aufgezeichnet. Es waren acht große Kreise zu sehen an denen jeweils acht Personen Platz hatten. Ach du meine Güte. So viele Menschen kannte ich nicht mal! So wie ich den Plan deutete, war die Sitzordnung auf Paare ausgerichtet. Acht Personen, also vier Paare pro Tisch. Mir schwante Böses ... ich war Single. Also neben wem würde ich wohl sitzen müssen? Doch hoffentlich nicht neben ihm?
Bitte nicht Jan.
»Also, das ist der Brauttisch. Oder Bräutigamtisch. Der wird anders geschmückt sein als die anderen.«
Ich versuchte meinen Kopf so weit zu drehen, damit ich die geschriebenen Worte neben den Tischen erkennen konnte. Aber das Überkopflesen musste ich wohl noch üben.
»An dieser Seite sitzen Hiroki und ich. Rechts von mir sind dann du als meine Trauzeugin und meine Mum.« Ich atmete erleichtert auf. Bianca. Das würde gehen. Es war zwar seltsam, da ich sie ja auch schon vier Jahre nicht gesehen hatte, aber ich hatte sie schon immer sehr gerne gemocht. Somit wäre es garantiert okay, einige Stunden neben ihr zu sitzen.
»So ... neben Bianca und somit gegenüber von uns sitzen dann natürlich Hirokis Eltern uuund«, er holte einmal Luft und griff nach seinem Bier, nahm einen Schluck und schaute dann wieder auf den Plan. »Ja, ähm ...« Unsicher räusperte er sich und kratzte sich am Hinterkopf. »Links neben Hiroki sitzt dann Jan, sein Trauzeuge, mit seiner Freundin Fernanda.«
Die letzten Worte waren kaum mehr zu verstehen, so leise murmelte er sie vor sich hin. Trotzdem hatten sie sich direkt in mein Herz eingebrannt. Wie Salzsäure. Sebastian schaute mich mit gesenkten Liedern von unten schuldbewusst an. Er hatte mir bisher nichts davon gesagt. Das Thema Jan hatten wir bei unseren wenigen Telefonaten in den letzten Jahren immer erfolgreich und geradezu zwanghaft umschifft. Er wartete. Wartete auf eine Reaktion von mir. Ich reagierte nicht.
»Plane mal Fernanda nicht allzu fest ein, da läuft‘s nicht so gut«, unterbrach Hiroki die unangenehme Stille.
»Hiroki, sag doch sowas nicht. Das ist nicht fair.«
»Du weißt, was ich von ihr halte ...«
»Jan ist dein Trauzeuge?«, versuchte ich von dem unangenehmen Thema abzulenken und schaute dabei Hiroki neugierig an. Ich versuchte mir meinen Unmut nicht anmerken zu lassen. Er steckte sich gerade ein Grissini in den Mund, kaute schnell fertig und spülte mit einem Schluck Bier nach.
»Jap. Er ist einer meiner besten Freunde.«
Ich nickte und hörte Sebastians hastigem Themenwechsel über Tischdeko und Sitzordnung mit halbem Ohr weiter zu.
Jan war sein Trauzeuge. Jan war mit Fernanda zusammen. Der Fernanda. Seiner Arbeitskollegin. Ob sie wohl noch immer zusammen arbeiteten? Seit wann sie wohl ein Paar waren? Lief da etwa schon etwas während unserer Beziehung? Bestimmt! Das konnte doch kein Zufall sein.
Warum schmerzte es so? Selbst nach so langer Zeit tat es weh. Und ich hatte nichts, um die Schmerzen zu betäuben.
Verdammt.
Ich lag wach auf dem Schlafsofa und starrte an die Decke. Meine Arme hatte ich hinter dem Kopf verschränkt. Ich konnte nicht schlafen. Seit der Trennung von Jan konnte ich schon nicht mehr durchschlafen. Nur wenn ich auf einer Party war, ordentlich was getrunken und geraucht hatte, dann fiel ich in eine Art komatöse Bewusstlosigkeit. Leider genügte das kleine Glas Rotwein von vorhin nicht im Mindesten, um mich zur Ruhe zu bringen.
Ich erhob mich und schlüpfte in meine Hausschuhe. Vielleicht fand ich ja irgendetwas, das mich in den Schlaf wiegen konnte. Mit leisen Schritten ging ich aus meinem Zimmer und bog nach links zur Küche ab. Dort wurde ich aber schnell von hellem Licht, einem blubbernden Wasserkocher und Hiroki im Bademantel begrüßt.
