstab zwischen ihm und sich selber anzulegen.

      Er konnte damals noch keinen Unterschied zwischen Arroganz und Selbstbewusstsein machen, und weil er selber so ungelenk, schüchtern und eckig war, so imponierten ihm selbst die Unarten und Unliebenswürdigkeiten Joëls, weil dieselben meist mit verblüffender Originalität in Scene gesetzt wurden.

      Alle anderen Knaben, das ganze Haus des Geheimrats huldigten dem hübschen Jungen, er verlangte es in seiner rücksichtslosen, dominierenden Weise und es geschah. Schon in der Tanzstunde war er der Held des Tages, die Mädchenherzen flogen ihm zu, gleichviel ob er sie begehrte, während Wigand, kaum beachtet, der wesenlose Schatten neben dem jungen Sonnengott war. Er war es neidlos, er freute sich von Herzen des Triumphzuges seines Pflegebruders und fand es selbstverständlich, dass er neben diesem jungen Heros eine kümmerliche Rolle spielte.

      Joël bemerkte es mit einer gewissen Rührung. So unbegreiflich Wigand eine Kunstleistung erschien, so unfasslich war es für Joël, wie ein Mensch derartige Selbstverleugnung üben konnte. Diese imponierte wiederum ihm. Er lernte schlecht und ungern, Wigand studierte voll eisernen Fleisses Tag und Nacht. Das beschämte den Aelteren.

      Oft that es Wigands Vorbild, dass er sich hinsetzte und eine kurze Zeit versuchte, etwas zu lernen. Landen half nach, seinen Bitten und Vorstellungen gelang es, den jungen Eikhoff so weit zu bringen, dass er wenigstens das Einjährig-Freiwilligen-Zeugnis erwarb.

      Dafür waren ihm die Eltern unbeschreiblich dankbar, und sie vermissten Wigands Einfluss sehr schmerzlich, als derselbe die landwirtschaftliche Schule zu Proskau bezog.

      Da war es zu Ende mit dem Fleiss des Vetters. Jahrelang blieben die beiden jungen Männer getrennt, kaum sahen sie sich noch bei flüchtigem Weihnachtsbesuch.

      Auch die Korrespondenz schlief allmählich ein. Der eine war zu fleissig, der andere zu faul dazu. In Wigands Erinnerung lebte Joël fort, wie er ihn damals als Schüler gekannt. Sein Talent webte eine Art von Glorienschein um ihn her, er stand unverändert vor Landens geistigem Auge, sowie er ihn ehemals voll naiver Kindlichkeit beurteilt und bewundert hatte. Und nun stieg er die steile, schmale Holzstiege zu seiner Giebelwohnung empor, um das Bild des so viel geliebten und so viel verleumdeten Kameraden zu holen.

      Er trug die kleine Flurlampe in der Hand und sein Schatten fiel riesenhaft, schier gespenstisch gegen die schneeweiss getünchten Wände.

      Da sah es aus, als folge ein böser Geist seinen Schritten.

      Der Sturm rüttelte an den Fenstern, dass die weissen Vorhänge im Luftzug zitterten.

      Wigand schloss die Kommode auf und entnahm aus ihrem peinlich geordneten obersten Schubfach ein mehr umfangreiches wie wertvolles Album. Es enthielt die Bilder seiner Anverwandten und diejenigen seiner Freunde. Erstere besass er nicht viel, die letzteren desto mehr.

      Seltsam, er hatte so wenig in seinem äussern Sein und Wesen, was für gewöhnlich Menschenherzen erobert, und dennoch fand er viele Freunde, dennoch schied er nirgends, ohne die wärmsten Sympathien zu hinterlassen. Und bislang hatte ihm die Freundschaft genügt, hatte ihn reich und glücklich gemacht, weil er nach der Liebe nicht begehrte.

      Er öffnete das Buch.

      Gewohnheitsgemäss weilte sein Blick zuerst auf den Bildern seiner Eltern, alte, verblasste, kaum kenntliche Photographien. Für ihn waren sie Heiligtümer.

      Der schlanke, blondbärtige Offizier hatte ihn zum letztenmal an die Brust gedrückt, ehe Wigand denken konnte. Im Jahre 1864. — Bei den Düppler Schanzen hatte eine Kugel dieses treue, junge Herz zerrissen, und nicht allein sein Herz, auch das seiner armen Mutter verblutete an dieser unbarmherzigen Kugel. Ihrer entsinnt er sich noch dunkel, schattenhaft. Er sieht sie noch im Krankenstuhl sitzen, die Hände gefaltet, den sehnsuchtsvollen Blick der schwarzen Augen zum Himmel gerichtet. Auch sie ging von ihm. Wigand neigt sich und drückt die Lippen auf die vergilbten Bildchen.

