dass mich Pablo auch nach der Abi-Party noch ein paarmal angesprochen hatte. Aber ich muss auch gestehen, dass meine Erinnerungen sehr verschwommen sind. Ich bewegte mich wie in einem Nebel durch die Tage. War nicht Herrin meiner Sinne und stand wohl immer noch etwas unter Schock. Als wir zwei Monate später unsere Abizeugnisse überreicht bekamen, gratulierte mir Pablo. Ich hatte gar nicht darauf reagiert. Nicht mal einen Blick schenkte ich ihm. Ich packte alles in meine Schultasche, warf sie mir über die Schulter und verließ das Gebäude, ohne mich auch nur einmal umzuschauen. Und nun war es Jan, der mich über Pablo ausfragte.
Ich wollte mich wegdrehen und das Gespräch damit beenden. Aber Jan hielt mich an der Schulter fest. Ich schlug seine Hand weg. Als ich seinen entsetzten Gesichtsausdruck sah, tat mir meine Brutalität leid und ich hob entschuldigend beide Hände. Was machte ich hier eigentlich?
Ich musste weg, sonst würde die Situation hier noch aus dem Ruder laufen.
»Sebastian, Hiro, ich muss gehen. Es ist schon spät.«
Sebastians Kopf kam aus der Kabine geschossen, der Vorhang verdeckte den Rest seines Körpers.
»Schon?«
»Ja, ich muss mich vor dem Vorstellungsgespräch noch umziehen.«
»Ja, das solltest du. Zieh dir mal was Schickes an. Die dunkelblaue Bluse in der obersten Schublade.«
»Woher kennst du den Inhalt meiner ... ach, was soll‘s. Bis heute Abend. Und noch viel Erfolg!«
»Dir auch!«, rief Sebastian.
Ich winkte Jan kurz zum Abschied zu und verließ den Laden.
Das Vorstellungsgespräch in einer großen Werbeagentur lief ganz gut. Ich hatte mich zu Hause in eine enge schwarze Jeans geschmissen und ein hübsches Oberteil angezogen. Die von Sebastian angepriesene blaue Bluse hatte ich tatsächlich gefunden, kam mir damit aber irgendwie wie verkleidet vor. Wir waren doch alle junge Kreative. Da musste man nicht im Kostüm erscheinen, dachte ich mir. Und ich behielt Recht. Ich wurde in einen kleinen Raum geführt, in dem nichts außer einem Tisch mit vier Stühlen stand. Ich hoffte inständig, dass mich nicht gleich mehrere angsteinflößende hohe Tiere gleichzeitig in die Mangel nehmen würden. Ich war so schon aufgeregt genug.
Nach einigen Minuten kam eine junge Dame herein und fragte mich, ob ich etwas trinken wolle. Ich nickte und kurze Zeit später brachte sie zwei Tassen Kaffee. Genau in dem Moment betrat ein junger, dunkelhaariger Mann den Raum. Er war sogar ziemlich attraktiv. Er leitete die Abteilung Webdesign und brauchte wohl dringend neue Mitarbeiter, da sie in Arbeit erstickten. Anfangs war ich sehr nervös, aber unser Gespräch war locker und schon fast freundschaftlich. Ich konnte mit Fachwissen glänzen und zeigte ihm meine Mappe mit Websites, die ich bereits während des Studiums entworfen hatte. Meine anfängliche Nervosität war schnell verflogen. Er lobte meine Arbeit und sagte abschließend, dass er sich sehr gut vorstellen könnte, mit mir zusammenzuarbeiten. In den nächsten Tagen würden sich allerdings noch ein paar andere Bewerber vorstellen. Danach müsste er noch mit seinen Kollegen und mit ein paar anderen Herren aus der Chefetage sprechen. In ungefähr zwei Wochen würde er mir Bescheid geben.
Abschließend schüttelten wir uns die Hände und ich verließ das Gebäude mit einem guten Gefühl.
Na ja, es konnte ja auch nicht alles scheiße laufen.
Vielleicht hatte ich ja zumindest in einem Bereich meines Lebens etwas Glück.
Junggesellenabschied
»Eigentlich ist es doch viel zu früh für einen Junggesellenabschied, oder?«
»Hä? Wie meinen?« Ich stand am Türrahmen gelehnt hinter Sebastian, der sich gerade vorm Badspiegel die Haare gelte und mir anscheinend nicht zugehört hatte. Er schielte über seine Schulter zu mir. Seine volle Aufmerksamkeit bekam ich trotzdem nicht, denn seine Haare schienen wichtiger zu sein.
»Dein Junggesellenabschied. Zu früh. Macht man das nicht normalerweise am Wochenende vor der Trauung?«
»Nix da! Ich will an meiner Hochzeit toll aussehen. Das geht schlecht, wenn ich ein paar Tage vorher in irgendwelchen Kneipen versackt bin.«
Da hatte er natürlich auch wieder recht.