»Huch«, entwich es mir erschrocken. »Du trägst eine Brille?«, war dann direkt das Erste, was meinem Hirn zu später Stunde auffiel. Er lächelte mir mit müden Augen entgegen.
»Nur wenn mich keiner sieht. Kannst du auch nicht schlafen?«
»Nein.«
»Tee?«
»Lieber was Hochprozentiges.«
Hiroki zog die linke Augenbraue skeptisch in die Höhe. Ich setzte mich an den großen Esstisch und beobachtete ihn dabei, wie er heißes Wasser in zwei Tassen goss. Eine der beiden stellte er vor mir ab und ich begutachtete das Etikett am Teebeutel.
»Fencheltee? Ernsthaft? Ich bin doch kein Säugling.«
Daraufhin stellte er mir kommentarlos eine Flasche Rum dazu. Fencheltee mit Rum? Das war ja widerlich. Andererseits ... Ich drehte den Verschluss auf und schüttete einen ordentlichen Schwung in die Tasse. Einen Versuch war es wert.
Wir saßen uns eine Zeit lang schweigend gegenüber und schlürften unseren Tee. Jeder hing seinen Gedanken nach.
Der erste Schluck war ekelhaft, aber dann ging es eigentlich. Ich trank unbeirrt weiter.
»Kannst du öfter nicht gut schlafen?«
Ich nickte, ohne ihn anzuschauen.
»Wie lange schon?«
»Knapp drei oder vier Jahre, schätze ich.« Ich hatte keinen Grund, es zu verheimlichen. Ich nippte wieder an meinem Fenchel-Rum-Tee und betrachtete den runden Rand, den die Tasse auf dem Tisch hinterlassen hatte.
»Wegen Jan?«
Ich zuckte zusammen. Ich schaute auf und blickte direkt in Hirokis Mandelaugen, die mich neugierig musterten. Ich nickte zaghaft.
»Ich denke, die Trennung hat einen großen Teil dazu beigetragen«, bestätigte ich leise.
»Warst du deshalb mal beim Arzt? Ich meine, dagegen kann man doch etwas tun, oder?«
Ich atmete lange ein und seufzend aus. Das war ein schwieriges Thema.
»Ganz am Anfang war ich bei einem Experten, das hat aber nicht wirklich geholfen.« Ich schwieg und dachte an die Zeit vor vier Jahren, kurz nach der Trennung, zurück. An meinen Nervenzusammenbruch. An die Einsamkeit. Die Panikattacken. Die Gespräche beim Therapeuten. »Die Medikamente konnten mir nicht helfen.« Ich zuckte mit den Schultern. »Also hab ich‘s gelassen.«
Warum erzählte ich ihm das eigentlich alles? Ich kannte ihn keine zwei Tage. Und trotzdem mochte ich ihn. Vielleicht fiel mir das Reden bei ihm auch leichter, eben weil wir uns kaum kannten. Weil ihn mit meinem früheren Ich nichts verband. Weil er Jan und mich nie als Paar erlebt hatte?
Jan.
Wie er wohl heute war? Hatte auch er sich verändert?
Ich hatte Angst vor unserem ersten Treffen. Das erste Treffen nach vier verdammt langen Jahren. Lange würde es nicht mehr auf sich warten lassen. Das wusste ich. Das spürte ich. Ich hatte Angst.
Party
»Und du willst echt mitgehen?«
»Warum nicht? Sieht man mir an, dass ich nicht so auf Muschis stehe?«, gab ich schnippisch zurück.
Sebastians Spiegelbild schaute mich aufgrund meiner Wortwahl etwas schockiert an. Er bemühte sich, meinen Kommentar zu ignorieren, und gelte sich die Haare weiter in Form.
»Wir gehen da mindestens einmal im Monat hin. Ist nun mal eine Homoparty. Darüber musst du dir im Klaren sein.«
»Sei mir armen Hetero-Mädchen gegenüber mal nicht so diskriminierend!«
Er tippte mir mit Zeige- und Mittelfinger fest gegen die Stirn und ging dann an mir vorbei in die Küche. Ich folgte ihm und lehnte mich mit der Schulter gegen den Türrahmen.
»Ich hab eh keinen Bock mehr auf Kerle. Ich möchte nur ein wenig mit euch feiern.«
»Dann komm eben mit, wird bestimmt lustig.«
Er reichte mir eine Flasche Bier und ging mit zwei weiteren an mir vorbei in Richtung Schlafzimmer.
»Schatz, Nora geht auch mit, bist du bald mal fertig? Och Mensch, wenn du schon zwanzig