      Dann kam er zu Onkel und Tante Eikhoff. Das dicke, jovial blickende Gesicht des Geheimrats lacht ihm entgegen, etwas aufgedunsen, gutmütig und dennoch energisch. Neben ihm Tante Elly. Jung, schlank, sentimental und sehr elegant. Sie trägt eine Rose im Haar und lehnt sich schwärmerisch an ein geöffnetes Klavier.

      Beide waren gut zu ihm, sehr gut.

      Und hier der Sohn Joël. Verschiedene Bilder, er wächst vor den Augen vom Knaben zum Mann. Dieses die neueste Aufnahme.

      Wigands Blick weilt lange, voll ehrlicher Bewunderung auf dem genialen Männerkopf. Er ähnelt in allem der schönen, brünetten Mutter. Über der Stirn lockt sich das Haar künstlerisch frei, ohne das Haupt länger wie schicklich zu umwallen. Grosse, wundervoll flammende Augen fordern ein Weltall in die Schranken, und über dem Munde trotzt ein kleiner Schnurrbart. Er trotzt! Ebenso wie die Lippen, welche, etwas arrogant gewölbt, ganze Bände voll erzählen, von Launen, Ungestüm, Leidenschaft und Verlangen! —

      In diesem Mund drückt sich der ganze Charakter aus; der glücklichste ist es nicht.

      Ein Zug ewiger Unzufriedenheit und Unruhe prägt sich in seiner Linie um die leicht herabgezogenen Mundwinkel aus.

      Der ganze Eindruck aber ist frappierend, ist so, wie man sich einen heissblütigen Liebling der Musen, einen himmelanstürmenden, weltenberauschenden Künstler von Gottes Gnaden vorstellt.

      Wigand ist stolz auf ihn! Es gereicht ihm zur Genugthuung, dieses Bild heruntertragen, es als Porträt seines, seines Pflegebruders zu zeigen! Ja, er ist stolz und beglückt, sein redliches Herz kennt keinen Neid, und der Gedanke, welch eine Figur er selber neben diesem Helios abgeben wird, dieser Gedanke kommt ihm gar nicht in den Sinn!

      Er nimmt das Album unter den Arm, schliesst die Kommode und nimmt das Licht wieder zur Hand. Schwarz, unheimlich schreitet sein Schatten ihm zur Seite. Er möchte gern mit viel herzbewegenden Worten zu Joëls Gunsten reden, denn der Gedanke, den geliebten Jugendfreund als Genossen nach Ellerndörp zu bekommen, hat etwas unendlich Erfreuendes für ihn. Er kann aber nicht reden, hat niemals im Leben kraft seiner Zunge Siege erfochten, darum soll Joël durch sein Bild selber sprechen. Er muss dem Oberst wohlgefallen, er muss diesen schönen, genialen Menschen bei sich aufnehmen und helfen, ihn, durch seine Fürsprache beim Vater, der Kunst zurückzuführen.

      Als er wieder an den Kaffeetisch tritt und die Photographie darbietet, leuchten seine Augen in stolzer Freude. Erwartungsvoll haftet sein Blick an dem Gesicht seines Onkels.

      Der Oberst hält das Bildchen weit ab und prüft es scharf. Seine Frau neigt sich vor und sieht es voll unverhohlenen Interesses an.

      „Hm ..“ nickt der Oberst, „hübscher Bengel! Aber so recht ein Kind des neunzehnten Jahrhunderts. Unbefriedigt, arrogant, eitel und genusssüchtig.“

      „Aber, Onkel! wo liest du diese abscheuliche Conduite ab?“ entsetzt sich Wigand und Frau Henriette schüttelt vorwurfsvoll den Kopf. „Aber Maus! sei doch nicht so niedlich, ich finde den jungen Mann bildhübsch und distinguiert aussehend!“

      „Wo ich’s ablese? Da hier!“ Koltitz tippt heftig mit dem Finger auf das Bild und pafft dicke Wolken. „Im Munde liegt’s .. im Blick ... und in der Falte zwischen den Brauen! Solche weltschmerzliche Runzeln waren