Wir wussten beide nicht, was heute auf uns zukommen würde. Jan hatte alles organisiert und keinen seiner Pläne durchdringen lassen. Eigentlich war es ja die Aufgabe der Trauzeugin, sich um die Planung zu kümmern. Da ich aber einfach zu lange nicht in der Stadt war, hatte das einfach sein Bruder übernommen. Hiro schien etwas zu wissen oder zumindest zu ahnen. Er verriet uns allerdings nichts. Wir wussten nur, dass es um 14 Uhr losgehen würde. Was auch immer. Ein Stripschuppen würde wohl ausscheiden. Oder?
Nach und nach kamen Freunde von Sebastian bei uns an. Es klingelte andauernd an der Tür. Es herrschte ein unglaubliches Gebrüll und Gejaule und ich war zum offiziellen Türöffner ernannt worden. Drei Kerle, die mit Sektflaschen bewaffnet im Hausflur standen, begrüßten mich überschwänglich mit vielen feuchten Küsschen. Ich brauche eine Weile, bis ich die Drag Queens von neulich erkannte. Ohne Lippenstift und High Heels war das allerdings auch gar nicht so einfach, denn vor mir standen drei echt hübsche Typen in Jeans und Pullover. Zum Verrücktwerden! Die Welt war unfair und alle guten Männer waren vergeben, schwul oder Teilzeitfrau.
In der Wohnung tummelten sich nun sieben Männer, die sich allesamt redlich bemühten, einen ordentlichen Pegel zu erreichen. Es wurde gelacht, gegrölt und getrunken. Sebastians lautes Organ hörte man immer deutlich heraus. Bislang schien er sich sehr zu amüsieren und zufrieden zu sein. Was wohl auch an den vielen Sektflaschen lag, die in regelmäßigen Abständen mit einem lauten Knall geöffnet wurden. Ich war das einzige Mädchen. Aber ich war nun mal Sebastians Trauzeugin und seine beste Freundin und daher wollte er mich unbedingt dabei haben. Eigentlich war ich ja schon stolz darauf. Aber momentan überwog das ungute Gefühl in meiner Magengegend.
Was würde der Tag nur bringen? Ich war nicht gerade ein Fan von Überraschungen und hatte Angst vor dem Unbekannten. Ich hoffte wirklich, dass alles ohne schlimme Zwischenfälle vorbeigehen würde.
Es klingelte wieder an der Haustür und Jan betrat mit einer Flasche Whiskey in der Hand die Wohnung. Das war schon eher nach meinem Geschmack. Den süßen Sekt konnten die Drag Queens gerne alleine trinken. Echte Kerle tranken hartes Zeug. Also bediente ich mich an der Flasche, sobald Jan sie auf der Küchentheke abgestellt hatte. Natürlich, ohne ihn auch nur eines Blickes zu würdigen. Ich goss mir knapp drei Finger breit der bernsteinfarbenen Flüssigkeit in ein Glas und gab dann noch zwei Eiswürfel aus dem Gefrierschrank hinzu. Fertig. Anders würde ich das heute doch nie überstehen. Ich brauchte schnell ein wenig Standgas, um Ruhe zu bewahren.
»Wo geht‘s denn heute überhaupt hin?«, fragte Sebastian neugierig und zeitgleich auch etwas ängstlich. Jan machte einen geheimnisvollen Gesichtsausdruck und trank wie ich einen Schluck Whiskey on the rocks. Ich starrte gebannt auf sein Glas und ließ meinen Blick dann zu dem Getränk in meiner Hand nach unten wandern. Jan war unsere gleiche Wahl wohl auch nicht entgangen. Er grinste mich an und prostete mir stumm zu.
Ein Zwinkern.
Er hatte mir tatsächlich zugezwinkert!
Ich spürte die Hitze, die sich blitzschnell von meinen Wangen bis zu meinen Ohren ausbreitete. Ich war so dermaßen leicht zu verunsichern. Das war einfach erbärmlich. Ich war erbärmlich!
»Das wirst du noch früh genug erfahren, Sebastian.« Jan richtete das Wort wieder an den Herrn Junggesellen und unterbrach somit meinen Versuch, mich im Selbstmitleid zu ertränken.
»Aber bitte in keinen Stripschuppen«, flehte Sebastian mit Sorgenfalten auf der Stirn.
»Das hoffe ich auch«, gab nun auch Hiro seinen Senf dazu, der sich bis eben im Hintergrund gehalten hatte. Er würde beim Junggesellenabschied von Sebastian natürlich nicht dabei sein. Hiro ging selbst mit einigen Freunden weg, obwohl er keinen Junggesellenabschied wollte, da er der Brauch unnötig fand. Einige Kumpels konnten ihn dann aber doch noch davon überzeugen, zumindest ein paar Bierchen mit ihnen trinken zu gehen.
»Also